Chef's Table at Brooklyn Fare? Vergesst es!

Von Stefan Elfenbein

Vielleicht schon gebucht, als geplantes Highlight nach dem Xmas-Shopping auf der Fifth Avenue und im Rockefeller Center? Dann bitte schnell absagen! Wir waren dort, im Chef's Table at Brooklyn Fare, einem der angeblich besten Restaurants der Welt, drei Michelin-Sterne, zum zweiten Mal, und auf jeden Fall einem der angesagtesten, mit dem größten Hype drum herum. Sechs Wochen im Voraus kann reserviert werden. Und jeden Montag, exakt um 10 Uhr 30, werden die noch freien Plätze für die aktuelle Woche vergeben. Wer Minuten später anruft, hat keine Chance. Reservierungen per Email gibt's nicht. Wir versuchen unser Glück, noch von Deutschland aus. Der erste Anruf: "Ja, Hallo, hier Stefan aus Berlin - gibt es bei Ihnen noch ein Plätzchen im nächsten Monat?" "Nein, alles ausgebucht! Und Alleinesser platzieren wir eh nicht", heißt es - "they can not dine with us!" "Dann komme ich gerne mit Begleitung!", sage ich. "Ach Moment, da ist gerade eine Absage - Samstag, 22 Uhr, die oder keine! Haben Sie ein Glück! Ihre Kreditkarte!" Ich bin eingebucht.

Drei Wochen später. Wir sind schon in New York, in Erwartung, reden über's Brooklyn Fare, überall, mit Foodies, Freunden, Küchenchefs. Jeder kennt es. Keiner war je da; keinen Platz bekommen oder schlicht zu teuer. Eine Woche vor der Reservierung dann eine Email: Die Rechnung fürs Menü wurde vom Konto abgebucht, komplett, plus Steuern und 20 Prozent Trinkgeld: 580 Dollar für zwei Personen. Angehängt noch einmal die Geschäftsbedingungen, zwei lange Seiten: reservieren kann tatsächlich nur, wer zu zweit oder viert kommt. Das Brooklyn Fare hat 18 Plätze. Die werden Wochenend-abends gleich dreimal vergeben. Auf ist ab 18 Uhr 30. Business attire, Anzug, Abendkleid, sind Pflicht. Jeans und Turnschuhe sind verboten. Man darf auch keine Fotos machen, noch nicht einmal Notizen. Na, wir werden sehen!

Dann der große Abend. 21 Uhr 30 mit der Subway nach Downtown Brooklyn. An der Station Hoyt/Schermerhorn geht's raus. Alles ziemlich düster, verfallene Häuser, Obdachlose, ein Thrift Shop, eine Polizeistation, daneben die zentrale Ausgabe für food stamps, Essensmarken für Bedürftige. Immer wieder Blaulicht und Polizei-Sirenen. Wir im Anzug; schon komisch! Mittendrin das Brooklyn Fare, ein leicht angeschmuddelter Supermarkt. Das Restaurant liegt nebenan; 18 Alu-Stühle um den Tresen, der kleine Küchen-Counter, ein großes Fenster. "Hallo, hier sind wir", sagen wir, zuckersüß natürlich. Wir werden platziert, ohne Begrüßung, kein freundliches Wort, nicht ein einziges. Neun Gäste von der Vorrunde sitzen noch im Raum, am Ende ihres Dinners, mucksmäuschenstill. Selbst die Japanerinnen gegenüber lächeln nicht. Wie ungewöhnlich! Die Weinkarte wird hingelegt: viele teure Gewächse, 5 Weine sind offen, das Glas so um die 30 Dollar. Es gibt Wein und Leitungswasser. Andere Getränke gibt es nicht. Wir bestellen einmal Wasser und einmal die Weinbegleitung.

