Reise zum Genfer See

Alain Freudiger öffnet eine schmale Tür im Westturm der Kathedrale. Dann geht er über schmale Stufen nach oben, so wie der Nachtwächter schon vor 600 Jahren aufgestiegen ist, um die Stadt zu überblicken und vor Feuern und Eindringlingen zu warnen. Seit dem Jahr 1405 gehören die Turmwächter untrennbar zu Lausanne. «Wenn die Stadtväter diese Stelle streichen wollten, gäbe es wohl einen Volksaufstand», sagt Freudiger lachend. Eigentlich arbeitet er als Radiojournalist, er hilft aber auf dem Turm aus, wenn die Nummer eins frei hat.    

Plötzlich erzittert das ganze Gebälk - die Glocke «Marie Madeleine» schlägt zur vollen Stunde. Freudiger ruft - so laut er kann - die Zeit aus, in jede Himmelsrichtung einmal. Das geht so bis 2 Uhr morgens. Zwischendurch kann er sich in eine kleine Kammer zurückziehen. Ja, verschlafen habe er auch schon mal, sagt er, doch das komme ganz selten vor. Sein größter Schreckmoment war aber, als frühmorgens ein waghalsiger japanischer Tourist übers Baugerüst nach oben geklettert war und neugierig ins Kämmerchen schaute.    

Die Kathedrale, ein Meisterwerk der gotischen Baukunst, thront auf dem Altstadthügel. Gleich nebenan liegen l'Ancien Eveche, ehemaliger Bischofssitz, heute Historisches Museum, und das Château Saint-Marie, in dem die waadtländische Kantonalregierung ihr Quartier bezogen hat. Stille Gassen verbinden die monumentalen Gebäude miteinander. «Lausanne wurde auf drei Hügeln erbaut, hat die Füße im Wasser und das Haupt in den Wäldern», sagt Annick Tanja Dubas vom Lausanner Tourismusbüro. «Mehr als 550 Höhenmeter liegen zwischen dem Stadtteil Ouchy direkt am Seeufer und dem höchsten Punkt der Gemeinde. Besucher sollten also gut zu Fuß sein und auf bequemes Schuhwerk achten.»    

Überdachte Holztreppen, führen vom Vorplatz der Kathedrale hinunter ins quirlige Stadtzentrum. Kleine Gassen mit Cafés und Boutiquen prägen das Stadtbild im mittelalterlichen Stadtkern. Avantgardistisch gibt sich dagegen das ebenfalls zentral gelegene Quartier Flon. In die einstigen Speicher und Lagerhäuser sind Kinos, Galerien, Bars und Restaurants eingezogen, jeden Abend füllt sich das Viertel mit jungen Lausannern in Partylaune.    

Zum Flon gehört auch ein hypermoderner Bahnhof aus Glas und Stahl, der das Stadtzentrum mit den im Westen gelegenen Hochschulen verbindet. Von hier fährt die Bahn auch hinunter zum Stadtteil Ouchy am See. Ein kurzer Spaziergang am Seeufer macht deutlich, warum Lausanne den Beinamen Olympische Hauptstadt trägt. Zunächst fallen die blumengeschmückten Promenaden und das traditionsreiche Beau-Rivage Hotel ins Auge, aber am Quai d'Ouchy lohnt vor allem das Olympische Museum einen Besuch.    

Zwei Stunden sollte man sich mindestens Zeit nehmen, um das größte Informationszentrum der Welt über die olympische Bewegung zu besichtigen. Zu sehen ist eine spannende Dokumentation der Olympischen Spiele von der Antike bis zur Neuzeit, und die Palette der Ausstellungsstücke reicht von einer etruskischen Fackel bis zum Schuh von Carl Lewis. Nicht nur das Internationale Olympische Komitee hat seinen Sitz in Lausanne, auch zahlreiche Sportverbände haben sich hier angesiedelt.    

«Der See heißt eigentlich Lac Léman», erklärt Maurice Decoppet, Präsident des Verbandes der Freunde der Dampfschifffahrt. Er ärgert sich wie viele Waadtländer darüber, dass der 582 Quadratkilometer große See im Englischen wie im Deutschen Genfer See genannt wird. Schließlich sei Genf doch nur eine von vielen schönen Städten am See. Die Schiffe der «Compagnie Generale de Navigation», darunter auch fünf historische Schaufelraddampfer, verbinden alle wichtigen Orte.    

Am äußersten Südwestzipfel des Sees, der wie kein anderer in der Schweiz wie ein Meer wirkt, liegt Genf, die drittgrößte Stadt der Schweiz. Die Stadt der Kongresse und Automobilsalons erstreckt sich beiderseits der Rhône, die hier den See verlässt und sich auf den Weg nach Frankreich macht.

Am rechten Ufer liegen die meisten großen Hotels und viele Restaurants, links erhebt sich die Altstadt mit Kathedrale sowie Einkaufs- und Geschäftsviertel. Eine imposante Wasserfontäne, 140 Meter hoch, gilt als Wahrzeichen der Stadt, in der sich viele internationale Organisationen niedergelassen haben. Rund 200 sind es, von der Internationalen Arbeitsorganisation über die Fernmeldeunion bis hin zum Weltbund der Meteorologen.    

Einen Besuch wert ist der Vorort Carouge, der sein dörfliches Flair weitgehend erhalten konnte. Ein anderer Abstecher führt ins 25 Kilometer entfernte Nyon, eine hübsche Kleinstadt mit Château und Fischern, die schon frühmorgens Flussbarsche aus dem See mit ans Ufer bringen.    

In der von Wein geprägten Region darf vor allem im Herbst ein Ausflug zu den Rebhängen nicht fehlen. Oberhalb von Vevey schlängeln sich ungezählte Wanderwege durch die Weinberge, und vor den Toren von Lausanne führen gut beschilderte Wege durch die terrassenförmig angelegten Weinberge des Lavaux, die zum Weltkulturerbe der Unesco gehören. (Detlef Berg, dpa)

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