Von Peer Meinert
Es ist das schönste Gebäude der Stadt: uraltes Fachwerk, grandios - der Stolz Nagolds. Und dann das riesige, gold-glänzende Wirtshausschild - eine Augenweide. "Alte Post" heißt das Traditions-Gasthaus im Herzen der Stadt, ehemals Postkutschen-Station, viele Jahre lang Hotel, zuletzt Sterne-Restaurant - und jetzt das Aus, die Schließung des Lokals. "Damit endet eine über 350-jährige Gasthaus-Tradition", schreibt der "Schwarzwälder Boten". Das klingt wie aus einer Traueranzeige.
Für die 22.000-Einwohner-Stadt am Rande des Nordschwarzwalds handelt es sich in der Tat um mehr als das Ende eines Gourmetlokals. Es ist ein Schlag, wie ihn die Stadt lange nicht mehr erlebt hat. "Das Lokal ist unser Alleinstellungsmerkmal", klagt eine Nagolderin. "Calw hat Herrmann Hesse, Nagold die "Alte Post"." Ganz ähnlich verlautet es aus dem Rathaus, das Traditionshaus sei "ein Wahrzeichen und Kulturdenkmal unserer Stadt". Es herrscht Ratlosigkeit.
Sichtlich geschockt ist auch Chefkoch Stefan Beiter. "Traurig, traurig", meint der 39-Jährige, der das Restaurant erst 2016 wieder auf Sterneniveau brachte. Viel mehr will der Koch aber nicht sagen. "Zu den Umständen möchte ich mich nicht äußern. Ich will mit dem Thema abschließen."
Allerdings: Das Fiasko hat sich schon seit längerem angedeutet. Bereits im Sommer entschloss sich Beiter, seinen Michelin-Stern aufzugeben, das Gourmetlokal in den historischen Räumen im ersten Stock zu schließen. Grund: Personalnot. Seitdem servierte Beiter nur noch in einem Bistro im Parterre schwäbisch-bürgerliche Küche mit kreativen Einschlag - doch auch hier blieb der Zuspruch der Gäste eher zurückhaltend.
Tatsächlich erlebte das Restaurant in dem denkmalgeschützten Prachtbau bereits seit 30 Jahren eine schmerzhafte Berg- und Talfahrt. Mehrfach wechselten die Pächter, doch langfristiger finanzieller Erfolg war niemanden beschieden. In den 1980er Jahren wurden die Hotelzimmer verkauft, Investoren stiegen ein, es ging um schnellen Profit. Der Gastronomie bekam das nicht immer gut.
Schließlich starteten rund 50 Unternehmer und Privatleute eine Art Rettungsaktion, übernahmen als Eigentümer große Teile des Hauses, ließen renovieren und restaurieren. Viel Geld wurde hineingesteckt, allein die Restaurierung des gold-glänzenden Wirtshausschildes habe 60 000 Euro gekostet, die Stadt und private Mäzene seien eingesprungen, so Hans Nock, Sprecher der Eigentümergesellschaft.
Zeitweise sah es nach einem Durchbruch aus. Unter anderem übernahm der renommierte Starkoch Martin Göschel das Restaurant, schaffte 2014 praktisch aus dem Stand einen Stern - und warf dann doch nach einem guten halben Jahr das Handtuch. Zuviel Arbeit, zu wenig Gewinn.
Doch die Gründe und Hintergründe für das Aus sind vielfältig - und umstritten. Offiziell gibt die Eigentümergesellschaft Personalnot an. Köche und Servicepersonal mit Niveau und Ehrgeiz ziehe es eher in die nahe gelegene Gourmet-Hochburg Baiersbronn, wo mit dem "Hotel Traube Tonbach" und dem "Restaurant Bareiss" gleich zwei Drei-Sterne-Tempel beheimatet sind. "Hier zu arbeiten, fördert die Karriere", meint Nock.
Beinhart ist auch die Konkurrenz. 74 Serne-Restaurants gibt es in Baden-Württemberg - mehr als in jedem anderen Bundesland. Doch es gibt weitere Gründe. "Die "Post Alte" hatte früher den Ruf des Elitären", räumt Nock ein. "Das hängt dem Haus noch immer nach." Irgendwie, so ist immer wieder in der Stadt zu hören, seien die Nagolder mit dem Lokal nie recht warm geworden. Auch der Ton des Servicepersonals habe dabei eine Rolle gespielt, monierten manche Gäste.
Doch Kritiker geben auch der Eigentümergesellschaft Mitschuld. So hatte Chefkoch Beiter nicht als Pächter, sondern als Angestellter gearbeitet. Die Eigentümer aber hätten ihm zu viel ins Geschäft reingeredet. "Zu viele Köche verderben den Brei", kommentiert ein Kenner der Gourmetszene.
