Berlin langsam und bewusst genießen

Von Leonie Feuerbach

Eine alte Charlottenburger Eckkneipe, das deutsch-russische Museum in Karlshorst oder kleine Platten im Kopfsteinpflaster, die in Schöneberg an Opfer der Nazi-Zeit erinnern - die Berlin-Tipps auf der Internetseite «Slow Travel Berlin» sind gewollt ungewöhnlich.

Der Brite Paul Sullivan und seine Mitstreiter wollen zum bewussten, gemächlichen Genuss auf Reisen einladen und ein Zeichen gegen abgehetztes Abhaken der prominentesten Sehenswürdigkeiten setzen. Das heißt: Ein paar Tage länger bleiben, durch die Stadt laufen statt fahren und die ausgetretenen Pfade verlassen.

Dabei lehnt Sullivan sich an die «Slow Food»-Bewegung an, die ein Italiener 1986 aus Protest gegen die Eröffnung einer McDonald's-Filiale bei Roms berühmter Spanischer Treppe ausrief - gegen das weltweit gleiche, eintönige Fast-Food und für genussvolle, regionale und saisonale Ernährung.

«Berlin ist viel mehr als "Hipsters", Techno-Szene und Startup-Unternehmen. Es hat viele Freiräume und Parks. Auch Familien und ältere Leute prägen das Stadtbild», sagt der 39-jährige Reisejournalist Sullivan. «Als ich nach Berlin kam, war die "coole" Seite der Stadt, also Mode und Nachtleben, schon in vielen Projekten und Blogs repräsentiert. Ich wollte etwas Integrativeres anbieten, das sich nicht nur an junge, trendbewusste Leute richtet», erzählt er.

Dass die deutsche Hauptstadt beide Seiten bietet, darauf setzt auch ihre Tourismus-Marketinggesellschaft «Visit Berlin». «Slow Travel ist durchaus ein Thema für uns, wir nennen es nur anders», sagt Geschäftsführer Burkhard Kieker. «Wir vermarkten die Stadt weltweit mit dem Spruch "Berlin ist Adrenalin und chillout zugleich"», so Kieker.

«Das ist auch das Image von Berlin, wenn man an die vielen Parks, Strandbars oder an das riesige Tempelhofer Feld denkt, ein Alleinstellungsmerkmal weltweit», betont der Tourismusexperte. Viele glaubten immer, Berlin sei dominiert von jugendlichen Easy-Jetsetern. «Das stimmt nicht. Das Durchschnittsalter unserer Touristen liegt knapp über 40 Jahre.»

Der Brite Sullivan macht seit 2010 im Internet auf Orte aufmerksam, die in Reiseführern keinen Platz finden, etwa die vom Stararchitekten Norman Foster entworfene Philologische Bibliothek der Freien Universität oder das Museum der Dinge in einer ehemaligen Kreuzberger Werkstatt. Dabei unterstützen ihn rund zwanzig Menschen aus verschiedenen Ländern, hauptsächlich Frauen zwischen 25 und 35 Jahren.

Alle arbeiten ehrenamtlich, bisher bringt «Slow Travel Berlin» kein Geld ein, sondern kostet Sullivan - Zeit und ein Bier im Monat für alle Mitarbeiter. Das soll sich ändern: Sullivan bietet bereits einen geführten Spaziergang durch Prenzlauer Berg an, weitere Touren sollen folgen. Außerdem bringt die Gruppe demnächst ein Buch mit ihren hundert Lieblingsplätzen in Berlin heraus.

Bisher profitiert aber eher die Stadt von dem Projekt: Berlin-Besucher werden in Artikeln und Newslettern dazu angeregt, in kleinen Geschäften einzukaufen und in Appartements statt internationalen Hotelketten zu übernachten. Restaurants oder Museen, die bereits Aufmerksamkeit in den Medien erhalten, stellt Sullivan prinzipiell nicht vor: «Die brauchen ja unsere Hilfe nicht mehr». Wenn Besucher sich auf verschiedene Orte verteilen, statt sich im Zentrum zu tummeln, glaubt Sullivan, löse sich auch das viel diskutierte Problem der Ablehnung der Berliner gegen Touristen.

«Langsam reisen bedeutet für mich nachhaltig und mit Kontakt zu Einheimischen», sagt Sullivan. Und: «Ich bin ein großer Fan der Idee, Dinge zu verlangsamen, um sie wirklich zu genießen. Das gilt eigentlich für alles im Leben - sei es Reisen, Essen, Sex oder das Vater-Sein». dpa