Orangene Weine

Die Bezeichnung "orange" kommt dabei von einem ganz zart rötlichen Hauch, der entsteht, wenn Weißwein in der Art von Rotwein hergestellt wird, also mit längeren Maische-Standzeiten, oftmals unter Verwendung eines extrem niedrigen Anteils von Schwefel - in der Folge sind diese Weißweine sehr tanninhaltig und kräftig aber kommen trotzdem nur mit wenig Alkohol daher.

Es gibt Weinläden, die nur noch Naturweine wie Viniculture anbieten (siehe Interview unten), Weinbars, die nichts anderes mehr als Naturweine auf der Karte haben. Es hat sich eine starke Szene und Fan-Gemeinde gebildet, auch Peter Moser hat im Falstaff für 2012 den Trend der "natural wines" ausgerufen.

Ich mag sie auch. Aber es ist nicht einfach mit ihnen. Sie schmecken himmlisch oder einfach nur grauenhaft. Das muss man so sagen, nicht jeder Winzer beherrscht diese Kunst. Oder es kümmert den Wein einfach nicht, was der Winzer will.

Besonders die österreichischen Winzer gehen forsch voran: Ich erinnere mich an wunderbare Weine von Söllner und furchtbare vom gleichen Gut, an himmlische und grauenhafte von Maria und Sepp Muster. Sehr gelungen sind der Rotwein Amphore von Landauer-Gisperk und der Grüne Veltliner von Ott aus der Amphore. Auch bei Meinklang (der Konkret aus dem Betonei ist fantastisch) stehen die Weine ab und an neben sich - so ist das nun mal im Einklang mit der Natur.

Im Folgenden haben wir einige Weine zum Thema verkostet, nicht alle fallen unter die Bezeichnung Orangene Weine, Naturweine sind sie jedoch alle. Die meisten haben 12 bis 12,5 Prozent Alkohol, sind also sehr bekömmlich.

Kühn, Amphore, Riesling 2009, Rheingauer Landwein, demeter, 12,5 vol: der extremste Vertreter des Flights, vegetabil und grün, Wildkräuter, wie von einer Kräuterhexe gemacht, sagt einer aus der Runde, heftige Diskussionen folgen: der Wein ist nicht als Riesling zu erkennen, einige sagen, es sei eher Tee als Wein - ohne Wertung

Vinz, Weingut am Stein, Ludwig Knoll, Silvaner Alte Reben 2010, aus dem Betonei, 13 vol: geschliffen, brillant, klar, Mandeln und Blüten, knackig und direkt, präzise und mineralisch, herrlich (der 2011er ist übrigens noch einen deutlichen Tick besser) 92-93

Klumpp Weißburgunder 2011, Ecovin, 12,5 vol: geschliffen und zart, sanft und verführerisch, weiße Blüten, sehr charmanter Wein 90

Clemens Busch, Marienburg Felsterrasse 2010, Ecovin, 14 Prozent: ein kleines Riesling-Monster von der Mosel, sehr gelb, sehr reif, Pirsich-Schale, dicht und komplex, fruchtige Würze, leider auch so wuchtig wie ein Sauternes 92

Zwölberich, Auxerrois, 2011, biodyn, Demeter, 14 vol: klar und rein, filigrane Frucht, extrem stoffig und voll am Gaumen, der Wein ist zwar trocken, wirkt aber durch die Überreife etwas süßlich (mehr Askese und Salz würden ihm gut tun) 90

Horizon, Le Patriot 2010, Cotes de Catalanes, 12,5 vol, alte Reben, biodyn: würzig, komplex, stoffig und extraktreich, schöne Säure, mineralisch mit viel Biss, Salz und Kräuter, ein idealer Naturwein 91-93

Uwaga! von Sven Leiner, Scheurebe Cuvee, biodyn, 4-5 Tage auf der Maische, 12 vol: animierend, erfrischende Säure, klar und expressiv, sehr saftig 90 (Uwaga klingt nach afrikanischem Stammesritual, ist aber das polnische Wort für "Achtung"/"Vorsicht". So kann man sich täuschen - wie bei dieser Scheurebe!)

Der Uwaga! kommt übrigens aus dem Weinladen Viniculture in Berlin, der sich auf Naturweine spezialisiert hat. Im aktuellen Feinschmecker mit 600-Adressen-Booklet ist das schöne Geschäft in der Grolmanstraße erstmals zum besten Weinladen Berlins gekürt worden.

Daher zur Feier des Tages die Statements von Landessieger Holger Schwarz aus dem Gespräch mit Feinschmecker-Autor Stefan Elfenbein:

"Ich beschäftige mich ja schon ewig mit Wein und Weinhandel. Schön war die Welle, der Boom der deutschen Gewächse so in den Jahren 2001, 2002. Dann, ein paar Jahre später, hat das Ganze stagniert. Man hatte sich auf einen Stil geeinigt, darauf, wie ein trockenes großes deutsches Gewächs zu schmecken hatte. Der VDP hat da eine wesentliche Rolle gespielt. Es kam nichts Neues, Überraschendes mehr.

Dann aber wurde ich erstmals mit einem Naturwein konfrontiert, mit einem Chenin blanc von Joan Ramon Escoda Sanahuja (siehe unten). Zuerst dachte ich, der Wein ist fehlerhaft. Ein Bauchgefühl hat mir aber gesagt, da muss ich weiter graben, nachdenken, probieren. Ich konnte den Geschmack nicht mehr vergessen. Und plötzlich war meine Wein-Leidenschaft wieder aktiviert, ein fast vergessener Funke war wieder da.

Man kann das mit Käse vergleichen. Das ist, wie wenn man immer nur Gouda probiert - und dann zum ersten Mal einen Roquefort im Mund hat, so einen Stinker. Naturweine sind Stinker, funky wines, mutig, provozierend, dunkelfarbig, herb, mit tiefer Struktur, viel Taninen, Mineralität, Weine, die den angeblichen guten Geschmack ignorieren, die eben ganz anders sind, als die typischen, konventionell produzierten Rieslinge und Spätburgunder mit ihrer einlullenden Fruchtigkeit. Der Schwefel konserviert ja die Frucht. Das gibt's bei Naturweinen nicht.

Dazu kam natürlich auch der Kontakt zu den Menschen, den neuen verrückten Winzern, die alles mit einer solchen unglaublichen Leidenschaft machen. Ich war fasziniert.

Ich musste mein Sortiment einfach umstellen, ein neues Kapitel einläuten. Ich wusste natürlich anfangs nicht, ob es funktioniert, ob die Kunden mitziehen. Aber die Berliner, die Neu-Berliner, all die jungen Leute hier, sind total offen, versuchsfreudig, die wollen einfach entdecken. Meine Kunden kommen aus der ganzen Stadt und mittlerweile sogar sehr gezielt aus dem Ausland. Und es ist schön, in den Augen - beim Probieren oder bei unseren Seminaren - zu sehen, wie der Funke überspringt."

3 Tipps aus dem Naturwein-Sortiment von Holger Schwarz:

2009 Chenin blanc "Els Bassots" Joan Ramon Escoda Sanahuja, Reus, Conca de Barberà 17,90 Euro (Erstkontakt! Mit diesem Wein wurde Holger Schwarz auf die "Naturweine" aufmerksam)

2009 Sancerre blanc "Akméniné" Sébastien Riffault, Sury-en-Vaux, Loire 20,50 Euro

2010 SP 68 Arianna Occhipinti, Vittoria, Sizilien 15,50 Euro