Bio auch bei Bier

Von Elke Richter

Seine Hände sind rau, tief hat sich der Schmutz in Risse und Rillen eingegraben. Dunkle Erde sitzt auch unter den Fingernägeln, mit denen Erwin Ehemann die Körner seiner Weizenähren prüft - der Landwirt ist mit der Qualität zufrieden. Auf seine Ernte baut auch die Bio-Brauerei Lammsbräu, an die Ehemann sein ökologisch angebautes Getreide liefert. Gerade einmal drei Brauhäuser gibt es in Deutschland, die ausschließlich Bio-Biere produzieren, die auch überregional erhältlich sind. Sie erfreuen sich wachsender Nachfrage.

Ehemann sieht so aus, wie man sich ein echtes bayerisches Mannsbild vorstellt: Groß und kräftig, mit einem gemütlichen Bauch und einem von der Sonne gebräunten Gesicht. Doch ein gewöhnlicher Bauer ist er nicht, darauf weisen schon seine langen weißen Haare und der bis zur Brust reichende Rauschebart hin: Der 59-Jährige ist ein Rebell, der sich gerne mal gegen die Konventionen auflehnt. 1978 war er der erste Landwirt im Landkreis Neumarkt in der Oberpfalz, der auf Bio-Produktion umgestiegen ist. Bis heute wirtschaftet er voller Überzeugung ohne Kunstdünger und Pestizide.

«Das kurzfristige Denken bringt nichts», sagt Ehemann mit Nachdruck. Er war schon als junger Mann politisch. Der saure Regen, das Waldsterben, die Atomdiskussion: Früh war ihm klar, dass es so nicht weitergehen kann. Als Ehemann den Hof seiner Eltern schließlich übernimmt, stellt er gegen deren Widerstand auf Öko-Anbau um - und fährt häufig auch sonntags über den Acker, weil er samstags auf Demos in Wackersdorf oder im Wendland ist.

Am Anfang wird Ehemann belächelt, so mancher lästert auch ohne vorgehaltene Hand. Keine fünf Jahre werde es dauern, bis er verkaufen müsse, erinnert sich Ehemann an den Dorftratsch. «Jetzt haben wir vor 34 Jahren umgestellt. Und seit 25 Jahren wird uns unterstellt, dass wir nachts heimlich düngen.»

Dabei käme es für Ehemann niemals infrage, synthetisch hergestellten Dünger auf seinen Feldern zu verteilen - alleine schon deshalb, weil er den Chemiekonzernen sein Geld nicht gönnt. Auch wenn Nachhilfe aus dem Labor manchmal durchaus praktisch wäre, etwa wenn die Witterung nicht mitspielt. «Wir haben keine Korrekturmöglichkeit. Der andere schmeißt dann einfach einen Doppelzentner mehr Dünger», berichtet Ehemann.

Aus seiner Sicht ist das ökologische Wirtschaften für einen Bauern wesentlich anspruchsvoller als der konventionelle Anbau mit seinen chemischen Möglichkeiten. «Man liest die Packungsbeilage, und wenn man das Mittel richtig anwendet, muss man nicht denken», provoziert Ehemann. Er hingegen müsse die Natur genau beobachten, um zu wissen, wann es Zeit zum Sähen, Düngen oder Ernten sei.

In diesem Jahr ist ihm dies gut gelungen, fast überall sind Gerste, Weizen und Dinkel dicht an dicht gewachsen. Vor zwei Jahren war das anders: Damals war der Juni extrem trocken, anschließend regnete es im Übermaß. 90 Prozent der Körner wuchsen am Halm aus, statt der üblichen 30 Tonnen Braugerste fuhr Ehemann nur drei ein.

An diese Zeit erinnert sich auch Susanne Horn mit leichtem Schaudern zurück. Die Ernte der Vertragsbauern in der Oberpfalz war 2010 nämlich so miserabel, dass die Generalbevollmächtigte der Brauerei Lammsbräu Rohstoffe zukaufen musste. «Das wollen wir aber eigentlich nicht. Wir wollen nicht irgendein Bio-Getreide, wir wollen das Getreide unserer Bauern und deren Qualität in Händen halten.» Kein Wachstum um jeden Preis sei die Philosophie des auf regionale Kreisläufe bedachten Unternehmens.

