100 Jahre Traumfabrik Hollywood

Von Sören Gieß

Jens ist frustriert: «Jetzt sind wir extra nach hier oben gefahren, aber so ein richtig gutes Bild mit dem Hollywood-Sign als Hintergrund kriegt man einfach nicht hin», klagt der Urlauber aus Hannover. «Die Buchstaben sind einfach zu weit weg und Du bist zu nah dran», sagt er zu seiner Verlobten Ines.

Ines und Jens haben das gleiche Problem wie Millionen andere Touristen aus aller Welt. Sie sind auf der Suche nach dem Hollywood-Gefühl, wollen einen Traumfabrik-Moment aus Los Angeles nach Hause mitnehmen, 100 Jahre nachdem hier das erste Filmstudio eröffnete, die Nestor Motion Picture Company. Aber das ist gar nicht so einfach.

«Gestern abend wollten wir ein Foto vom Beachwood Drive aus machen. Unsere Freunde waren schon mal hier, hatten uns den Tipp gegeben. Wer ahnt denn schon, dass die das Ding nachts nicht anstrahlen?», sagt Ines leicht entrüstet. «Na wenigstens stimmt die Aussicht hier oben, und das Gebäude sieht auch klasse aus», sagt Jens mit einem Schulterzucken und setzt seine Sonnenbrille wieder auf.

Mit «hier oben» meint er das Griffith Observatory, das im gleichnamigen Park in den Hollywood Hills thront, 300 Meter oberhalb von Los Angeles in den Hügeln. Von seinen Terrassen an der Südseite des Mount Hollywood hat man den wahrscheinlich besten Blick auf den berühmten Hollywood-Schriftzug, an klaren Tagen kann man über ganz L.A. bis zum Ozean schauen.

«Ja, so in der Richtung hab' ich mir eigentlich ganz Hollywood vorgestellt», sagt Ines. «Man kann sich direkt vorstellen, wie hier eine Luxuslimousine aus den 20er Jahren vorfährt und einen Filmstar ausspuckt. Ganz glamourös, so mit schwarzweißen Lackschuhen und Hut und allem Drum und Dran. Und natürlich seine Puppe im Nerzmantel am Arm.»

Die Limousine aus den 20ern trifft den Nagel nicht ganz auf den Kopf, aber Ines ist nah dran: Der beeindruckende Kuppelbau im Stil des Art Déco wurde 1935 fertiggestellt, mitten in Hollywoods «Golden Years» also, wie die 30er und 40er genannt werden. Und das Griffith Observatory stand und steht bis heute Kulisse für viele Filme.

James Dean hat hier gedreht, für «...denn sie wissen nicht, was sie tun», seinen vorletzten Film. Seine Büste findet man auf der Westseite des Geländes. In James Camerons «Terminator» mit Arnold Schwarzenegger ist das Observatorium genauso zu sehen wie in «Drei Engel für Charlie - Volle Power» und in «Transformers». Wer das Griffith Observatory als Ruine sehen will, muss sich nur «Terminator: Die Erlösung» anschauen, der 2009 in den Kinos lief.

Ines und Jens haben mittlerweile eine asiatische USA-Touristin gebeten, doch ein Bild von ihnen beiden vor dem Observatorium zu machen. «Das ist ein schönes Erinnerungsfoto. Der Hollywood Boulevard war ja nicht so toll», sagen die beiden. «Total zugebaut und reichlich unglamourös. Alles voller Geschäfte. Ich flieg' doch nicht nach L.A. und fahr zum Hollywood Boulevard, um bei H&M Socken zu kaufen. Und diese Typen, die einem Tickets für 'Star Tours' verkaufen wollen, sind super-aufdringlich.»

Salman, der lieber Sam genannt werden möchte, kennt das. Er ist einer dieser Typen. Rings um das Kodak Theatre, in dem seit der Eröffnung 2001 die Oscars vergeben werden, versuchen sie, Touristen in die Kleinbusse der Touranbieter zu lotsen. Oder ihnen zumindest eine «Star Map» für die kalifornische Großstadt zu verkaufen. Das sind Karten, auf denen angeblich die Villen von Hollywoodstars verzeichnet sind - alle Angaben sind natürlich ohne Gewähr.

