Kochen, kochen, kochen Jahrhundertkoch Witzigmann

Von Sabine Dobel

Den Kochlöffel wird er zu seinem Geburtstagsfest nicht selbst schwingen: «Gute Geister organisieren das Ganze, ich habe nur aus gut unterrichteten Kreisen gehört, dass einige meiner ehemaligen Schüler sich Gedanken über Speis und Trank machen», sagt Spitzenkoch Eckart Witzigmann. Am 4. Juli feiert der gebürtige Österreicher mit Freunden und alten Weggefährten seinen 70. Geburtstag.

 

Als erster Koch in Deutschland bekam er 1979 mit seinem Münchner Edellokal «Aubergine» drei Sterne vom französischen «Guide Michelin». 1994 verlieh ihm der Gourmet-Führer «Gault Millau» den Titel «Koch des Jahrhunderts». Zahlreiche weitere Auszeichnungen folgten, unter anderem wurde er in diesem Jahr zum Internationalen Kulinarischen Genussbotschafter Österreichs ernannt.

Dabei hätte er doch Schneider werden sollen: 1941 im österreichischen Ferienort Bad Gastein geboren, sollte er das Handwerk lernen, genau wie sein Vater. Doch schon als Bub in kurzen Lederhosen wusste er, dass er Koch werden wollte. Nach der Lehre lernte er 13 Jahre im Ausland, bei den Besten seines Faches: bei dem französischen Spitzenkoch Paul Bocuse, bei Paul Haeberlin, Roger Vergé und den Brüdern Troisgros. 1971 begann er als Chefkoch des Münchner Nobellokals «Tantris» gegen die deutsche Koch-Konvention ins Feld zu ziehen.

Anstelle dicker Saucen und massiger Knödel wollte er die Nouvelle Cuisine, den zart betonten Eigengeschmack guter, frischer Produkte - doch Kritik und Reklamationen setzten ihm anfangs zu.

Auch die Herkunft der Lebensmittel war ihm wichtig. «Ich habe vor mehr als zwanzig Jahren auf die Frage nach dem Luxus der Zukunft geantwortet: Den Produzenten seiner Lebensmittel persönlich zu kennen. Damals konnten die Leute mit dieser Prognose wenig anfangen, heute - im Angesicht sich ständig abwechselnder Lebensmittelskandale - muss man das nicht mehr näher erklären», sagt er heute.

1978 eröffnete Witzigmann das legendäre «Aubergine», 1979 bekam er drei Sterne vom «Guide Michelin» - das sei einer der größten Glücksmomente gewesen, sagte er einmal, nicht ohne zu relativieren: Das größte Glück sei freilich die Geburt seiner Kinder gewesen.

Witzigmann kochte für Queen Elizabeth II., König Carl-Gustav und Königin Silvia von Schweden, König Hassan von Marokko und den Maharadscha von Jaipur, für Michail Gorbatschow und George Bush, für Fußballkaiser Franz Beckenbauer und Formel 1-Weltmeister Nicki Lauda.

Jahrelang bewirtete Witzigmann auch Gäste des Restauranttheaters «Witzigmann Palazzo» und des «Witzigmann Roncalli Bajazzo». Inzwischen greift er kaum noch selbst zum Kochlöffel - das, findet er, könne er jetzt Jüngeren überlassen.

Sein Wissen will er nun vor allem weitergeben: Mehr und mehr übernimmt er Berater-Aufgaben, etwa in dem von ihm konzipierten Restaurant Projekt «Ikarus - Hangar 7» am Salzburger Flughafen, wo die besten Köche der Welt gastieren. Er wirkte an Dutzenden Kochbücher mit, und ist Ehren-Professor der schwedischen Universität Örebro, der einzigen staatlichen Gastronomie-Uni Europas.

Als Schirmherr von «Spitzenköche für Afrika» der Athiopienhilfe «Menschen für Menschen» wirbt er zusammen mit Initiator Ralf Bos für Spenden. Vor allem Bildung sei dort nötig. «Auch wenn Sie jetzt anfangen, weniger Fleisch zu essen, hilft das nicht sofort den von Hunger bedrohten auf dem schwarzen Kontinent. Ich glaube wir sind alle reich genug hier, um zu allererst einmal mit Geld zu helfen.» Dauerhaft aber gehe es darum, mit den Ressourcen der Erde sorgfältiger umzugehen.

Natürlich denkt Witzigmann nicht ans Aufhören. Doch neue Projekte bleiben erst einmal geheim: «Ich bin abergläubisch und will nicht über ungelegte Eier sprechen, aber gehen Sie davon aus, dass ich auch mit 70 immer noch neugierig bin.» dpa

Das Interview

Im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa sprach er über den Umgang mit Lebensmittelqualität in Deutschland und sein Engagement für Afrika.

Erst BSE, jetzt EHEC - auch Gemüse steht jetzt auf dem Index, sogar aus biologischem Anbau. Was soll man noch essen - was essen Sie selbst?