Dennoch kann sich die Brauerei aus Neumarkt nicht über ausbleibenden Erfolg beschweren: 13 Millionen Euro hat sie 2011 mit Bieren und Limonaden («now») umgesetzt, zwei Millionen mehr als im Vorjahr. Eigentlich zu viel, wie Horn einräumt. «Bei zehn Prozent Wachstum im Jahr ist das Ende für uns erreicht, weil die Landwirtschaft einfach nicht schneller wachsen kann.» Selbst wenn die Lammsbräu-Bauern weitere Flächen hinzupachten, gilt eine Wartezeit von drei Jahren, bis das Malz-Getreide das Bio-Siegel erhält.

Lammsbräu-Inhaber Franz Ehrnsperger, der die fast 400 Jahre alte Brauerei Anfang der 70er von seinem Vater übernahm, setzte früh auf regionale Lieferanten und Bio-Qualität. Was anfangs geschmackliche Gründe hatte, wurde bald zur festen Überzeugung. Ehrnsperger stellte sogar einen Agraringenieur ein, der alle an einer Umstellung interessierten Landwirte im Umkreis gratis beriet. Mit Erfolg: «Wir haben in Neumarkt eine der höchsten Öko-Landbau-Dichten, die es gibt», schildert Horn. Zwölf Prozent der Fläche würden ökologisch bewirtschaftet - bundesweit ist der Anteil nur halb so hoch.

Den nervenaufreibenden Kampf um genügend Rohstoffe in Bio-Qualität kennt auch Barbara Müller nur zu gut. Die 47-Jährige ist Braumeisterin in der sechsten Generation, ihr Vater brachte schon 1980 das erste Bio-Bier auf den Markt. Doch erst 1991 stellte die Pinkus Müller Brauerei komplett auf Bio um - viele Öko-Bauern in der Region hatten ihr Getreide lieber erstmal den Bäckereien geliefert.

Heute stellt die im westfälischen Münster ansässige Brauerei rund 20 000 Hektoliter im Jahr her. «Für Bio-Biere ist es einfacher geworden», berichtet Müller. Um sogleich hinterherzuschieben: «Aber die Konkurrenz ist größer geworden.»

Drei überregional aktive Brauereien gibt es in Deutschland, die ausschließlich in Bio-Qualität produzieren. Hinter dem Platzhirschen Lammsbräu mit 63 000 Hektolitern pro Jahr folgen Pinkus Müller und das ähnlich produktionsstarke Riedenburger Brauhaus aus Niederbayern, das auch die Spezialitäten des Klosters Plankstetten herstellt. Darüber hinaus gibt es zahlreiche regionale Brauereien, die oftmals neben konventionellen Sorten ein oder zwei Bio-Varianten anbieten.

Das verstärkte Angebot wird angenommen: 2011 griffen die Verbraucher wesentlich häufiger zu Bio-Getränken als im Vorjahr. Die gestiegene Nachfrage nach ökologisch erzeugtem Bier und Wein, vor allem aber nach Mineralwässern und Erfrischungsgetränken trieb den Umsatz um 9,5 Prozent nach oben, wie Christina Kötzle vom Marktforschungsunternehmen Biovista berichtet. Das Unternehmen wertet mit Hilfe der Kassenbons von rund 200 größeren Fachhandelsgeschäften aus, welche Produkte über die Ladentheke gehen. Demnach entfallen sechs Prozent der Gesamterlöse auf Getränke, die 2011 stärker zulegten als der Durchschnitt aller Warengruppen.

Die Ursache für den Trend erklärt sich Kötzle mit Blick auf die zunehmende Zahl von größeren Bio-Märkten mit angeschlossenem Parkplatz ganz pragmatisch: «Wir führend das darauf zurück, dass die Leute immer mehr die Möglichkeit haben, mit dem Auto vor den Laden vorzufahren und Getränkekisten einzuladen.» Aber natürlich spiele auch das ausgeweitete Angebot eine Rolle, sowohl bei den Limonaden und Säften als auch bei den Bieren und Weinen.

