Kinder halten Erdbeeren für Tomaten

Es gibt in Deutschland Kinder, die eine Tomate nicht von einer Erdbeere unterscheiden können. Diese drastische Erfahrung hat Ernährungswissenschaftler Timo Schmitt in Berlin gemacht. Seit eineinhalb Jahren kocht der Absolvent der Fachhochschule (FH) Münster mit Kindern an Berliner Schulen.

Die Ergebnisse hat er für die Forschung der FH festgehalten. Schon rund 1800 Gäste hat Schmitt in seinem Kochbus begrüßt. Er hat Fragebögen verteilt. Es fehle vor allem an Praxis-Erfahrung in der Küche. Schmitts mobiles Kochstudio ist ein Projekt der Berliner Tafel.

Ernähren sich deutsche Kinder wirklich so ungesund?

Timo Schmitt: «Die Zahlen wirken auf den ersten Blick sicherlich dramatisch: 15 Prozent der Kinder sind übergewichtig und davon sechs Prozent fettleibig. Diese Werte gelten für ganz Deutschland, es gibt keine größeren Unterschiede zwischen den Städten. Auf der anderen Seite rechtfertigen die Zahlen aber keine Panikmache, das würde die Eltern nur verunsichern.»

Können Kinder und Jugendliche überhaupt kochen?

Schmitt: «Meinen Erfahrungen nach eher nicht. Das Interesse ist häufig da, und die Kinder wollen kochen. In der Praxis aber können es nur sehr wenige. Die Eltern sind dabei das größte Problem: Zum einen kocht die Mutti lieber selbst, wenn es schnell gehen muss. Zum anderen hat sie Angst wegen der scharfen Messer und heißen Pfannen. Ich hingegen sehe es täglich bewiesen, dass Kinder kochen können. Die Quote von Schnittverletzungen bei uns ist verschwindend gering.»

Essen Kinder von reichen Eltern anders als arme Kinder?

Schmitt: «Überhaupt nicht, da gibt es keinerlei Unterschiede zwischen verschiedenen Schichten. Kinder von berufstätigen Eltern mit Hausmädchen wissen nicht mehr über Ernährung als ein Kind aus einer Hartz-IV-Familie. Bei der Ernährungsbildung von Kindern besteht ein allgemeiner Mangel, der völlig schichtunabhängig ist.»

Was war bislang das kurioseste Erlebnis im Kinderkochstudio?

Schmitt: «Also das erschreckendste Ergebnis meiner Arbeit ist, dass viele Lebensmittel einfach nicht erkannt werden. Und es ist ja nicht so, dass wir hier besonders exotisch kochen würden. Es gab zum Beispiel den Fall, dass Erdbeeren auf dem Tisch standen, die dann für Tomaten gehalten wurden. Und eine gelbe Zucchini wird auch gerne mal als Banane erkannt. Das ist schon traurig teilweise.»

Was müsste sich in der Schule ändern?

Schmitt: «In den Lehrplänen gibt es genügend Veranstaltungen zur Ernährung, und die meisten Kinder in meinen Kochkursen sagen auch, sie hätten schon viel über gesunde Ernährung gehört. Was fehlt, ist die Praxis. Deswegen schneiden die Kinder dann mit der stumpfen Seide des Messers oder wissen nicht, wie heiß die Pfanne beim Kochen wird.» dpa