Jetzt auch im Mittelmeer Japaner lieben Kugelfisch

Von Lars Nicolaysen

Es könnte die letzte Mahlzeit sein: Jeder Japaner weiß, dass ein falsch zubereiteter Kugelfisch tödlich sein kann. Trotzdem lieben sie ihn, den Fugu. «Fugu wa kuitashi, inochi wa oshishi», zu Deutsch etwa «Ich möchte Fugu essen, hänge aber an meinem Leben», lautet eine althergebrachte japanische Redewendung. Damit man am Leben bleibt, kommt es entscheidend auf die Zerlegung des Fisches an. Besonders gefährlich sind die Eierstöcke und die Leber, sie enthalten das Gift Tetrodotoxin, abgekürzt TTX. Doch es gibt Unterschiede unter den mehr als 20 verzehrbaren Fugu-Arten.

Es komme auf die Jahreszeit und den jeweiligen Fugu an, wie viel von dem Gift er enthält und in welchen Teilen es sich befindet, erläutert Yuji Miyata vom Kugelfisch-Verband in Shimonoseki im Westen Japans. «Besonders gefragt sind Tora Fugu (Tiger-Fugu). Sie sind größer als die anderen und schmecken einfach köstlich - der König der Fugu sozusagen», schwärmt Miyata. Bei ihm in Shimonoseki werden Kugelfische «Fuku» genannt, das klingt nach dem gleichnamigen Wort für «Glück». «Fugu» dagegen klingt wie das Wort «Unglück», auch wenn es anders geschrieben wird.

Damit die Mahlzeit nicht im Unglück endet, brauchen Köche in den meisten Provinzen des Inselreiches eine spezielle Lizenz. In Tokio sind die Auflagen ganz besonders streng. Dort muss man erst zwei Jahre unter Anleitung eines erfahrenen Fugu-Kochs gearbeitet haben, bevor man den ersten Test machen darf. Nur wer ihn besteht, darf selber Fugu zubereiten. Außerdem müssen Fugu-Abfälle als giftiger Sondermüll in abschließbaren Behältern entsorgt werden.

Trotzdem gibt es immer wieder Japaner, die der Versuchung nicht widerstehen können und trotz fehlender Erfahrung ihre geangelten Fugu selber zubreiten. Das Gift wirkt auf die Nerven. Zunächst gibt es ein taubes Gefühl auf der Zunge und in den Händen, bis der ganze Körper taub und gelähmt wird. Dies kann zum Herzstillstand führen. Im vergangenen Jahr erlitten 33 Menschen in Japan Lebensmittelvergiftungen durch Fugu, einer starb daran.

Ganz Verwegene finden einen besonderen Reiz darin, ausgerechnet die Leber zu essen - weil sie so herrlich fett und glatt ist und daher als besonders lecker gilt. Eine Lebensmittelvergiftung nehmen sie dabei bewusst in Kauf. In der Provinz Ishikaga werden zudem die Eierstöcke getrocknet und eingelegt. Das soll das Gift angeblich verdünnen und das Organ dann als ganz besonders leckere Delikatesse essbar machen, heißt es.

Es gab eine Zeit, da war es in Japan verboten, Fugu zu essen. Als der Shogun Hideyoshi Toyotomi im 17. Jahrhundert Soldaten zusammengetrommelt hatte, um Korea anzugreifen, sollen viele seiner Männer ums Leben gekommen sein. Aber nicht etwa durch Feindeshand, sondern weil sie in Shimonoseki Fugu gegessen hatten. Daraufhin verbot der Shogun den Verzehr. Hirobumi Ito, der 1885 der erste Ministerpräsident Japans wurde und aus Shimonoseki stammte, erlaubte seinen Landsleuten die Delikatesse dann wieder.

In zumindest einigen Ländern am Mittelmeer, wo sich die Kugelfischart mit dem Namen Lageocephalus sceleratus erst seit einigen Jahren ausbreitet, sind Fang und Verkauf heute untersagt.

In Tokio werden seit einigen Jahren Fugu verkauft, bei denen die giftigen Körperteile zuvor entfernt wurden. Sie dürfen auch ohne eine Lizenz zubereitet werden. Manche hoffen, dass dadurch der Fugu-Konsum in Tokio und anderen Orten steigt. Denn obwohl Fugu in Japan nach wie vor gerne gegessen wird, ist der Verbrauch Medienberichten zufolge rückläufig.

