Von Katharina Hölter
Es wird geschlürft, es wird gespuckt. Gläser klirren. Ein Brötchen liegt bereit und eine Flasche Sprudelwasser zum Nachspülen. «Weintrinken ist Arbeit», sagt einer der Sachverständigen. Im Weinbauamt im rheinland-pfälzischen Alzey werden fast täglich Rebensäfte auf ihre Güteklasse geprüft: Haben sie die Bezeichnung Qualitätswein tatsächlich verdient?
Dass solch strenge Kontrollen unerlässlich sind, bestreitet in der Branche seit Sommer 1985 niemand mehr. Damals hatten Behörden Diäthylenglykol in deutschen Weinen entdeckt, eine gesundheitsschädliche Chemikalie.
Einige österreichische Winzer hatten versucht, aus billigen Tafelweinen scheinbar hochwertige, süß und vollmundig schmeckende Auslesen und Beerenauslesen zu machen. In Deutschland stark betroffen war die Region Nahe/Rheinhessen, wo in einem großen Weinhaus der Region Nahe österreichische Ware weiterverkauft und Mischungen aus österreichischem und deutschem Wein hergestellt wurden.
Für die Weinwirtschaft beider Länder bedeutete der Fall einen enormen Imageschaden. Die Gesetze wurden deutlich verschärft. Bei der Kontrolle herrschen heute höhere Standards. «Es gibt nichts, was nicht geregelt ist. Es geht bis hin zur Schriftgröße auf dem Etikett», sagt etwa Kerstin Stiefel vom Landesuntersuchungsamt Rheinland-Pfalz, dem Bundesland mit dem meisten Weinanbau in Deutschland.
Die Weinkontrolleure des Amtes überprüfen vor Ort in den Betrieben, die Lebensmittelchemiker und chemisch-technischen Assistenten untersuchen im Labor: Sind die Grenzwerte zum Beispiel für Schwefeldioxid eingehalten? Stimmt der Alkoholgehalt? Wurden verbotene Aromastoffe zugesetzt?
Der Fall habe «die gesamte Denk- und Herangehensweise beeinflusst», sagt der Sprecher des Deutschen Weininstituts, Ernst Büscher. Erste Warnungen hatte es im Juli 1985 gegeben. Zunächst sank der Export. 1985 wurde Wein im Wert von 500 Millionen Mark exportiert, 1986 waren es nur noch 400 Millionen Mark.
Es folgte auch eine Trendwende beim Geschmack: «Die trockenen Weine wurden viel stärker nachgefragt. Verbraucher hatten immer die Befürchtung, dass süße Weine mit Glycol versetzt sein könnten», sagt Büscher. Heute investiere die junge Winzergeneration viel in das Qualitätsmanagement, das habe das Image deutlich verbessert.
Das bestätigt auch Theo Jung, Schulkoordinator am Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum in Oppenheim, wo unter anderem Winzer und Weintechnologen ausgebildet werden. Auch in der Lehre tat sich Einiges, erinnert sich der 64-Jährige: «Neu war: Qualität entsteht im Weinberg und nicht im Keller. Es ging von nun an verstärkt um den Boden oder zum Beispiel die Ausdünnung der Reben.» Auch den Blick in die europäischen Nachbarländer habe der Fall verstärkt, Netzwerke wurden gegründet.
In Österreich habe der Glykol-Skandal einen Neubeginn ausgelöst: «Neues, strenges Weingesetz, staatliche Kontrolle, Qualitätsweine mit Prüfnummer und Banderole», sagt der Geschäftsführer von Österreich Wein Marketing, Wilhelm Klinger.
Schwindel gibt es vereinzelt noch immer, wie beispielsweise die Bilanz des Landesuntersuchungsamtes Rheinland-Pfalz für das Jahr 2014 zeigt: Um seinen Tropfen als Barrique-Weißwein verkaufen zu können, fügte ein Winzer etwa verbotenerweise Vanillezucker hinzu.
Für Aufsehen sorgte auch Eiswein des Jahrgangs 2011. Ein Großteil des Leseguts entsprach nicht den Anforderungen an Eiswein, unter anderem, weil es zu warm war. Winzer versuchten den Wein dennoch unter dem Label zu verkaufen. Es sei naiv zu glauben, dass ein Skandal dieses Ausmaßes heute auszuschließen sei, sagt Amtssprecherin Stiefel: «Es gibt in jeder Branche immer wieder schwarze Schafe, die vor Betrug nicht zurückschrecken.» dpa
Der Glykol-Skandal von 1985
Am 9. Juli 1985 warnten Behörden erstmals vor Diäthylenglykol in Weinen. Die unter anderem als Frostschutzmittel genutzte Chemikalie war aus Österreich in deutschen Tropfen gelandet. Die Winzer hatten versucht, aus billigen Tafelweinen scheinbar hochwertige Auslesen und Beerenauslesen zu machen.
Die Weine wirkten nach Zugabe der gesundheitsgefährdenden Chemikalie süßer und voller. In Deutschland stand vor allem ein Weinhaus der Region Nahe im Fokus. Dort wurde nicht nur österreichische Ware weiterverkauft, sondern auch Mischungen aus österreichischem und deutschem Wein hergestellt.
Nach der Entdeckung wurden Millionen Flaschen vom Markt genommen. Die Folge des Skandals: Ein enormer Imageschaden für die Weinwirtschaft, aber auch verschärfte Gesetze und mehr Qualitätsbewusstsein.
Ministeriumsmitarbeiter in Mainz mussten ihr Amt aufgeben, der Bundestag und der rheinland-pfälzische Landtag setzten das Thema auf die Tagesordnung. Probleme bereitete die juristische Aufbereitung: Sie dauerte fast zehn Jahre. Das Verfahren wurde schließlich 1996 gegen Bußgeldzahlungen eingestellt.