Auf den ersten Blick wirkte die kleine Bäckerei in der Ahornstraße 16a im scheinbar kuscheligen Kiez in Steglitz wie jede andere, auf den zweiten jedoch offenbarte sie sich als wahre Schatzkammer deutscher Brotkultur.
Gleich ein ganzes Regal hinter der Theke etwa war dem Roggenbrot gewidmet; doppelt gebacken, dreifach gebacken, angeschoben, frei geschoben, klein, groß, riesig, in Kastenform. Ins „Trakehner“ kamen Leinsamen und Roggenflocken, herrlich aromatisch war die bunte Mischung aus Roggen-Knäckebrot, mal mit Käse, Kernen, Körnern. Das doppelt gebackene und vom 5kg-Laib abgeschnittene Roggenbrot hatte feine und feinste mineralische Noten, dazu kamen sanft süßlich erdige und würzige Aromen von dunkler Schokolade, Marzipan, Kümmel, von Tag zu Tag schmeckte es besser, blieb saftig. So, wie gutes Brot eben einst war.
Die Kunst des Backen erlernt hat Klaus Mälzer von seinem Vater. Dessen schlesischer Vater wiederum lernte gerade dunkles Brot um 1890 auf der Walz im Rheinland schätzen. 1899 eröffnete er dann seine eigene in der Ahornstraße in Berlin. Bis zuletzt brodelte der mitgebrachte Sauerteig in den mächtigen Trögen und Bottichen in der historischen Backstube in einem einstigen Pferdestall im Hof. Wer freundlich fragte, wurde herumgeführt. Öfen und Werkzeug sind erhalten.
Uralte Knetmaschinen mit meterlangen Treibriemen schmatzten dort vor sich hin. Als vor zwei Jahren einer der Treibriemen gerissen war, fand Mälzer nach aufwendiger Suche einen passenden Ersatzriemen im Technikmuseum.
Stadtweit bekannt waren auch Mälzers saftiger englischer Teekuchen oder der Käsekuchen mit Grieß und ohne Boden und auch sein Rheinischer Christstollen. Mälzers letzte Dominosteine bietet das KaDeWe zu recht als die besten der Stadt an.
Und über Jahrzehnte war die „Erste Rheinländische Bäckerei Mälzer“ ungeschlagener Berliner „Landessieger“ im Guide des Magazins „Der Feinschmecker“ mit Deutschlands besten Bäckereien.
Foto: Gregor Faubel
In Deutschland tatsächlich einzigartig und die letzten ihrer Art waren Mälzers bis zu einem Meter hohe Echte Rheinische Spekulatius, die es in der Regel ab jetzt, ab Anfang November, gab. Aufwendig per Hand geformt hat Mälzer sie jedes Jahr aus rund 200 Jahre alten, aus Birnbaumholz geschnitzten Holzmodeln, die der Großvater ebenfalls einst aus dem Rheinland mit nach Berlin gebracht hatte. Model für zwölf Figuren gibt es, darunter der Nikolaus, ein Bischof, ein Engel, der Kaiser, die Kaiserin, aber auch Müller, Geiger, Pferd, ein Wildschwein. Erzählt wird die Geschichte des heiligen Nikolaus'. Zu seinen Ehren wurden die Spezialität einst gebacken und verschenkt. Von Berlin aus gingen sie in alle Welt. Gebacken hat Mälzer kompromisslos nach den vom Urgroßvater gesammelten Rezepten. Mehle, Eier, Obst und Milch holte Mälzer natürlich aus dem Umland.
Reines Roggenmehl etwa lieferte die Mühle Steinmeyer in Luckenwalde in der ausschließlich Roggen und auch nur Roggen aus Brandenburg gemahlen wird. Bis zu zehn Prozent undeklarierte Fremdgetreide darf laut EU-Richtlinie industriell gemahlenes Roggenmehl enthalten. All das wollte Handwerker Mälzer nicht, nicht, weil er mit Schlagworten wie „nachhaltig“ oder „Regionalität“ punkten wollte, sondern weil es seit Jahrhunderten so war – und gut war. Bis jetzt!
Seit vergangene Woche hängt ein handgeschriebener Zettel in der Akazienstraße an der Tür. „Nach über 125 Jahren müssen auch wir uns verabschieden“, steht darauf. Berlins älteste und für viele beste Bäckerei ist einschließlich der drei Filialen und sieben Marktstände geschlossen. Die für Kleinbetriebe unabgefedert hohen Energie- und Rohstoffkosten sowie der Berliner Mangel an Fachkräften machten auch Mälzer zu schaffen. Da war aber noch anderes. Steglitz ist mittlerweile schick, bzw. teuer.
Permanente Anrufe, Klagen und selbst persönliche Drohungen durch neue Nachbarn hätten ihm, so Mälzer, die Kraft genommen. Licht-, Geräusch- und selbst Geruchsbelästung am frühen Morgen aus der Backstube seien unannehmbar, hieß es. Back- und Ausfahrtzeiten wurden eingeschränkt, angeblich quietschende Rollwagen mussten ausgetauscht werden. Hilfe oder auch nur Verständnis habe es von nirgendwo gegeben.
„Ein Leben lang gibt man alles - und auf einmal gilt man als Last.“ sagte Klaus Mälzer zuletzt am Telefon. Backshopbrötchen forever - für böse Nachbarn, kleingeistige Beamte und all die andern, die so etwas scheinbar nicht schert!