Asienspiele 2010 in China

Der Wahrsager blickt kritisch. Er sieht große Ziele, aber auch Chaos. Fortschritte und ungewollte Rückschläge. Erfolg und Verlust. Vorsichtig streicht er der jungen Dame über die Finger der rechten Hand. Und ein großes Ereignis stehe ihr bevor. Ob sie dazu wirklich schon bereit wäre? Wer dem Wahrsager auf dem kleinen Tempelvorplatz zuhört, bekommt den Eindruck, er spräche nicht nur zu dem Mädchen, sondern auch zu der Stadt, in der er lebt: Guangzhou, besser bekannt unter dem Namen Kanton.    

Auch die südchinesische Metropole muss sich großen Zielen und dem Chaos stellen, Fortschritt und Rückschläge unter einen Hut bringen, Verluste in Kauf nehmen, um Erfolg zu haben. Und vor allem steht ihr bald ein großes Ereignis bevor: die Asienspiele, die vom 12. bis 27. November tausende Sportler und Besucher anlocken werden, ähnlich wie die Olympischen Spiele 2008 in Peking.

Im Großraum Guangzhou leben rund elf Millionen Menschen. In den vergangenen 30 Jahren ist die Stadt stetig gewachsen, nicht immer einheitlich. Manche Viertel scheinen wie aus dem Boden gestampft, glänzende Hochhäuser ragen dort in den Himmel, wo vor zehn Jahren noch Bauernhütten standen. In anderen Vierteln dominieren ältere Gebäude, dicht an dicht gedrängt, immer wieder vergrößert, erneuert, überputzt.    

Und auf der Insel Shamian, einer knapp einen Kilometer langen Sandbank im Perlfluss, reihen sich koloniale Prachtbauten aneinander. Die Briten errichteten sie im 19. Jahrhundert, nun werden sie stetig von chinesischen Facharbeitern renoviert. Wohin man sich zurzeit auch begibt, überall stößt man auf Baustellen, die für Verkehrschaos, Lärm und unzufriedene Bürger sorgen.    

«Die Vorbereitungen für die Asienspiele haben starke Auswirkungen auf die Stadtentwicklung», sagt die Lokaljournalistin Ma Xiang Xin. Vielerorts, so glaubt sie, würde das Sportevent vorgeschoben, um umfangreiche Renovierungsarbeiten in Gang zu bringen. Denn so könne man die Immobilienpreise in die Höhe treiben.    

Zudem werde weniger auf Nachhaltigkeit als auf das äußere Erscheinungsbild der Stadt Wert gelegt. Mit dem Resultat, dass einige der neu verputzten Häuser zwar hübsch anzusehen, aber undicht seien, so dass bei starkem Regen Wasser in die Wohnungen eindringt. Zudem würden durch den sorglosen Umgang mit dem Baumaterial bei Straßenarbeiten ständig die Gullis verstopft, vielfach sei es deshalb schon zu Überflutungen der Straßen gekommen.    

«Aber klar, natürlich gibt es auch Vorteile», wirft sie ein. So habe die Stadt eine Schnellbuslinie mit einem eigenen Verkehrsstreifen eingerichtet, damit der öffentliche Nahverkehr nicht ständig im Stau stecken bleibt. Auch die U-Bahn wurde bereits im vergangenem Jahr um eine neue Linie erweitert, Touristen fänden sich nun leichter in der Metropole zurecht. Und natürlich, so Ma Xiang Xin, gebe es auch Beispiele für nachhaltige Bauprojekte, zum Beispiel eine alte Industrieanlage am Perlfluss, die in den vergangenen Jahren liebevoll renoviert wurde.    

Einer, der sich in den alten, heruntergekommenen Backsteinlagerhallen am Ufer niedergelassen hat, ist Yhu Jiang Peng. Im vergangenen Mai hat er in einem der Gebäude eine Bar eröffnet. «Mir gefällt es, dass der alte Industriecharme erhalten geblieben ist und mit neuem Leben erfüllt wird», sagt er. «Ich denke, es ist ein neuer Trend, alte Fabrikanlagen kommerziell zu nutzen und so der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.» Noch steht ein Teil der Hallen leer, doch ein Kino, eine Weinhandlung und eine Ausstellung über die Geschichte des Areals würden immer mehr Besucher anlocken, sagt Yhu Jiang Peng.    

Auf immer mehr Gäste setzen auch die Stadtplaner Guangzhous, wenn es um die Gestaltung des modernen Stadtteils Tianhe geht. Hier ragt die Zukunft in den Himmel. Eines der futuristischen Gebäude, das zurzeit Meter für Meter in die Höhe wächst, ist der Pearl River Tower. Entworfen wurde er von den Chicagoer Stararchitekten Skidmore, Owings und Merrill. Bei seiner Fertigstellung im kommenden Jahr soll er zu den grünsten und nachhaltigsten Gebäuden der Welt gehören.    

Das Ziel ist, dass der Turm sich selbst mit Energie versorgt. Seine Schöpfer hoffen, mit Hilfe von Windkanälen und Turbinen, Solarpanelen und Sonnenkollektoren so viel Energie zu erzeugen, dass sogar noch ein Überschuss entsteht, der in das städtische Stromnetz eingespeist wird.    

Nicht weit entfernt sticht der rund 610 Meter hohe Canton TV Tower ins Auge. Pünktlich zu den Asienspielen wird das Bauwerk eröffnet. Der Wolkenkratzer, der an eine langgestreckte Sanduhr erinnert, wird dann eines der höchste frei stehenden Gebäude der Welt sein. Bis zu 10 000 Besucher soll er künftig Tag für Tag anlocken, mit Restaurants, einem Kino, offenen Gärten und verschiedenen Aussichtsplattformen. Ein besonderer Höhepunkt wird das Aussichtsrad sein, das sich waagerecht über der höchsten Plattform dreht.

Von hier aus soll der Blick der Besucher auf alle Highlights der Stadt fallen: auf das Opernhaus der Stararchitektin Zaha Hadid, das wie ein gestrandetes Ufo wirkt, auf die Glockentürme und Pagoden der buddhistischen Tempel weiter im Zentrum und natürlich auf den ursprünglichen Teil der Stadt, wo die Gassen enger und die Häuser mit Wäscheleinen und Kabeln miteinander verbunden sind.    

Hier bieten die Restaurants Käfige voller Frösche statt bilingualer Menükarten, hier halten die Bewohner noch ein Nickerchen am Straßenrand - oder lauschen den Worten von Wahrsagern, die den Menschen und ihrer Stadt die Zukunft voraussagen. (Alexandra Frank, dpa)    

Informationen: Fremdenverkehrsamt China, Ilkenhansstraße 6, 60433 Frankfurt, Tel: 069/52 01 35, china-tourism.de, gz2010.cn/en