Arabica aus Kolumbien Im Goldenen Dreieck des Kaffees

Von Michael Juhran

Gustavo Patino genießt seinen selbst gerösteten Morgenkaffee. Seine Frau Gloria hat ihn sorgsam mit einem feinmaschigen Textilfilter zubereitet. Ein anregender Duft breitet sich im Aufenthaltsraum der Finca «El Ocaso» aus und lockt die ersten Urlaubsgäste aus den Betten. Gustavo lässt seinen Blick über die zerfurchte Landschaft mit ihren Bergketten und tiefen Tälern schweifen. Morgennebel steigt auf, im Hintergrund erheben sich die Zentralkordilleren der kolumbianischen Anden.

Hier im Triángulo de Oro del Café, dem Goldenen Dreieck des Kaffees, dominieren Kaffeesträucher die Flora. Die Region erstreckt sich über die Provinzen Quindio, Risaralda und Caldas westlich der Hauptstadt Bogotá. Nur vereinzelt tauchen Tulpenbäume, Wachspalmen oder Akazien auf, hier und da auch kleine Pinien- und Tabakplantagen oder Guadua-Bambuswäldchen. Dank mineralhaltiger Erde und reicher Niederschläge gedeihen die Pflanzen hier prächtig.

Vor zehn Jahren begannen Gustavo und seine Frau Gloria damit, in- und ausländischen Touristen geführte Kaffeetouren anzubieten. Nach und nach kamen immer mehr. Im vergangenen Jahr konnten die beiden fast 8000 Besucher begrüßen. Jede Station des Rundganges bekam Info-Tafeln oder Fotografien, heute gibt es Gästezimmer, eine Terrasse zum Verkosten und einen Aufenthaltsraum.

Die Investitionen haben sich ausgezahlt. Inzwischen freuen sich Gustavo und Gloria über einen Zuverdienst, der dem Haushalt eine stabile Grundlage beschert. Denn die Einkünfte aus dem Verkauf der Kaffeebohnen schwanken stets. Noch gehören die beiden zu einer Minderheit unter den rund 500 000 Kaffeefarmern in Kolumbien. Doch ihr Beispiel macht Schule.

«Von den Erträgen der durchschnittlich zwei bis drei Hektar großen Kaffeeplantagen können immer weniger Farmer leben», meint Gustavo. «Es bleibt einfach zu wenig übrig, wenn man die Bohnen nicht vor Ort veredelt.» Selbst für den hochwertigen Arabica habe es im vergangenen Jahr kaum mehr als 2,40 Dollar pro Kilo getrockneter Bohnen gegeben. «Ein Pfund frisch gerösteten Spitzenkaffees erzielt dagegen 15 Dollar.» Warum der Arabica seinen Preis wert ist, demonstriert Gustavo seinen Gästen auf einem Rundgang.

An der ersten Station hängen einige Bilder der größten Schädlinge: Fadenwürmer, Käfer und Blattrost dezimieren die Ernteerträge, denn der auf einer Höhe von bis zu 1200 Metern wachsende Arabica ist deutlich empfindlicher als die Robusta-Büsche, die in Vietnam oder Indonesien gedeihen.

«Früher konnten wir uns auf Temperaturschwankungen zwischen 20 und 25 Grad verlassen, die für unsere Pflanzen ideal waren, doch nun spüren wir die Klimaerwärmung, die den Kaffeerost begünstigt und mehr und mehr Schädlinge anlockt», klagt der Farmer.

Dann schickt er seine Gäste mit kleinen Körben ausgerüstet in die rund 150 000 Büsche seiner Farm. Gustavo setzt auf seinen knapp 30 Hektar Land auf organischen Anbau. Kochbananensträucher, Johannisbrot- und Tulpenbäume spenden Schatten für die Kaffeepflanzen, das erhöht deren Resistenz gegen Schädlinge.

Vogelgezwitscher begleitet die Gruppe auf dem Weg in das Dickicht. Gustavo konnte dort schon mehr als 300 Vogelarten identifizieren. Zuerst gelingt es nur schwer, die wenigen roten und damit reifen Kaffeekirschen neben all den grünen auszumachen. Doch je weiter man ins Dickicht hineinläuft, umso ertragreicher sind die Pflanzen. Der Boden des kleinen Körbchens in der Hand ist langsam bedeckt.

«Das reicht gerade für eine Tasse Kaffee», erklärt Gustavo. Drei Kilogramm Kirschen schrumpfen nach der Verarbeitung zu gerade einmal 500 Gramm Röstkaffee. Eine Stunde vergeht, bis sich das Körbchen zur Hälfte gefüllt hat. Doch erneut verfliegt der Stolz auf das Ernteergebnis schnell, als die Gruppe den 16 kolumbianischen Pflückern am Sammelplatz begegnet - jeder von ihnen in der gleichen Zeit etwa das Vierzigfache geerntet. Per Hand pflücken die Männer jährlich 30 000 Kilogramm Kirschen auf Gustavos Farm.

Die Kirschen werden in einen großen Trichter geschüttet, der Kaffee durchläuft dann die einzelnen Verarbeitungsstufen: Vorsortieren, Waschen, Trennen von Fruchthaut und Fruchtfleisch, Fermentieren, Trocknen. Danach übernimmt eine Frau namens Rosa mit strengem Blick die letzte Prüfung der Bohnen. Kaum sichtbare «Defectos», also minderwertige oder geschädigte Bohnen, werden per Hand aussortiert.