«Ich mache das nicht wirklich gerne, aber das Geld ist okay bei gutem Wetter und hilft mir, meine Kurse zu bezahlen», sagt der junge Mann, der aus Pakistan stammt. «Eigentlich studiere ich Film. Ich kann schon verstehen, dass viele Leute enttäuscht sind, wenn sie den Boulevard sehen, ging mir genauso. Richtig sehenswert ist hier nur das Grauman's», findet Sam. «Ist mir aber eigentlich ganz recht, viele Touristen machen bestimmt auch aus Frust eine von unseren Touren.»

Das 1927 eröffnete Grauman's Chinese Theatre ist ein typischer Vertreter des Trends, der im Hollywood der 20er Jahre äußerst beliebt war: Ethno-Kitsch. Es liegt direkt neben dem Kodak Theatre, nahe der Kreuzung Hollywood Boulevard und Highland Avenue. Der Haupteingang sieht so aus, wie sich damals wohl Hollywoods Kulissenbauer eine chinesische Pagode vorgestellt haben.

Davor haben viele Hollywood-Stars seit den 20er Jahren ihre Hände oder Füße in den noch weichen Beton gedrückt. Geführte Touren durch das Chinese Theatre gewähren täglich den Blick hinter die Kulissen, die Teilnehmer sehen für ihr Geld allerdings wenig Aufregendes.

Filmstudent Sam hat inzwischen Gesellschaft bekommen. Sein Kumpel Joe, geboren in Kairo, ist zum Rauchen auf die Straße gekommen. Joe arbeitet in einem der Souvenirläden, die Mini-Oscars mit Beschriftungen wie «Best Dad» anbieten. Er muß regelmäßig Touristen verjagen, die trotz Verbotsschilds die Plastik-Oscars fotografieren wollen, statt sie zu kaufen. «Damit die nicht nur sauer auf mich sind, gebe ich ihnen manchmal einen Tipp, schicke sie rüber zum McCadden Place», sagt Joe. Dort sehe es fast so aus wie in seiner Heimat, nur schicker. Er meint das Grauman's Egyptian Theatre, den Vorgänger des Chinese Theatre. Vielen Touristen bleibt dieses Juwel des Hollywoods der 20er verborgen - obwohl es nur fünf Minuten vom Chinese entfernt ist. Zu Fuß, eine Seltenheit in Los Angeles.

Das Egyptian wurde 1922 eröffnet, sein Erfolg machte den Bau des Chinese Theatre erst möglich. In seinem mehr als 2000 Zuschauer fassenden großen Saal wurde die allererste Hollywoodpremiere gegeben. Leider existiert der Saal nicht mehr. Der Stil ist, wie der Name schon sagt, «ägyptisch», mit reichlich Hieroglyphen an den Wänden. Mit Spendengeldern wurde das Kino restauriert und nur innen umgebaut. Seit 1998 ist hier die American Cinematheque untergebracht, ein unabhängiger, gemeinnütziger Vereins von und für Filmenthusiasten. Touren werden nur an Wochenenden angeboten.

Sowohl im Chinese Theatre als auch im Egyptian Theatre werden weiterhin Filme vorgeführt; im Chinese Blockbuster-Premieren mit Rotem Teppich und Starpräsenz, im Egyptian Raritäten und Sondervorführungen, oftmals in Anwesenheit von Schauspielern oder Filmschaffenden und mit anschließender Fragerunde. Die American Cinematheque hat noch ein zweites Kino für solche Veranstaltungen, das Aero Theatre. Zu Fuß wäre es dorthin aber ein bisschen weit: Es liegt fast 20 Kilometer entfernt in L.A.'s gutsituierter kleiner Schwester Santa Monica.

