Berlins Westen startet durch

Nach 25 Jahren Hipster-Halligalli in den Ostberliner Szenebezirken wandert der Blick wieder in den Westteil der Hauptstadt. Rund um die Gedächtniskirche hat sich nicht nur architektonisch die Staubdecke gelüftet.

In der Monkey Bar ist die schöne neue Welt des Berliner Westens so, wie Marketing-Strategen sie erträumen: Im Dachgeschoss des Design-Hotels 25hours kuscheln sich junge Leute samt Cocktails auf bunte Liegesofas. Die großen Glasscheiben geben beim Chillen Sichtachsen frei, die für das Zentrum einer Hauptstadt ungewöhnlich sind - vielleicht sogar cool: Rechts die Affen im Zoo.

Daneben das neu gestylte Bikini-Haus aus den 50er Jahren, das am 3. April als edles Einkaufszentrum für Mode und Design für die Öffentlichkeit eröffnet. Und links die renovierte Gedächtniskirche mit ihrem neuen Hochhaus-Nachbarn - das Luxushotel Waldorf Astoria.

Die Bar-Perspektive auf den Westen, von rosa Flamingos bis zum bläulich schimmernden Kirchenbau von Egon Eiermann, ist kunterbunt. Berlin wäre nicht Berlin, ohne dass sofort Superlative umherschwirrten. An die High Line in New York fühlen sich die Bauherren auf der Terrasse ihres Bikini-Hauses erinnert, das so heißt, weil ihm einst das Mittelgeschoss fehlte.

Das Gastrokonzept für das Einkaufszentrum, auf Neudeutsch Concept Mall, kommt in ihren Augen nah an den Wiener Naschmarkt heran - auf der Dachterrasse entstehen Gastronomie-Pavillons - und Kofler & Kompanie werden hier ein pop up-Cafe starten. Doch selbst wenn man eine Portion Größenwahn abzieht, bleibt mehr übrig als ein architektonisch aufgehübschtes Stadtviertel rund um den Kurfürstendamm.

Ganz nah dran am Wandel ist Martin Germer, Pfarrer an der Gedächtniskirche. Wenn er den Kurfürstendamm entlangjoggt, sieht er eine ganz andere Welt als um die Jahrtausendwende. Sie heißt auch anders: City West statt Charlottenburg, Wilmersdorf und Schöneberg. Moderne Architektur wie das Kranzler-Eck hat sich wie ein gläserner Keil zwischen gutbürgerliche Altbauten geschoben. Es gibt teure Läden mit einem Angebot, das Germer "extravagant bis spleenig" nennt.

Zurück an seiner Kirche auf dem Breitscheidplatz, eingeklemmt zwischen zwei Magistralen, empfängt ihn das, was der Berliner "volle Pulle Leben" nennt: Touristen, Einkäufer, Teenies mit Zahnspangen, Breakdancer, Bummler und Penner. "Der Breitscheidplatz ist nicht der Gendarmenmarkt", sagt der Pfarrer dazu - und findet das auch gut so.

Denn ohne Piazza-Atmosphäre sei das Risiko für brutalen Verdrängungswettbewerb kleiner. Germers Traum ist ein Kirchencafé auf dem Platz, in dem es keinen Verzehrzwang gibt - einfach nur mal sitzen. Die Frage ist nur, wie sich Träume finanzieren lassen: Die Gemeinde ist so klamm wie Berlin.

Trotzdem ist alles besser als früher. Germer erinnert an die Zeiten, in denen so viele Männer an die Gedächtniskirche pinkelten, dass das Mauerwerk litt. Der Drogenstrich am Bahnhof Zoo war nicht weit, der Ku-Damm galt als abgerockt. Was in den vergangenen 25 Jahren passierte, würde der Pfarrer deshalb ungern "Renaissance" nennen. Für ihn ist es etwas Neues - so wie sich Berlin immer wieder neu erfindet.