Stefanie Neumann von der Bio-Supermarktkette Alnatura hat darüber hinaus noch eine andere Erklärung für die steigende Nachfrage: «Wir gehen davon aus, dass dieser allgemeine Trend bei Lebensmitteln auch auf Getränke zutrifft, also dass keine künstlichen Aromen drin sein sollen, keine Farbstoffe, keine chemischen Konservierungsstoffe.»

Deshalb hätten konventionelle Brauereien, die nur alle paar Wochen Bio-Bier abfüllten, im Naturkostfachhandel auch schlechte Chancen, berichtet Neumann. Schließlich gehe es um Glaubwürdigkeit, ökologisches Bewusstsein, faire Arbeitsbedingungen und einen ganzheitlichen Ansatz. «Wenn Coca-Cola sich entscheiden würde, eine Bio-Cola anzubieten, gibt es die vielleicht im Lebensmittelhandel. Aber nicht im Bioladen, wir legen Wert auf alteingesessene und überzeugte Hersteller.»

Entweder - oder: «Ein bisschen schwanger gibt es nicht», betont auch Susanne Horn. Und das nicht nur wegen der Glaubwürdigkeit, sondern auch wegen der Gefahr von Verunreinigungen - nicht nur in den Lagern und Braukesseln. «Es gibt zum Beispiel keine Bio-Hefe zu kaufen», erzählt Horn. Während Lammsbräu die Hefe selbst ziehe, nutzten konventionelle Brauereien auch für ihr Bio-Bier die wiederverwertbare Hefe aus früheren Suden. Horn lehnt dies ab, schließlich hätten die Mikroorganismen dann schon Schadstoffe aus konventionellen Chargen in ihren Zellen verstoffwechselt.

Manchmal allerdings leidet auch Horn unter der eigenen Konsequenz. Etwa, wenn die Temperaturen im Besprechungszimmer schon am Morgen unangenehm in die Höhe klettern. Doch eine Klimaanlage kommt bei Lammsbräu nicht ins Haus - der CO2-Ausstoß sei bei der energie- und wasserintensiven Brauerei trotz aller Einsparungsmaßnahmen ohnehin zu hoch, erklärt Horn.

Bauer Ehemann hat bei seiner Arbeit auch an heißen Tagen oft einen kühlenden Wind im Gesicht. Er ist Lammsbräu nicht nur wegen der gemeinsamen Grundsätze verbunden - sondern auch, weil die Neumarkter Abnahmemenge und Preis auf fünf Jahre vertraglich garantierten. Viele konventionelle Bauern hingegen werden immer wieder mit der Forderung nach Preissenkungen konfrontiert.

«Das beruhigt ungemein», erklärt Ehemann. «Da hat man viel mehr Zeit, sich seiner Kultur zu widmen.» Stolz zeigt er die Unterschiede zwischen seinem Weizenfeld und dem des konventionell wirtschaftenden Nachbarn. «Hier können sich Beikräuter entwickeln, und ganz viele Vögel wie Fasane, Wachteln und Lärchen leben von den kleinsamigen Unkräutern.» Nebenan hingegen stehen nur die Getreidehalme, dazwischen zeigt sich keine einzige blühende Blume.

Obwohl keine Bio-Richtlinie es fordert, hält Ehemann deshalb freiwillig einen halben Meter Zusatzabstand - auch wenn ihn das natürlich Ertrag kostet. So mancher dürfte den 59-Jährigen deshalb noch immer als Idealisten und vielleicht auch als Spinner betrachten. Doch das sind die Bio-Pioniere gewohnt.

«Das war am Anfang nicht absehbar, dass das irgendwann mal Erfolg haben würde», erzählt etwa Martha Krieger, die mit ihrem Mann das Riedenburger Brauhaus auf einen grünen Weg brachte. «Das war Kamikaze. Aber wenn man Ideale hat, weiß man nie, ob man da irgendwann Profit rausschlagen kann. Inzwischen haben wir uns etabliert.» dpa