Das Aero Theatre ist ein Kind der 40er Jahre, ein Kino, wie man es in unzähligen Filmen gesehen hat: Kassenhäuschen, Neonschrift und eine beleuchtete Anzeige über dem Eingang, bei der die Buchstaben des Filmtitels per Hand angebracht werden. Das Innere des Kinos ist eher unspektakulär, aber viele Filmfans dürften es kennen: Im Kultfilm «Donnie Darko» sitzt der Titelheld mit seiner Freundin im Saal des Aero. Und wer auf der Suche nach den Stars von heute ist, hat mit dem Aero die richtige Adresse gefunden.

Kürzlich gab es hier eine Sondervorführung des hochgelobten Films «The King's Speech» zu sehen. Anschließend konnten die Zuschauer mit den Hauptdarstellern Colin Firth, der für seine Rolle als Englands König George VI. den Oscar erhielt, und Helena Bonham Carter sprechen. Auch nach dem gepriesenen Balettdrama «Black Swan» stellte sich Regisseur Darren Aronofsky den Fragen der Zuschauer. Mit etwas Glück lernt man bei so einer Vorstellung auch den einen oder anderem Einheimischen kennen - Filmfans wie Softwareingenieur Bob, die in der Gegend wohnen und manchmal bereit sind, ihr Insiderwissen zu teilen.

Bob erzählt von einem unscheinbaren Haus im 20 Minuten entfernten Venice Beach, direkt am Venice Boardwalk. Es soll im Auftrag von Charlie Chaplin gebaut worden sein. In Nummer 511 Ocean Front Walk, so der Mythos, habe Frauenheld Chaplin auch Liebschaften untergebracht. Die Atelierwohnungen inspirierten Künstler durch den Meerblick. Das Gebäude ist unscheinbar, aber das Alter könnte passen. Hinter einem der Fenster klemmt ein «Zu vermieten»-Schild samt Telefonnummer. Bei der Besichtigung fallen die Nischen auf, die für ausklappbare Betten in die Wände eingearbeitet wurden. Sie sind nicht mehr da, der Lärm der Promenade dröhnt durch die hauchdünnen Fenster.

Aber mit etwas Fantasie kann man sich durchaus vorstellen, wie Charlie Chaplin sich von einer Geliebten in die Arme schließen lässt, während das Meer im Hintergrund rauscht. Und dabei kommt mehr Hollywoodfeeling auf, als vor der Fototapete im Universal Freizeitpark in Studio City - dem einzigen Ort, an dem Jens und Ines aus Hannover ihr perfektes Urlaubsfoto mit dem Hollywod-Schriftzug bekommen hätten. dpa

Reise nach Los Angeles

ANREISE UND FORMALITÄTEN: Im Großraum Los Angeles gibt es mehrere Flughäfen. Auch von Deutschland aus angeflogen wird der International Airport LAX. Unbedingt anzuraten ist ein Mietwagen. Denn L.A. ist als Autostadt konzipiert und verfügt über keinen nennenswerten öffentlichen Nahverkehr. Für die USA müssen sich Deutsche kein Visum besorgen, jedoch im Internet unter esta.cbp.dhs.gov eine elektronische Einreiseerlaubnis einholen (ESTA-Verfahren).

REISEZEIT: Los Angeles bietet sich wegen des generell milden Klimas ganzjährig als Reiseziel an. Im Sommer kann es allerdings fernab vom Strand, also etwa in Hollywood, unangenehm heiß und trocken werden. Im Frühling zeigt sich die Natur von ihrer schönsten Seite, im Winter locken auch die nahe gelegenen Skigebiete.

PREISE: Der Preis für ein Hotelzimmer ist stark von der Lage abhängig. Der Einstiegspreis für ein Zweibettzimmer günstiger Motelketten liegt bei umgerechnet etwa 50 Euro. Gastronomie ist in allen Preisklassen zu haben - angefangen vom Dollarmenü der Fastfoodketten bis zu teuren Edelrestaurants, in denen nach einem Abendessen leicht mehrere hundert Euro auf der Rechnung stehen.

INFORMATIONEN: Los Angeles Convention and Visitors Bureau, Tel. von Deutschland: 001/213/624 73 00, Internet: lainc.us