Generell essen Japaner heute weniger Fisch als noch vor einem Jahrzehnt und dafür mehr Fleisch. Verzehrten Japaner laut Regierung 2001 im Schnitt 40,2 Kilogramm Fisch, waren es 2013 pro Kopf noch 27 Kilogramm. Ein Grund sei der westliche Einfluss auf die Essgewohnheiten. Außerdem sei Fisch heute oft teurer als Fleisch.

Um den Trend umzukehren, hat der Staat die Losung ausgegeben: «Lasst uns mehr Fisch essen.» Beim Fugu kommt hinzu, dass der Fisch zwar fast überall um das Inselreich herum vorkommt, es angesichts der rasanten Überalterung Japans aber immer weniger Fischer gibt.

Vor diesem Hintergrund wurden in den vergangenen Jahren die Zuchttechniken immer weiter entwickelt. Zudem gibt es günstige Zucht-Fugu aus China. «Viele meinen, die natürlichen Fugu schmeckten besser. Aber gezüchtete, günstigere Fugu schmecken genauso gut. Es wird nur ganz wenige Gourmets geben, die den Unterschied herausschmecken», sagt Miyata.

Fugu-Fans bewundern das besonders fettarme Fleisch und die feste Konsistenz. Typischerweise wird Fugu als hauchdünne Sashimi-Scheiben zubereitet, die man in eine Soße aus Soja und Saft einer bitteren Orange tunkt, «Ponzu» genannt. Die Scheiben müssen so dünn sein, dass man das Muster des Tellers durchscheinen sieht.

Im Winter wird Fugu auch gerne als Eintopf gegessen. Zudem gibt es frittierte oder getrocknete Fugu. In traditionellen Fugu-Orten werden die Flossen zur Herstellung von Sake-Reiswein verwendet.

Fugu wird traditionell besonders gerne in Westjapan gegessen. Nach Angaben der Wirtschaftszeitung «Nikkei» wird 60 Prozent der gesamten Menge von Fugu auf japanischen Märkten in Osaka verkauft. In Shimonoseki oder der Präfektur Oita, wo Fugu-Essen eine Tradition ist und immer noch zum Alltag gehört, kann man den Kugelfisch im Supermarkt oder beim Fischhändler bekommen. Im Großraum Tokio hingegen hat Fugu das Image einer teuren Delikatesse, die man in Edelrestaurants isst. Ein Vier- bis Fünf-Gänge-Menü kostet dort locker 30 000 Yen (gut 200 Euro). Pro Person natürlich. dpa

Giftige Invasion: Ein Kugelfisch verbreitet sich im Mittelmeer

Von Sophie Rohrmeier

Was für ein toller Fisch, denkt sich ein angelnder Tourist an der Mittelmeerküste. Silbern glänzt der Rücken, gesprenkelt mit schwarzen Punkten. Weißer Bauch. Ab auf den Grill mit dem Fang. Es folgt eine tödliche Mahlzeit, denn der tropische Kugelfisch Lagocephalus sceleratus ist hochgiftig. Die Szene ist Fiktion - aber eine, die auf Wirklichkeit beruht. Denn im östlichen Mittelmeer haben sich schon Menschen mit dem lebensbedrohlichen Fisch vergiftet. Inzwischen hat er es bis nach Italien und Spanien geschafft.

«Der fühlt sich da ja sehr wohl. Und er ist eine Gefahr», sagt der Toxikologe Dietrich Mebs, der früher am Universitätsklinikum Frankfurt lehrte. Er ist Fachmann für Fischgifte und hat das Buch «Gifte im Riff» geschrieben. Andere Experten nennen den L. sceleratus - zu Deutsch Hasenkopf-Kugelfisch - den «schlimmsten fremdartigen Fisch» im Mittelmeer. Erst vor wenigen Jahren war er aus dem Roten Meer über den Suez-Kanal ins Mediterrane geschwommen. Schnell breitete er sich im östlichen Mittelmeer aus. Forscher sprechen von Invasion - und wegen der Folgen von einer Pest.

Jetzt steige die Zahl der Exemplare auch im Westen, sagt Maria Corsini-Foka. Sie ist Meeresbiologin am Griechischen Zentrum für Meeresforschung auf Rhodos, an dessen Küste der Kugelfisch recht häufig ist. Aber inzwischen taucht er sogar in den Gewässern bei Spanien auf. Vor sechs Jahren ging dort vor Katalonien der erste ins Netz, bis 2013 fünf weitere - und im vergangenen Jahr allein waren es nach Angaben der Behörden schon zehn. Aus Malta, Italien und Algerien gibt es ebenfalls Meldungen.

