Von Marco Krefting
Eines der einfachsten Mittel zum Schutz gegen Corona: Ab an die frische Luft. Im Freien wirbelt - vereinfach gesagt - der Wind die Viren davon, was eine Ansteckung unwahrscheinlicher macht. Jetzt im Sommer ist das Draußensein kein Problem. Schließlich locken Besuche im Biergarten, Schläfchen am Seeufer oder eine Radeltour. Aber spätestens im Herbst, wenn wir wieder mehr drinnen sind, es kälter wird, Fenster geschlossen bleiben, dürfte das Ansteckungsrisiko steigen. Die Corona-Gefahr wächst.
Mittlerweile ist das Gros der Forschergemeinde der Überzeugung, dass neben Schmierinfektionen - etwa beim Nutzen derselben Klinke - Tröpfchen und die noch kleineren Aerosol-Partikel eine entscheidende Rolle bei der Übertragung von Sars-CoV-2 spielen. Aerosol-Teilchen können Stunden bis Tage in der Luft schweben.
Der frühere Präsident der Internationalen Gesellschaft für Aerosole in der Medizin, Gerhard Scheuch, sagt mit Blick auf symptomlose Infizierte, die nachweislich das Virus übertragen haben: «Ich glaube, dass einfaches Atmen schon genügt.» Erst kürzlich haben US-Forscher in Versuchen bestätigt, dass von Corona-Infizierten ausgestoßene Aerosole intakte Viruspartikel enthalten können.
Und genau hier liegt im Grunde das Problem: In einem geschlossenen Raum atmet, hustet, niest ein Erkrankter immer wieder schubweise Virenwolken. Weht kein Wind, verteilen die Viren sich im Raum, die Corona-Konzentration steigt. Daher warnt das Robert Koch-Institut (RKI), bei längerem Aufenthalt in kleinen, schlecht oder nicht belüfteten Räumen könne sich die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung durch Aerosole auch über eine größere Distanz als zwei Meter erhöhen. Dabei spielen natürlich auch andere Faktoren eine Rolle - etwa wie viele virushaltige Partikel der Infizierte ausstößt und wie lange sich andere im selben Raum aufhalten und die Luft einatmen.
Wie viel höher ist die Gefahr in Innenräumen als draußen? Darauf gibt es keine konkreten Aussagen. Das lasse sich nicht so genau beziffern, erklärt eine RKI-Sprecherin. Scheuch verweist auf eine Studie aus China, nach der von untersuchten 318 Ausbrüchen mit drei oder mehr Infektionsfällen ein einziger im Freien stattgefunden hat. Die Auswertung bezieht sich auf Daten von Januar und Februar - also bei potenziellem Lieber-Drinbleiben-Wetter.
Scheuch macht eine Beispielrechnung. Er nimmt dafür an, dass in einem Raum 50 Viren pro Liter Luft sind. Würde eine Person in zehn Minuten etwa 150 Liter Luft inhalieren, seien darin rund 7500 Viren enthalten. «Laut meinen amerikanischen Kollegen von der Harvard Uni reichen wahrscheinlich 300 bis 1000 Viren aus, um eine Infektion auszulösen», macht Scheuch deutlich. «Das bedeutet: Diese Person hat mindestens das Siebenfache an Grenzdosis abbekommen.»
Doch Innenraum ist nicht gleich Innenraum, wie Scheuch erklärt: «In Fitnessstudios kann natürlich durch die körperlichen Anstrengungen die Produktion der Aerosole durchs Atmen deutlich erhöht werden.» In einem Klassenzimmer mit vielen schreienden, durcheinanderlaufenden Kindern sei die Gefahr auch größer als in einem Büro mit wenigen (gesittet sitzenden) Erwachsenen. Im Wirtshaus wiederum könnten lautes Sprechen, Lärmen und Singen die Ausbreitung verstärken.