«Spitzenkaffee muss handverlesen sein», sagt Gustavo, der jetzt 250 Gramm davon in einer Pfanne röstet und anschließend Gloria zum Mahlen und Filtern reicht. Die Verkostung steht an. Und wie schmeckt der Kaffee? Angenehm süß, obwohl ohne Zucker. Die Gäste machen leichte Kakao- und Vanillenoten aus. Gustavo klärt auf: Die im Arabica befindlichen ätherischen Öle, Zuckerarten und Proteine enthalten bis zu 800 verschieden Aromen. Und die machen den Kaffee mild, wenn er bei Wassertemperaturen von 85 bis 90 Grad aufgebrüht wird.

Auch Juan Pablo Echeverre hat den Tourismus als Nebenerwerb entdeckt. Er gehört mit seiner 200 Hektar großen Hacienda in Manizales, rund 50 Kilometer nördlich von Pereira, zu den wenigen großen Kaffeefarmern Kolumbiens. «Vor sieben Jahren kamen die ersten amerikanischen Backpacker», erinnert er sich. «Wir bauten einfache Unterkünfte für sie aus.» Inzwischen sind in der Hacienda Venecia auch bequeme Zimmer zu haben. Es gibt eine Köchin, die Besucher mit landestypischen Gerichten versorgt. Ein großer Pool mit Sonnenliegen verbreitet nahezu mediterranes Flair, und wäre der Vorgarten nicht rundum von Kaffeebergen umgeben, könnte sich der Gast in der Toskana wähnen.

Juan Pablo hat keine Informationstafeln aufgebaut, und er teilt auch keine Körbchen zum Pflücken aus. Stattdessen lädt er seine Gäste zum Mitfahren ein, wenn seine je nach Erntesaison 100 bis 500 Pflücker mit dem Geländewagen in die Kaffeeberge fahren. Vielleicht ist ihm einfach das Risiko zu hoch, unerfahrene Touristen in dem steilen und glitschig-feuchten Terrain zwischen 1,2 Millionen Kaffeesträuchern herumlaufen zu lassen.

Auch vom sicheren Weg aus bekommt der Gast einen Eindruck von der harten Arbeit der «Cafeteros», die gerade einmal 350 bis 600 Pesos pro Kilo gepflückter Kaffeekirschen verdienen. Das sind etwa 10 bis 16 Eurocent. In der Haupterntezeit im Oktober stehen sie wie die meisten der rund zwei Millionen kolumbianischen Pflücker bis zu zehn Stunden in der unbarmherzigen Sonne oder im prasselnden Regen.

Aber auch wenn es weniger reife Kirschen gibt, sind ständig Zweige zu verschneiden, Unkraut zu jäten, ausgediente zwanzigjährige Sträucher zu entsorgen und neue Setzlinge zu pflanzen. Und schließlich sind da noch die Käfer zu bekämpfen, die winzige Löcher in die Kirschen bohren und die Früchte von innen aushöhlen.

«Man braucht im Kaffeegeschäft ein hohes Maß an menschlicher Energie, Kraft und Durchhaltevermögen», sagt Juan Pablo und erzählt vom Krisenjahr 2002, als der Preis pro Pfund abrutschte. «Seit Oktober 2014 befinden sich die Preise erneut im Sinkflug, es ist ein ständiges Auf und Ab.» Doch Juan Pablo hätte es nicht zu dem gebracht, was er heute ist, würde er nicht immer wieder neue Ideen entwickeln und umsetzen. Schließlich erlebt Kaffee dank dem Einfallsreichtum von Marketingexperten und US-Ketten eine neue Blütezeit, die es zu nutzen gilt. Aromaexperten als «Sommeliers der braunen Bohne» fördern die ständige Verfeinerung der Arten.

Bei den Japanern ist der teure Geisha-Kaffee beliebt. Juan Pablo ist nicht abgeneigt, es in Kürze selbst einmal mit den Edelbohnen zu versuchen, die bis zu 300 Dollar pro Pfund einbringen.

In der Rösterei Jesus Martin in Salento findet sich die Nobelsorte, die sorgsam 15 Minuten bei Temperaturen zwischen 170 und 180 Grad in einem eigens aus Deutschland importierten Automaten gebräunt wird. Erst dann entfaltet sie ihre Aromen.

Ganze fünf Kilogramm durchlaufen die Spezialbehandlung, überwacht von einem qualifizierten Meister. Anschließend werden die vielseitigen Aromen probiert: Kakao, Nüsse, Beeren, Zitrusfrüchte, Bergamotte und Honig kitzeln Nase und Gaumen. Säure und Gerbstoffe bilden einen harmonischen Einklang. Für den ungeübten Mitteleuropäer mag der Geisha geschmacklich mehr an Tee als an Kaffee erinnern. Doch vielleicht ist es Zeit, sich auf mehr Vielfalt einzustellen? Ein Kolumbien-Besuch könnte dabei auf jeden Fall helfen. dpa

Reise nach Kolumbien

Anreise: Von Deutschland aus in der Regel mit einem Stopp in die Hauptstadt Bogotá. Von dort weiter mit einer organisierten Rundreise im Bus oder individuell mit dem Mietwagen.

Klima und Reisezeit: Überwiegend trocken ist es normalerweise in den Monaten Dezember bis März sowie Juli und August. Stärkere Regenfälle sind von April bis Juni sowie im Oktober und November zu erwarten.

Einreise: Deutsche Staatsbürger brauchen für einen touristischen Aufenthalt kein Visum, nur einen gültigen Reisepass.

Übernachtung: Die einfachen, aber sauberen Zimmer in den Fincas des Kaffeedreiecks kosten meist zwischen 50 und 80 Euro pro Nacht, Hotelzimmer sind für etwa 80 bis 120 Euro zu haben.

Geld: 1 Euro sind etwa 3680 kolumbianische Peso (Stand: 16.12.2015)

Information: Procolombia, Fürstenbergerstraße 223, 60323 Frankfurt (Tel.: 069/13 02 38 32, www.colombia.travel/de).