Dennoch: Toxikologe Mebs fürchtet, dass der Fisch in der Bevölkerung nicht bekannt genug ist. Ans Mittelmeer reisen jedes Jahr unzählige Touristen. Und das Gift des Kugelfisches - das Tetrodotoxin - gehört zu den tödlichsten Nervengiften, die derzeit bekannt sind. Alle Kugelfische tragen es in sich, es komme aber auch in Landtieren vor, sagt Mebs. Wer den Hasenkopf-Kugelfisch isst, vergiftet sich.

Berichte von Vergiftungen gab es zunächst in der Türkei, wo der Kugelfisch 2003 vor Akyaka zum ersten Mal im Mittelmeer entdeckt worden war. Auf einem Markt hatten unbedarfte Fischer den Fisch verkauft. Auch in Israel gab es einen dokumentierten Fall: Ein Hobbyfischer konnte gerade noch gerettet werden.

Die Lähmung befalle das äußere Nervensystem, gehe also nicht vom Gehirn aus, erklärt Mebs. «Das heißt: Ich kriege das bei vollem Bewusstsein mit.» Zuerst verschwindet das Gefühl unter anderem in den Fingerspitzen. Dann greift die Lähmung um sich. Sobald sie die Atemmuskulatur erreicht, besteht akute Lebensgefahr. Einzige Rettung: künstliche Beatmung.

Türkische, griechische und zypriotische Behörden verboten den Fang und Verkauf von Kugelfischen. Auch in Deutschland ist er illegal. In Japan dagegen werden verschiedene Kugelfischarten - meist von spezialisierten Köchen zubereitet - als Delikatesse verzehrt.

Die professionellen Fischer in Spanien sind noch entspannt. Sie sehen im Hasenkopf-Kugelfisch keine Gefahr. Schließlich ist er mit seinem großen, in die Länge gezogenen Kopf leicht zu erkennen - auch weil er keine Schuppen trägt, sondern kleine Stacheln an Kopf und Rücken.

An den östlich gelegenen Küsten dagegen leiden einige Fischer. Nicht nur weil der L. sceleratus, der mehr als einen Meter lang werden kann, ihnen die Tintenfische wegfrisst und als unverkäuflicher Fang Platz im Netz wegnimmt. Sondern weil er auch Netze zerfetzt. Das Tier hat sehr kräftige Zähne - vier Zahnplatten, um genau zu sein. Der Jäger zertrümmert damit die Schalen von Muscheln oder Krustentieren. Angelhaken aus Metall durchzubeißen, ist für ihn kein Problem.

Das weckt menschliche Ängste - vor durchgebissenen Fingern oder Zehen. Dass allerdings Urlauber etwa in Spanien beim Baden im Mittelmeer einem Kugelfisch begegnen, ist nicht zu befürchten. Die Tiere leben nach Angaben von Experten zwischen 10 und 100 Meter unter der Wasseroberfläche, zuweilen auch noch tiefer.

Auch deshalb warnt Timo Moritz vor einer Dramatisierung. Der wissenschaftliche Leiter des Deutschen Meeresmuseums in Stralsund hält die öffentlichen Reaktion auf den L. sceleratus im Mittelmeer für aufgebauscht. Von den rund 750 Fischarten im Mittelmeer sind ihm zufolge bis zu 150 eingewandert, ein Großteil aus dem Roten Meer.

Der L. sceleratus ist nicht die einzige Kugelfisch-Art im Mittelmeer - und auch nicht die einzige giftige. Tiere, die der Mensch nicht direkt nutzen könne, prinzipiell als Schädlinge darzustellen ist Moritz' Ansicht nach ebenso fragwürdig wie ihre Nahrung in wirtschaftlichen Schaden umzurechnen.

«Und sehr große Exemplare könnten vielleicht auch mal einen Finger durchbeißen, aber den müsste man dem Tier wohl vorher in den Mund stecken», sagt Moritz. Der L. sceleratus ist, anders als seine Artverwandten, ein guter Schwimmer: Er blase deshalb seinen Bauch nicht so häufig auf, und der Ballon werde nicht so rund wie bei anderen Kugelfisch-Arten, die man aus Aquarien kennt. Und wenn er sich bedroht fühlt? Dann, sagt Moritz, versucht er erstmal abzuhauen. dpa