Und nun? Trotz aller Probleme: Die Stadt und die Eigentümer wollen auf jeden Fall, dass ihr historischer Prachtbau auch weiterhin ein Restaurant bleibt. "Der Gedanke, dass eine Telefongesellschaft hier einzieht, ist vielen unerträglich", meint ein älterer Nagolder.
"Ein Gourmetrestaurant wird es aber wohl nicht mehr geben", prophezeit Nock. "Es wird ein anderes Konzept sein, vom Niveau her etwas niedriger."
Dehoga warnt vor Gaststättensterben auf dem Land
Der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga warnt vor einem schleichenden Verschwinden der Gasthäuser und Gasthöfe auf dem Land. Die Zahl der Unternehmen im Gastgewerbe sei von 2008 bis 2016 um acht Prozent auf 30 800 gesunken, sagte der Landesvorsitzende Fritz Engelhardt der Deutschen Presse-Agentur im Vorfeld des Dehoga-Delegiertentages in Esslingen. Dabei zeige sich, dass vor allem Wirte und Hoteliers im ländlichen Raum aufgeben.
In einigen Landesteilen ist das inzwischen deutlich spürbar: Im Schwarzwald-Baar-Kreis hätten zwischen 2008 und 2016 etwa 130 Gasthäuser, Gasthöfe, Pensionen und Hotels geschlossen - ein Minus von 16 Prozent. Im Zollernalbkreis mussten 93 Betriebe aufgeben - 15 Prozent. Den traurigen Rekord halte der Main-Tauber-Kreis. Hier hätten 120 Betriebe aufgegeben - ein Rückgang um knapp ein Viertel. Die Zahlen basieren auf der Umsatzsteuerstatistik, neuere Daten liegen nicht vor.
Dabei ist die Lage im Gastgewerbe nicht schlecht: In der jüngsten Konjunkturumfrage bezeichneten knapp zwei Drittel der befragten Gastwirte und gut drei Viertel der Hoteliers ihre wirtschaftliche Lage als gut. Allerdings beklagen alle Befragten den Personalmangel und den bürokratischen Aufwand bei der Dokumentation von Arbeitszeiten. Fast die Hälfte Gastwirte hat Probleme mit der Einhaltung der täglichen Höchstarbeitszeit.
"Betriebe leiden unter chronischem Mitarbeitermangel", klagte Engelhardt. "Unternehmer und ihre Familien kompensieren das Fehlen von Fachkräften durch eigene Mehrarbeit." Wo das hinführen kann, zeigt sich in Nagold, wo das Gourmetrestaurant "Alte Post" schließt. Erst gab Chefkoch Stefan Beiter den Stern ab, dann sah er überhaupt keinen Weg mehr. Der Grund: Personalnot.
Dabei wuchs der Personalstand in der Branche zuletzt auf einen Höchststand von 132 500 Beschäftigten. Doch der Nachwuchs fehlt: Die Zahl der Auszubildenden ist in den vergangenen zehn Jahren von gut 10 000 auf rund 6200 gesunken.
Der Strukturwandel sei dramatisch: "Während größere Betriebe, die investieren können, vielfach zu den Gewinnern zählen, geraten die kleineren Betriebe im ländlichen Raum immer mehr ins Hintertreffen." In den nächsten fünf Jahren stehen nach Angaben des Dehoga 4000 von Inhabern geführte Betriebe vor der Übergabe, weil die Besitzer in den Ruhestand gehen.
Tourismusminister Guido Wolf (CDU) appelierte: "Hier ist auch die Politik gefragt, den Gastronomiebetrieben mehr Raum zu geben und rechtliche Regelungen auf den Prüfstand zu stellen." Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) rät Landgasthöfen dazu, dass Einzugsgebiet zu erweitern: "Die klassische Dorfwirtschaft kann ausschließlich mit der Kundschaft aus dem Dorf kaum mehr überleben", sagte sie. Erfolgreich seien Gaststätten auch im ländlichen Raum häufig, wenn sie auf herausgehobene Qualität bei Produkten - zumal von regionalen Lieferanten - und Service setzten.
Dass das nicht unbedingt ausreicht, zeigte sich allerdings zuletzt in der mittelbadischen Gemeinde Bühl. Das "Gasthaus zum Lamm", das selbst in der Feinschmecker-Bibel "Gault & Millau" Beachtung fand, wird nächstes Jahr schließen, wie "Badische Neueste Nachrichten" und "SWR" bereits berichteten. Pächter Ludwig Bechter bestätigte das Aus der Deutschen Presse-Agentur. Auch hier liegt der Grund im Personalmangel: Er verliert seinen Koch - und findet keinen Nachwuchs. dpa