Witzigmann: «In Deutschland müssen Lebensmittel zuallererst einmal billig sein, und damit beginnt das Problem. Billig und gute Qualität gehen nicht zusammen, da sollten sich die Konsumenten nichts vorgaukeln lassen. Man hat beim aktuellen EHEC-Skandal aber auch die Ohnmacht und Probleme der Aufsichtsämter gesehen. Da wurde ja fast täglich eine andere Gemüsesorte diskriminiert. Die spanischen Gurken werden noch einige Zeit brauchen, sich von dieser Panikattacke zu erholen. Ich habe mich von der allgemeinen Hysterie nicht anstecken lassen und mein Gemüse weiter bei den Leuten meines Vertrauens gekauft und mit Genuss gegessen.»

Sie haben für Queen Elisabeth II., König Carl-Gustav und Königin Silvia von Schweden, für Michail Gorbatschow und George Bush gekocht. Was mögen die Reichen und Mächtigen - haben sie einen anderen Geschmack als «das Volk»?

Witzigmann: «Die sogenannten Reichen und Mächtigen essen nicht viel anders als meine anderen Gäste. Salopp gesagt wird auch da gegessen, was auf den Tisch kommt. Ich hätte es auch als recht unfair gesehen, für einen prominenten Gast besondere Umstände zu entwickeln. Mir war von jeher jeder Gast gleich wichtig. Und bei den wichtigen VIPs wird bereits im Vorfeld kommuniziert, was bei den Herrschaften erwünscht ist oder auf welche Allergien Rücksicht genommen werden muss. Aber auch bei ungekrönten Häuptern haben wir immer versucht, auf solche Dinge einzugehen.»

Kochsendungen, Kochbücher, Kochkurse: Warum ist Kochen so stark in Mode gekommen - sind die Deutschen häuslicher geworden?

Witzigmann: «Na ja, ob das in eine neue deutsche Häuslichkeit mündet, da habe ich so meine Bedenken. Fakt ist, dass Deutschland in der Tat überkocht und zunehmend habe ich das Gefühl, dass jeder, der gelernt hat, einen Herd richtig einzuschalten, in der Öffentlichkeit bereits als der große Kochstar gilt. Ich habe nur den Eindruck, dass all die medialen Botschaften nicht ankommen und sich versenden. Man hört sich fasziniert die Kunde von Frische und Gesundheit, ökologisch korrekten Nahrungsmitteln und all die Tipps und Tricks für den eigenen Herd an - und dann öffnet man das Tiefkühlfach und wirft eine Pizza mit Analogkäse und Formschinken in die Mikrowelle.»

Ihr persönliches Lieblingsgericht?

Witzigmann: «Ich habe kein Lieblingsgericht im herkömmlichen Sinn. Bei mir hängt das immer davon ab, wo auf der Welt ich mich gerade befinde und wie es um meinen Seelenzustand bestellt ist.»

Sie haben der «Nouvelle Cuisine» zur Revolution verholfen - inzwischen ist sie etabliert, fast schon Standard. Sogar die Molekularküche ist nichts Neues mehr - gibt es inzwischen einen ganz neuen Trend?

Witzigmann: «Der Trend ist, dass es keinen gibt, alles wird möglich. Wir leben in einer globalisierten Koch- und Genusswelt, es gibt immer weniger Geheimnisse zu entdecken. Der Gast von heute ist weit gereist, hat alle digitalen Informationsmöglichkeiten ausgeschöpft und weiß genau, was er will. Und die jetzt mit viel Getöse propagierte regionale Küche ist für mich auch bereits ein alter Hut. Das habe ich schon vor 30 Jahren gepredigt. Wir brauchen kein Mineralwasser von den Fidschi-Inseln oder Papageienfische aus der Südsee, wenn vor der Haustüre herrliches Wasser aus der Erde kommt oder sich wunderbare Flusskrebse im Wasser tummeln.»

Sie sind Schirmherr von «Spitzenköche für Afrika» der Äthiopienhilfe «Menschen für Menschen». Überfluss in den Industrieländern, Hunger in Afrika - wie kann dauerhaft geholfen werden?

Witzigmann: «Dauerhaft heißt in diesem Fall zuerst einmal, dass man da in ungeheuerlich langen Zeiträumen denken muss. Das ist mehr als eine Generationenaufgabe. Bei "Spitzenköche für Afrika" fließt das Geld primär in Bildungseinrichtungen. Wissen ist schlichtweg die größte Macht. Bis das aber alles greift, muss in Afrika - und leider auch in anderen Gebieten unserer Erde - pragmatisch geholfen werden. Auch wenn Sie jetzt anfangen, weniger Fleisch zu essen, hilft das nicht sofort den von Hunger Bedrohten auf dem schwarzen Kontinent. Ich glaube, wir sind alle reich genug, hier zuallererst einmal mit Geld zu helfen und dann mittel- und langfristig mit den Ressourcen unserer Mutter Erde sorgfältiger und gewissenhafter umzugehen. Nur das hilft auf Dauer wirklich. Ich halte da Gentechnik auch nicht für den Stein der Weisen. Den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben, hat noch nie funktioniert.»