Land der autochthonen Rebsorten Weinreise Türkei

Nach einem Zwischenstopp in der pulsierenden türkischen Metropole Istanbul setzt die Maschine in Kayseri in Zentralanatolien zur Landung an. Hier läuft alles merklich in einem anderen Tempo, man ist deutlich entspannter und geerdeter. Willkommen in der Region Kappadokien, dem "Land der schönen Pferde" mit seinem ganz besonderen Charme und einer bei uns noch wenig bekannten Weinbaukultur.

Fährt man von Kayseri nach Westen in Richtung Nevsehir, ins Herz des kappadokischen Weinbaus, kommt man bald aus dem Staunen nicht mehr heraus. Kappadokien ist seit 1985 UNESCO-Weltkultur- und Naturerbe und berühmt für seine atemberaubende Landschaft geprägt von hohen Vulkanen und den sogenannten "Feenkaminen" aus weißem Tuffstein. Nicht zuletzt dieser macht Wein aus der Region so einzigartig.

Panorama von Göreme

In der Türkei gibt es schätzungsweise zwischen 600 und 1200 autochthone Rebsorten. Zu den bekanntesten und beliebtesten weißen Trauben zählen Narince (im Deutschen "feingliedrig, zart", hohe Säurewerte) und Emir (der "Auftrag", auch eine alte türkische Titulierung - gibt erfrischende Weine). Bei den roten Sorten kommt man nicht an Öküzgözu (aufgrund der Größe der Beeren "Ochsenauge" genannt), Bogazkere (zu Deutsch "Rachenputzer", mit sehr hohen, dichten Tanninen und gerne mit Öküzgözü verschnitten) oder Kalecik Karasi ("schwarze Traube" aus Kalecik) vorbei.

Reinsortig ausgebaut oder als ausdrucksstarke Cuvées finden sich Aushängeschilder Kappadokiens bei den familiengeführten Weingütern Kocabag oder Kavaklidere. Angeblich war auch bereits die deutsche Kanzlerin privat in der Gegend und hat sich neben dem obligaten Besuch im Nationalpark von Göreme durch zahlreiche Weine der Region gekostet.

Das sehr trockene Kontinental-Klima Zentralanatoliens kann hier durchaus als wüstenähnlich bezeichnet werden. Auf dem mehr als 1.000 Meter Seehöhe liegenden Hochplateau Kappadokiens sind Temperaturen von minus 20 oder 25 Grad im Winter keine Seltenheit. Im Sommer wird es tagsüber bis zu 38 oder 40 Grad heiß, während es nachts angenehm abkühlt. Gelesen wird demzufolge in der Zeit von Anfang September bis Ende Oktober nur in der Nacht bei annehmlichen 10 bis 13 Grad.

Niederschläge gibt es nur spärlich, meist im Winter und im Frühjahr. Für die Rebstöcke bedeutet das aber kein Problem: Die regionale Besonderheit Kappadokiens, der Tuffstein vulkanischen Ursprungs, speichert Feuchtigkeit sehr gut. Gleichzeitig bewirken die unterirdischen natürlichen Kammern und Höhlen an heißen Sommertagen eine gute Kühlung von unten. Diese Faktoren sorgen für eine verlängerte Vegetationsperiode und begünstigen auch die balancierte Entwicklung von Säure- und Zuckergehalt in den Trauben - bei Alkoholwerten von mindestens 13 oder 13,5 Volumenprozenten.

Der Winter naht

Kavaklidere bewirtschaftet Rebflächen in der ganzen Türkei und beschäftigt heute drei Önologinnen. Es ist das älteste und mit rund 550 Hektar größte Weingut des Landes, 1929 am Stammsitz in Ankara gegründet. Die Weine sind elegant und zeigen eine deutlich internationale Stilistik. Neben den klassischen autochthonen Rebsorten finden sich auch bei uns bekannte Vertreter wie Chardonnay, Merlot, Malbec oder Tempranillo im breiten Angebot von Kavaklidere, die entweder im Stahltank oder im Barriquefass ausgebaut werden.

Sanem Karadeniz, Önologin bei Kavaklidere

Kocabag, 1972 gegründet, wird in zweiter Generation von den drei Brüdern Memduh (Produktion & Marketing), "Cowboy" Mesut (Weinberge) und Hasan Erdogan (Finanzen & Immobilien) geführt. Die Weine sind vergleichsweise erdig, authentisch und regionstypisch, sie lassen die landschaftlichen Charakteristika auch im Glas Revue passieren.

