#Sugarfree & Clean Eating Food-Trend Zuckerfrei

Von Gisela Gross

Der Feind steckt nicht nur in Muffins oder in der Schoko. Er lauert auch dort, wo ihn kaum einer vermutet. In Essig und Wurstbrot zum Beispiel. Davor warnen derzeit eine Reihe von Autoren und Bloggern, das Stichwort #Sugarfree zieht sich durch die sozialen Netzwerke. Zuckerhaltiges Essen wird da schon mal zur Droge erklärt, das Leben ohne zum Selbstversuch. Statt Marmelade gibt es Frischkornbrei, statt Haushaltszucker wandert Ersatzsüße mit Namen wie Erythrit in den Käsekuchen. Der nächste große Hype nach Vegan, Laktose- und Glutenfrei? Experten sehen das kritisch.

Der neuen Welle der Zucker-Gegner geht es um mehr als Karies. Mit dem Verzicht in Verbindung bringen sie strahlenden Teint, weniger Falten, purzelnde Pfunde, mehr Geschmackssinn und Konzentrationsfähigkeit. «Es war ein neues Leben», sagte die Moderatorin Anastasia Zampounidis im vergangenen Jahr in einer Talksendung, zehn Jahre nach ihrer Umstellung auf zuckerfreie Kost. Vorher sei sie eine Abhängige gewesen, sagte sie. Frauenmagazine stürzten sich auf das Thema, denn der Moderatorin war ihr Alter, 48, keineswegs anzusehen.

Kann das wirklich am Zuckerverzicht liegen? «Zucker ist nicht übermäßig gesund, und wenn wir davon viel essen, hat er negative Wirkungen für den Stoffwechsel. Aber Daten zu Wirkungen für die Schönheit gibt es nicht», sagt der Endokrinologe Andreas Pfeiffer vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam und der Charité Berlin.

Negative Folgen beträfen vor allem bereits dicke Menschen. Bei gesunden Schlanken sei eine schädliche Wirkung sehr, sehr schwer nachzuweisen. Zu Dosis und Wirkung von Zucker gibt es wenige Daten, Versuche an Mäusen sind nicht 1:1 auf den Menschen übertragbar. «Zucker weglassen hat im Wesentlichen den Effekt, dass man weniger dick wird, wenn man zum Dicksein neigt», bilanziert Pfeiffer.

Kein Zucker, das ist auch Teil von Ernährungsstilen wie Clean Eating (moderne Vollwertkost) und der Steinzeiternährung Paleo. Gemeint ist meist der Verzicht auf Industriezucker und Fertigprodukte, die Zucker etwa in Form von Glukose-Fruktose-Sirup enthalten. Teils kommen stattdessen kalorienärmere Süßstoffe auf den Teller. Streng genommen wäre zuckerfreie Ernährung auch frei von Kohlenhydraten und Waren, die von Natur aus Zucker enthalten, wie Obst, Gemüse und Milch.

Vermarktet wird «Zuckerfrei» mit viel Englisch («cleanes Lifestyle-Lebensgefühl mit unzähligen Feel-Good-and-Be-Happy-Momenten», aus einer Buch-Beschreibung). Wer spricht noch von Diät? Heute geht es um die «Challenge», eine Herausforderung. Dahinter steckt Altbekanntes: ein Plan zur Ernährung über mehrere Wochen, den es durchzuhalten gilt. Fotos zeigen Frauen mit grünen Smoothies und Obstkörben. Eine Ratgeber-Autorin schreibt vorweg im Freundinnen-Tonfall: «Ich bin keine Wissenschaftlerin, sondern ein menschliches Versuchskaninchen.»

Mit schöner Verpackung lasse sich der Laie in Essensfragen schnell verleiten, sagt die Ernährungswissenschaftlerin Gabriele Kaufmann vom Bundeszentrum für Ernährung. Dabei ist für sie klar: «Komplett zuckerfrei muss nicht sein.» Sie betont auch mit Blick auf Gesunde, die etwa auf Gluten verzichten: «Es gibt keine falschen Lebensmittel, nur einen falschen Umgang damit.» Das heißt: zu viel, zu einseitiges Essen. Kaufmann warnt sogar, aus dem Takt geraten könne der Stoffwechsel gerade durch Ernährungsumstellungen ohne professionellen Rat. Jojo-Effekt nach der «Challenge» womöglich inklusive.

