Brüssel als Gourmet-Metropole

Von Mechthild Herzog und Christian Böhmer

Miesmuscheln, mit Krabben gefüllte Tomaten, Hopfensprossen oder Bier mit Kirschgeschmack - das kleine Belgien hat etliche Köstlichkeiten zu bieten. Die Bandbreite des Gastgewerbes erstreckt sich von der Frittenbude bis hin zum Gourmet-Tempel. Doch die vielgepriesene Haute Cuisine verlor gerade in Brüssel ihren Glanz: Seit 2006 trägt kein Restaurant mehr drei Sterne im Michelin-Führer. Dabei war die belgische Kapitale noch in den 1980er Jahren die «sternenreichste» Stadt außerhalb Frankreichs und ein richtiger Hoffnungsträger für Europas Feinschmecker.

Die Hauptstadt geht nun mit einem ganzjährigen Küchen-Festival in die Offensive. «Brusselicious» setzt dabei eher auf Vielfalt als auf Glamour. Die Organisatoren fangen bei dem an, was für viele Fast-Food ist - den Pommes Frites. «Wir wollen zeigen, dass auch eine Frittenbude zur Esskultur gehört», meint Olivier Marette vom Veranstalter «VisitBrussels». Und «Brusselicious» legte einfach mal eine Hit-Liste mit den zehn besten Verkaufsplätzen für die heißen Kartoffelstäbchen auf.

Einer der Kultorte ist die «Friterie de la barrière de Saint-Gilles» im gleichnamigen Stadtbezirk. Der resolut wirkende Anastasio Souli führt den Familienbetrieb im väterlichen Wagen seit zwei Jahren. Bei seiner Ausbildung zum Koch lernte er neben der französischen und der spanischen Küche auch die belgische kennen - und schätzen: «Die ist sehr variabel, sehr reich an Zutaten und Gerichten.»

Der Appetit auf Pommes Frites ist dem 43-Jährigen nie vergangen: «Ich esse pro Woche zwei bis drei Kilo», berichtet der Kleinunternehmer, der mehrere Mitarbeiter beschäftigt, lachend und stolz. Im Monat verkauft er rund 12 000 Kilogramm, mit oder ohne Soße, Tendenz steigend. Die Kunden stehen Schlange - und auch ein mühsam Englisch sprechender Russe bekommt sein «paquet» mit Fritten.

Im Zentrum locken Restaurants reihenweise, und die Besucher wissen oft nicht wohin. Gerade um die Grand-Place im Herzen der Altstadt versuchen immer wieder Kellner, Touristen in ihre Tavernen zu ziehen. Die Qualität der Küche ist nicht immer auf der Höhe. Die Veranstalter von «Brusselicious» lehnen es jedoch ab, «schwarze Schafe» der Szene an den Pranger zu stellen. «Wir wollen keine Negativbeispiele geben, sondern Positivbeispiele von guten Restaurants», unterstreicht Olivier Marette. Wesentlich deutlicher wird ein Gaststättenführer, den es bisher nur für das Europaviertel gibt. Die Autoren schreiben ganz deutlich, um welche Lokale man lieber einen Bogen machen sollte - sie sind mit roter Warnfarbe markiert.

Etliche Spitzenköche sind beim Gastro-Jahr dabei. «Wir sind Händler des Glücks, und das wollen wir auch bleiben. Es bleibt ein Beruf der Leidenschaften», schwärmt Yves Mattagne, «Chef» des schicken Hotelrestaurants «Sea Grill» mit zwei Michelin-Sternen. Ein Traum, sicherlich, der aber mit viel Einsatz und Arbeit verbunden ist: «An der Spitze zu bleiben ist zweifellos das Schwierigste.»

Es ist kein Geheimnis, dass Gourmets nicht mehr monatelang warten müssen, um von einem Starkoch bedient zu werden. Auch der Nachwuchs steht nicht mehr Schlange, um bis spätabends in der Küche zu stehen. «Teams zu führen - ein echtes Problem», weiß Mattagne. «Wir sind Unternehmenschefs geworden und Psychologen.» Der smarte Gastronom scheut nicht davor zurück, Schattenseiten des schillernden Metiers aufzuzeigen. So kommen kleine Lieferanten aus dem Umland wegen der Dauerstaus nicht mehr in die Innenstadt. Und die Produkte für traditionelle Gerichte sind rar: «In der Nordsee gibt es noch fünf Fischarten, und das war's», resümiert der prominente Küchenchef.

Eine Attraktion des Festivals ist eine Tram, möbliert mit gedeckten Tischen. Der «Sonderzug» verkehrt fast täglich. Die Veranstalter wollen die Küche auf die Straße holen und damit sichtbarer machen. Das Gastgewerbe ist seit langem ein wichtiger Wirtschaftsfaktor der Hauptstadt. Yvan Roque, Präsident des lokalen Hotel- und Gaststättenverbands, spricht von 35 000 Arbeitsplätzen. «Indirekt, also mit Lieferanten, arbeiten sogar mehr als 100 000 Menschen für den Sektor», rechnet er vor.

Unter freiem Himmel sind auch fünf Meter hohe Skulpturen von Brüsseler Spezialitäten zu sehen. Junge Künstler haben sich der übergroßen Frittentüten, Miesmuscheln, Biergläsern, Schokoladentafeln und vielem mehr angenommen und sie bunt und teilweise surreal gestaltet. «Das ist typisch belgisch, so bunt und mit einem bisschen Humor», findet Sébastian Babaud. Virginie Droit gefällt die belgische Küche. «Mir schmeckt es. Und der Service ist sehr gut.» Die Französin hat nur einen Einwand: «Die Preise sind ein bisschen hoch.» Daran dürfte das Jahr der Gastronomie wohl nichts ändern. dpa