Vom Weintrinker zum Hobbywinzer

Von Yvonne Stock

Ihre Feinde heißen Dickmaulrüssler, Mehltau und Traubenwickler, aber auch das Wetter könnte den 20 Frauen und Männern noch gefährlich werden. Ihr Ziel ist rot, flüssig, alkoholhaltig und heißt Frühburgunder. Die Gruppe nimmt am Kurs «Winzer für ein Jahr» der Volkshochschule (VHS) Neuwied teil und bewirtschaftet einen kleinen Weinberg mit knapp 100 Reben auf dem Weingut Sturm in Leutesdorf (Landkreis Neuwied) am Rhein.

An diesem Tag stehen Rebenschneiden und Heften auf dem Programm. «Wir schneiden die Frostruten ab, die wir beim letzten Mal als Versicherung für den Frostfall stehen gelassen haben», erklärt Weingutbesitzer Martin Sturm. Mit Rosenscheren bewaffnet machen sich alle ans Werk, die Reben auszulichten und die längsten Triebe mit Draht gegen Sturm zu sichern. Die meisten gehen eher zögerlich vor.

«Die schönen Trauben, wir sind doch froh, dass etwas wächst», klagt Jens Zocher. Er kommt für den Kurs ein Mal im Monat aus Mönchengladbach in das Weindorf. «Wir haben eine Finca in Andalusien gekauft und wollen dort hobbymäßig Weinbau betreiben», erzählt Zocher. Das dafür nötige Wissen könne man sich nicht einfach anlesen.

Sturm drängt ihn und die anderen Teilnehmer zu «luftigen» Pflanzen. «Übermäßig viel Laub führt zu Krankheiten des Rebstocks», erklärt der Profi, bevor er von einem durch das Rheintal ratternden Güterzug übertönt wird. Bei einem Befall mit Mehltau etwa droht ein Ernteausfall.

Im vergangenen Jahr konnte jeder Kursteilnehmer neben dem erlernten Wissen sechs Flaschen selbst produzierten Wein mitnehmen. Die rund 200 Euro teure Schulung gibt es schon im dritten Jahr, wegen der großen Nachfrage sind es nun zwei Kurse in zwei Weinbergen. Die Teilnehmer kommen auch aus Hessen und Baden-Württemberg angereist, erzählt VHS-Mitarbeiterin Ursula Jungbluth. Für 2015 hat sie schon zehn Anfragen. «Ich wüsste bis auf Bingen keine weitere Volkshochschule in Rheinland-Pfalz, die das in der Form anbietet», sagt sie. Auch dort ist der Kurs «Der Weinberg ruft» seit 2006 gut nachgefragt, wie eine VHS-Sprecherin sagt.

Weil Sturm einen zertifizierten Bio-Betrieb führt, beugt der Winzer dem Mehltau mit Schwefel und Kupfer vor. Dabei nutzt er auch Rechenmodelle des Dienstleistungszentrums Ländlicher Raum (DLR), die je nach Wetterprognose empfehlen, wann er die Schwefel-Behandlung wiederholen sollte.

In Bio-Weinbaubetrieben ist laut EU-Verordnung neben dem Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln auch der von mineralischem Stickstoffdünger und Unkrautbekämpfungsmitteln verboten. «Ich trinke gerne Bio-Wein und wollte wissen, was der Unterschied zum konventionellen Anbau ist», sagt Carmen Simon-Wirges. Jetzt ist ihr klar, warum der Hahnenfuß unter Sturms Reben üppig gelb blüht und bei seinem konventionell wirtschaftenden Nachbarn kaum ein Kraut wächst.

«Pflanzenschutz war der Punkt, vor dem ich den größten Respekt hatte», erinnert sich Winzer Sturm an seine Existenzgründung in Leutesdorf 2010. Neben Mehltau können auch der Dickmaulrüssler - ein Käfer - und die Larven des Traubenwicklers - ein Falter - Schäden anrichten. Sturm war Journalist, bevor er 2003 zunächst nebenberuflich begann, seiner Leidenschaft für besondere Tropfen mit einer Winzerlehre nachzugehen. Im Lauf der Zeit stellte der 44-Jährige fest: «Die größte Herausforderung ist die Bodenpflege.» Mit Mähen und Mulchen versucht er, dem Unkraut Herr zu werden.

Bis zu 70 Prozent Steigung muss Sturm bezwingen, wenn er seine mehr als drei Hektar Rebfläche mit Stallmist düngt. Bio-Anbau in Steillage sei eine «Supernische». «Die Steillage ist ein mindestens so starker Kostentreiber wie die ökologische Arbeitsweise.»

Seit 1999 ist die ökologisch bewirtschaftete Rebfläche in Rheinland-Pfalz laut Statistischem Landesamt von 950 auf rund 4500 Hektar gewachsen. Den 400 Öko-Betrieben standen 2013 indes 8100 konventionell arbeitende Winzer gegenüber. Stolz erzählt Sturm, dass ehemalige Kursteilnehmer inzwischen selbst kleine Weinberge bewirtschaften. «Das ist ein Gewinn für den Ort und unsere Steillagenlandschaft.» dpa