Antje Gahl, Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), ist auch beim Ausweichen auf Süßstoffe skeptisch: Diese seien oft teuer und sollten maßvoll eingesetzt werden. Zwar würden sie als sicher gelten. Eine Neubewertung sei aber erst 2020 abgeschlossen.

So etwas wie der Papst der Zucker-Abstinenzler ist Robert Lustig von der University of California. Der Mediziner, der ein Millionenpublikum auf YouTube hat, warf der US-Lebensmittelindustrie schon vor Jahren vor, «Gift» im Essen zu verstecken - in Form von Zuckersirup aus Mais, der viel stoffwechselungünstige Fruktose enthält. Diese billige Süße stecke in Limos, Brot und Fertigessen und sei zu einem Hauptnahrungsmittel geworden. Für Lustig die Ursache für Übergewicht und Krankheiten wie Diabetes in den USA.

Lustig gehe von sehr hohem Zuckerkonsum aus, so Forscher Andreas Pfeiffer. Unabhängig davon, dass der Mais-Sirup in Deutschland bisher nicht verarbeitet wird, ist für ihn vielmehr die Kombination aus Zucker und Fett in Gebäck «ziemlich toxisch». Und natürlich seien zu viele zu süße, attraktive Produkte auf dem Markt, allen voran Limonaden. «Das ist ein Riesenproblem. Die Leute essen einfach ziemlich ungesund», sagt Pfeiffer.

Zucker ein Suchtmittel zu nennen, findet er aber problematisch. Starkes Verlangen danach sieht er in Psyche und erlernten Gewohnheiten verwurzelt. Das geht schon im Kindesalter los - wenn es zur Belohnung Süßigkeiten gibt. dpa

Zuckerarm ernähren: Wie viel Zucker ist zu viel?

Ernährungswissenschaftler empfehlen: Je weniger Zucker, desto besser. Der Genuss von Süßem ab und an sei aber völlig in Ordnung, sagt Expertin Gabriele Kaufmann vom Bundeszentrum für Ernährung. Radikalverzicht sieht sie kritisch: «Das, was verboten ist, macht am meisten Spaß.»

Aber was heißt das, wenig Zucker? Konkrete Empfehlungen hängen vom eigenen Energiebedarf ab - also zum Beispiel davon, ob man viel Sport macht, im Büro oder auf der Baustelle arbeitet. Als Obergrenze rät die Weltgesundheitsorganisation WHO, dass weniger als zehn Prozent der täglichen Energiezufuhr aus freiem Zucker stammen sollten. Damit sind nicht nur zugesetzte Zucker zum Beispiel aus Fertigtomatensoße gemeint, sondern auch jener aus Honig, Sirup und Fruchtsäften.

2015 ergänzte die WHO, es sei für einen gesundheitlichen Extra-Nutzen ratsam, den Zucker-Anteil auf unter fünf Prozent zu senken. Bei einem Durchschnittsverbrauch wären das sechs Teelöffel oder 25 Gramm Zucker aus Cola, Ketchup, Tiefkühl-Pizza oder anderen verarbeiteten Lebensmitteln täglich im Mittel. Schon ein großes Glas Limo mit 250 Milliliter enthält mehr. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) sieht Vorteile durch den geringeren Wert aber nicht ausreichend nachgewiesen und betont, diese Menge sei schwer zu erreichen.

Wer das Gefühl hat, zu viel Süßes zu essen, könne an der eigenen Reizschwelle arbeiten, sagt DGE-Sprecherin Antje Gahl. Will man sich von der Vorliebe für viel Süße entwöhnen, könnten weniger Löffel Zucker im Kaffee ein Anfang sein.

Warum mögen Menschen Süßes?

Die Vorliebe für Süßes ist tief im Menschen verwurzelt: Schon Muttermilch schmeckt leicht süß. Wenn später zum Beispiel eine Beere so schmeckt, ist klar: vermutlich ungiftig. Eine zweite Botschaft, die unterschwellig von Süßem ausgeht ist, dass es sich um einen Lieferanten von viel Energie handelt. Beide Faktoren sicherten im Laufe der Evolution das Überleben. Dabei waren Honig und später Zucker lange Zeit rare Kostbarkeiten.

Heute hat sich das umgekehrt: Viel Zucker steckt in Limonaden und auch Fertigprodukten. Die Zutat dient etwa als Konservierungsmittel und verbessert den Geschmack - damit werden etwa bittere oder saure Noten ausgeglichen.