René Redzepi aus dem Restaurant Noma auf der Chefsache

Der junge Koch steht in brauner Schürze, Turnschuhen und Jeans auf der Bühne, streicht die dunklen Haare aus der Stirn und verrät seine Zutaten: Rentierflechten, Meerkohl, Seegras-Sprossen und «beschissene Karotten». Für die Gerichte, die er daraus zaubert, erntet René Redzepi aus Kopenhagen den Jubel von Hunderten deutscher Kollegen im Saal des Kölner E-Werks.

Der 33-jährige Däne ist in diesem Jahr in einer nicht unumstrittenen Köchewertung auf Platz 1 der Liste der 50 besten Küchenchefs der Welt gewählt worden. Beim zweiten deutschen Gastronomie-Symposium «Chef-Sache» in Köln war er zurecht der Star.

«Redzepi ist nach dem Spanier Ferran Adrià die zweite ganz große Inspiration für die Kochkunst der letzten Jahrzehnte», formulierte Küchenkritiker Jürgen Dollase.

Adriàs Molekularküche ist kein Aufreger und auch kein Vorbild mehr. Viele Köche benutzen seine Küchentechniken, auch sein Ex-Schüler Redzepi. Der kam aus Adriàs Schule mit der Erkenntnis absoluter kreativer Freiheit zurück und verbreitet zusammen mit seinen Kollegen der neuen skandinavischen Küche die Botschaft: «Nur das zubereiten, was es heute in der eigenen Region in der Natur und bei guten Produzenten gibt.» Also auch kein Olivenöl und keine Tomaten.

Auf Englisch erzählt Redzepi, wie er im superkalten letzten Winter zu den Gammelkarotten kam: Er fand keine frischen Zutaten und nahm die Karotten von einem Bauern, der die Vorjahresernte im Boden gelassen hatte. Es waren holzige und harte, eben «shitty carrots».

Doch zwei Stunden lang in Ziegenbutter mit Kamille geschmort, schmeckten sie zart und fleischig. Ähnlich ging es Redzepi mit den winzigen kugeligen Ablegern vorjähriger Kartoffeln: «Kartoffelkaviar!»

Der Chef des Restaurants «Noma» am Kopenhagener Hafen streift ständig auf der Suche nach neuen Produkten und Zutaten über Land und Strand. Er grillt Spargel mit Fichtensprossen, legt unreife Holunderbeeren wie Kapern ein, serviert auch mal lebende und noch zappelnde Shrimps sowie tiefgefrorene Rentierflechte mit Steinpilzpuder.

«Als Koch muss man heute mehr nehmen als die 60 bis 70 Zutaten, mit denen alle Welt arbeitet und die man im Supermarkt findet.» Alte Obstsorten nutzt er, «weil wir Köche eine große Verantwortung haben, dass diese Dinge nicht verschwinden.» Für die Zukunft ist ihm nicht bange. «Es wird immer Neues geben», ruft er den Köchen unter Beifall zu: «Denken Sie an meine Karotten, nutzen Sie alle beschissenen Zutaten dieser Welt.»

Redzepi stand bei der «Chef-Sache», dem ersten wichtigen Gastronomie-Forum mit internationalem Anspruch in Deutschland, nicht allein: Drei-Sterne-Koch Nils Henkel aus Bergisch Gladbach erklärte sein Konzept «Pure Nature» und wie er dabei Birkenextrakt verwendet.

Johannes King aus Sylt zeigte, wie er einen Krabbencocktail zubereitet: mit kaltem Krabbenschnee, Krabbenöl, getrockneten Krabbenchips und essbarem Krabbensand. Der Trend geht überall weg von der klassischen französischen Küche, auch bei den Spitzenköchen Joachim Wissler und Christian Bau, der aber seine Inspiration und neue Aromen jetzt in Japan sucht.

Nur Harald Wohlfahrt aus Baiersbronn machte deutlich, dass er alles Neue sehr zurückhaltend ausprobiert. Der Altmeister der deutschen Drei-Sterne-Köche verlässt sich auf die eigene kreative Linie auf Basis der französischen Schule. «Früher hat man alles aus der Pfanne heraus gekocht», sagte der 54-Jährige in Köln. «Und heute versucht man, das Produkt nach dem Garen durch Aromen aufzuwerten.»

In der Wertung des englischen «Restaurant-Magazine» steht Redzepi nun vor Adrià auf Platz 1 der 50 «besten» Köche der Welt. Sein Restaurant in Kopenhagen bekommt seitdem pro Monat 100 000 Reservierungsanfragen aus aller Welt.

Das Ranking durch regionale Jurys in aller Welt hat zwar große Wirkung, ist aber wenig seriös, da viele Juroren die meisten der weltweit verteilten Restaurants gar nicht kennen. Deutsche Spitzenköche landen nach wie vor nur im Mittelfeld, nach Meinung von Experten wie Dollase zu Unrecht.

Wohlfahrt, der seit vielen Jahren in Deutschland ganz oben steht, wurde sogar von Platz 23 auf Platz 47 abgewertet. Er machte in Köln deutlich, dass er sich vom neuen deutschen Jury-Vorsitzenden Thomas Ruhl benachteiligt fühlt, dem Herausgeber der Zeitschrift «Port culinaire» und Initiator der «Chef-Sache».

Unter dem Beifall der Gäste stellte Wohlfahrt fest: «Einen besten Koch kann es gar nicht geben.» Dazu gebe es viel zu viele verschiedenen Stile. Dieser Meinung ist auch René Redzepi. (Christian Volbracht, dpa)