Punkt 22 Uhr, das Menü beginnt. "Verpasste Gerichte werden nicht serviert", heißt es in den Geschäftsbedingungen. Roboterhaft werden Tellerchen vor uns platziert. 23 werden es am Ende sein, alle Gerichte in der gleichen Größe, Häppchenformat. Die dazu dahin geworfenen Erklärungen sind kaum verständlich. "Excuse me!", "Please, say that again", fragen die noch erwartungsvollen Gäste. Als Einstieg Tomaten-Gurken-Suppe, dann eine Auster auf Granny Smith-Püree, die nächsten neun Gerichte sind roher Fisch oder Krustentiere, meist als Sashimi, mal mit Blättchen oder Blütchen, und alles aus Japan. Japanischer Fisch und Seafood sind in den USA seit Fukushima günstig; madai, Shima Aji, king salmon, taira gai, aku mutsu, der Bluefin-Thunfisch kommt "on a kind of mustard", heißt es, "auf einer Art Senf". Toll! Das Stück Flunder mit japanischem Rettich, Dill und Korianderblatt ist viel zu salzig, ebenso der red snapper mit Boretschblüte und einem Stück der eigenen gebackenen Haut.

Ich mach Notizen, nun doch, vorsichtig, auf einem Blatt im New York-Reiseführer. Es dauert keine zwei Minuten, schon steht eine Bedienung neben mir, eiskalt, bissig. "You have agreed to our rules!", heißt es scharf, "Sie haben sich auf die Regeln eingelassen." Küchenchef César Ramirez, der vorher in der Bar Blanc, einem seit einiger Zeit geschlossenen Bistro im West Village, gekocht hat, schaut grimmig zu, mit verschränkten Armen. Ich kritzele noch ein paar Worte mehr. Prompt folgt die Androhung, das Restaurant zu verlassen. Weitere Notizen mache ich auf dem Klo. Dort lullt mich die Duftkerze ein. Im Vorraum arrangieren drei Mexikaner die Gerichte. Wenigstens die sind nett! Eine frittierte Sardine folgt und eine schon gräuliche, viel zu fette Ente. Zwei der stummen Gäste wagen es noch einmal, Fragen zu stellen, vielleicht wird doch noch Alles gut: "Warum wird denn gerade japanischer Fisch serviert?" "They have the best stuff!", heißt es knapp, "die haben das beste Zeug!" "Und, Herr Ramirez, wie haben Sie den wunderbaren Steinbutt zubereitet?" "Hier im Ofen!", kommt als Antwort. Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt, keiner redet mehr - und das hier in Amerika, in New York! Die Serviette fällt herunter. Dem Personal ist's egal. Erklärungen zu den Gerichten gibt's auch nicht mehr.

Kurz nach Mitternacht. Das Service-Personal will nun so ganz offensichtlich schnell nachhause. Selbst noch nicht aufgegessene Gerichte werden uns jetzt vor der Nase weggezogen. Dann endlich die Desserts, fast eine Erlösung: Pfirsiche, ein Sorbet mit Goldstaub, die Limonen-Tart. Eins der Pärchen im Raum feiert Geburtstag. Das merken wir erst, als eine der Tarts mit einem dünnen Kerzchen kommt. Die Kerze geht schon beim Bringen aus, gratuliert wird nicht, der Kerzenstummel dampft traurig vor sich. Am Ende noch die Rechnung für die Getränke, handgeschrieben, hingekritzelt: noch einmal 203 Dollar, für 6 schmale Gläschen dürftigen Weins. Als wir nach einer Quittung fragen, heißt es, dies sei im Brooklyn Fare nicht üblich, "we do not give people invoices!" Kurz nach 1 Uhr. Wir stehen auf der Straße, im Regen, kein Taxi. Wir fühlen uns schlecht, benutzt, bedient. Die anderen Gäste tun uns leid.

Chef's Table at Brooklyn Fare, 800 Schermerhorn Street, Brooklyn, NY 11201, Tel. +1-718-243 0050, brooklynfare.com

(Text in Auszügen in der November-Ausgabe des Magazins Der Feinschmecker. Die neuen oder neukonzipierten New Yorker Restaurants wie "Eleven Madison Park" (mit wohl verdienten 3 Sternen), "NoMad", "Atera", "Brushstroke", "Salinas", "Boulud Sud", "Tartulia", "Perla" und "Jezebel" stehen in der Dezember-Ausgabe)