Memduh Erdogan, Kocabag

Memduh und Cowboy schwören auf den Ausbau in Beton. Der passe perfekt zur Landschaft, sind sie überzeugt. Lediglich die Vergärung erfolgt im Stahltank. Im Gegensatz zu Kavaklidere sind verschiedene Produktionsstätten teils in den weichen Tuffstein hineingegraben. Auch die Lagerung der Weine erfolgt in langen unterirdischen Gängen, die das ganze Jahr über konstante 8 bis 10 Grad aufweisen und eine ganz besondere Atmosphäre erzeugen.

Bei Kocabag fällt der "K of Kapadokia" auf: Die Heißluftballons, die in den Morgen- und Abendstunden zu Dutzenden über die bizarre Landschaft Kappadokiens ziehen, finden sich in Landesfarben auf tuffsteinfarbigem Etikett wieder. Das "K" stünde für das türkische Wort "Kaya", den "Fels", der Kappadokien landschaftlich so einzigartig prägt, sagt Memduh. Der Wein ist eine Cuvée aus Öküzgözu und Bogazkere, die vier bzw. zwei Monate in französischen Barriques ausgebaut wurden und geschmacklich überraschend an einen guten, samtigen Burgunder oder ein herzhaftes Rhône-Gewächs erinnert. Der Kappadokien-Heimkehrer wird sich freuen, ihn auch in unseren Breiten finden zu können, denn Kocabag war und ist federführend im türkischen Weinexport.

Im deutschsprachigen Raum zählt türkischer Qualitätswein ebenso wie Wein aus China, Thailand oder Israel noch zu den Exoten und ist im Handel kaum zu finden. Derzeit werden weniger als fünf Prozent der Produktion exportiert - "die meisten Türken trinken Wein", schmunzelt Memduh Erdogan. Die Türkei ist aktuell der sechstgrößte Traubenproduzent und hat mit rund 504.000 Hektar die fünftgrößte Anbaufläche der Welt. Der Großteil der Trauben wird für den Verzehr genutzt, aber Wein aus der Türkei sollten wir unbedingt im Auge behalten.

Die Tendenz geht derzeit spürbar in Richtung Export. Die eigenwillig rassig-erdigen Weine passen nicht nur zur regionalen Küche (Salate, Ezme - traditionelle pürierte Vorspeisen wie Humus, Tsatsiki und noch viel mehr, rosa gebratenes Rind, zart gegrilltes Lamm), sondern auch hervorragend zu internationaleren Gerichten wie Pasta, kräftigen vegetarischen Speisen oder auch Sushi.

Göreme Nationalpark

Viel mehr ist weingutstechnisch in knappen eineinhalb Tagen Kappadokien kaum zu schaffen, wenn man nicht gänzlich den Blick für das unbekannte, faszinierende Land verlieren will. Zumindest Göreme mit seinen unterirdischen Behausungen und Kirchen aus der Zeit der Christenverfolgung will unbedingt gesehen worden sein. Im 11. und 12. Jahrhundert nach Christus versteckten sich seine Anhänger in der Region in unterirdischen Städten und lebten ihren Glauben in Kirchen aus, deren Architektur wie Deckenbemalung - aufgrund des besonderen Klimas unter der Erde - heute noch bemerkenswert gut erhalten sind.

Die Böden vulkanischen Ursprungs bieten sowohl für das kulturelle Erbe als auch den Wein Kappadokiens die idealen Voraussetzungen. Auf die "schönen Pferde" trifft man heute übrigens großteils für Ausritte zwischen den Feenkaminen - ein besonderes Erlebnis für diejenigen, die dem Erdboden vielleicht etwas näher bleiben und die Ballonfahrt lieber nur im Glas genießen möchten. So fällt denn der Abschied aus Kappadokien schließlich nicht ganz so schwer, und die Fahrt zum Flughafen erlaubt noch einen letzten Blick auf die abenteuerlichen Felsformationen links und rechts der Straße, durchzogen von einzelnen Weingärten.

Weinempfehlungen:

K of Kapadokia von Kocabag bei Jacques‘ Wein-Depot um 9,95 Euro.
www.jacques.de

Kavaklidere Rosé und Cankaya: www.gourient.de/kavaklidere-cankaya.html

Weitere Empfehlung: Kayra Öküzgözü 2012, 12,75 Euro, www.drinksfood.de turksarap.de/kayraweine