Dirk Spender, Leiter des Regionalmanagement City West, spricht von einer Initialzündung. "Als klar war, dass neben dem Bahnhof Zoo ein Hochhaus mit dem Hotel Waldorf Astoria entsteht, ging das hier ab wie eine Rakete", sagt er. Seit 2010 fanden sich plötzlich Investoren, die aus dem verstaubten Kino Zoo-Palast und dem Bikini-Haus etwas Schickes machen wollten. Ein weiteres Hochhaus mit dem Motel One ist schon im Bau. "Das Pendel schlägt zurück", sagt Spender. "Die City West ist für all jene interessant, die von den Hipstern im Osten die Schnauze voll haben." Und schmunzelnd ergänzt er. "Wir mosern hier auch nicht über Touristen."

Neu ist dieses Pendeln nicht. Berlins westliches und östliches Zentrum haben sich bei der Gunst des Publikums seit den 1920er Jahren abgewechselt oder nebeneinander bestanden. Erst der Mauerbau ließ getrennte Welten entstehen. Der Mauerfall sorgte für den riesigen Abenteuerspielplatz im Osten. Dessen Reiz verblasst nach der Renovierungs- und Gentrifizierungsphase nun für all jene, die sich nach unverbrauchten Spielwiesen sehnen.

Doch auch für den Westen heißt das Wandel. Die Zeit der Wilmersdorfer Witwen, die mit onduliertem Weißhaar ihre Pudel spazieren führten und im Café Kranzler Torte aßen, ist vorbei. Geschwunden ist damit auch das Gefühl, im abgehängten Teil der Hauptstadt zu flanieren, in dem seit den 70er Jahren die Zeit stehen geblieben ist.

Das Hotel Palace hat eine Verjüngungskur hinter sich und das Hotel am Steinplatz ist frisch eröffnet. Statt ins Kranzler geht es zum Sehen und Gesehenwerden nun ins Cafe Grosz im Haus Cumberland. Der Vergleich mit einem Wiener Kaffeehaus wirkt unter hohen Stuckdecken und vergoldeter Säulenpracht ausnahmsweise nicht übertrieben.

Nicht weit von dort sitzen abends junge Leute im Theater "Schaubühne" am Lehniner Platz. Wenn Nina Hoss oder Lars Eidinger spielen, gibt es Schlangen wie vor einem Szene-Club im Osten.

Im Herbst will mit der Galerie c/o Berlin ein kulturelles Schwergewicht im Westen eröffnen. Sie zog es aus dem Postfuhramt im Szene-Kiez Mitte ins Amerika Haus, auch 50er Jahre, Retro-Chick. Kunstsammler Christian Boros mag die Gegend um den Zoo, weil sie noch nicht so "rundgelutscht" ist wie Berlin-Mitte. "Es gibt Orte, an denen man spürt, wie Dinge zusammenprallen und Reibung entsteht", sagt er.

Die Gegend kann Reibung bieten. Es gibt wohl nur wenige Städte, in denen neben einem Beate-Uhse-Sexmuseum und einem Billigsupermarkt ein Fünf-Sterne-Plus-Hotel aufmacht. Und in denen sich die Kneipen der 68er-Generation unverändert neben brandneuer Crossover-Kitchen behaupten. So mancher Szene-Gastronom, der in Mitte sein Glück fand, macht hier eine Dependance auf - so wie das DUDU von der Torstraße, das nun auch im Bleibtreu 31 einzieht. Go West! dpa

Niko meint: Als wir die Freunde des Kudamms vor einem Jahr gründeten, war klar, dass es sich nicht um ein Strohfeuer handelt. Die Renaissance des Kurfürstendamms - mit seiner Eleganz wie zwischen den 60er und 80er Jahren - ist nachhaltig. Das der Westen aber so abgeht, ist schon sexy. Willkommen Bikini!

EDITORIAL: Berlin ist Bikini