Die Lösung lautet auch hier: Wind. Und die Luft sollte am besten so frisch wie möglich sein. Der Leiter des Hermann-Rietschel-Instituts, dem Institut für Energietechnik an der TU Berlin, Martin Kriegel, hat mit seinem Team untersucht, wie sich die Partikel im Raum verteilen. Er kommt zu dem Ergebnis: «Ganz grundsätzlich kann man festhalten, dass bei typischen Luftwechselraten in Wohn- und Bürogebäuden die Erreger über Stunden im Raum verbleiben. Die Sinkgeschwindigkeit und auch die Lufterneuerung dauern sehr lange. Jede Erhöhung der Außenluftzufuhr ist daher generell sinnvoll.»
Ähnlich argumentiert Dieter Scholz vom Department Fahrzeugtechnik und Flugzeugbau an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Eine Querlüftung mit geöffneten Fenstern an gegenüberliegenden Seiten einer Wohnung beispielsweise sei das Beste. Auch gekippte Fenster brächten noch mehr als eine eingebaute Lüftungsanlage, so Scholz. Das Problem dabei gerade mit Blick auf den Herbst: Genauso schnell, wie dann mögliche Viren herausgeweht werden, verschwindet auch die Wärme.
Scholz hat sich zudem die Situation in Flugzeugen genauer angeschaut. Die Luft in der Kabine werde zwar permanent mit virenfreier Luft von außen und gefilterter Luft in einem Mischprozess gespült, erklärt er. Dadurch bleibe die Corona-Konzentration - im Fall eines Infizierten an Bord - auf einem konstanten Wert, der aber nicht null sei.
Ein Teil der Kabinenluft ströme durch sogenannte Hepa-Filter. Diese Schwebstofffilter können deutlich kleinere Teilchen stoppen als etwa FFP- oder gar selbstgenähte Community-Masken und gelten als sicherste Variante im Kampf gegen Corona-Aerosole. Doch die Kabine sei dann noch nicht komplett frei von Viren, betont Scholz. Die Quelle höre nicht einfach auf, Viren auszustoßen: «Ein Kranker hustet, niest oder atmet ja weiter», erläutert Scholz. «Es kommen also immer wieder neue Corona-Viren nach.» Hinzu komme, dass die Luft in einer Flugzeugkabine so zirkuliere, dass sich Viren nachweislich nach links und rechts, aber auch mehrere Reihen nach vorne und hinten verteilen.
Dazu passt die Untersuchung einer Infektionskette in einem chinesischen Restaurant. Sie legt unter anderem nahe, dass der einfache Luftstrom einer Klimaanlage eher dazu beitrug, dass die Aerosole im Raum verbreitet wurden - und sich genau diejenigen Gäste ansteckten, die in Richtung eben dieses Luftzugs saßen.
Die kalten Jahreszeiten Herbst, Winter und wohl auch noch Frühling bringen dieses Jahr also ein großes Problem mehr mit sich. Was tun?
Ein Team vom Institut für Strömungsmechanik und Aerodynamik an der Universität der Bundeswehr München hat einen Raumluftreiniger untersucht, mit dessen Filterkombination selbst sehr kleine Aerosol-Partikel zu 99,995 Prozent aus der Raumluft abgeschieden werden. In einem 80 Quadratmeter großen Raum könne die Aerosolkonzentration in sechs Minuten halbiert werden. Weil die Aerosole rausgefiltert werden, würden die Geräte auch nicht zur Virenschleuder, hält das Team um Christian J. Kähler fest. Sie empfehlen Raumluftreiniger etwa für Schulen, Büros, Geschäfte, Wartezimmer, Vereinshäuser, Aufenthalts- und Essensräume.
Doch ein solches Gerät kostet mehrere Tausend Euro. Hinzu kommt in der Regel ja besagte konstante Virenquelle - etwa ein infizierter Kollege. Daher empfehlen auch die Wissenschaftler der Bundeswehr-Uni Mund-Nasen-Schutz: Raumluftreiniger könnten das Infektionsrisiko durch direktes Anhusten oder beim langen Unterhalten über kurze Distanz nicht verringern. Daher seien trotz Raumluftfiltern ausreichend große Abstände zu anderen und Mund-Nasen-Bedeckungen oder partikelfiltrierende Atemschutzmasken wichtig.
Aerosol-Experte Scheuch hält auch CO2-Messgeräte bei geschlossenen Räumen für hilfreich. «Der CO2-Gehalt ist ja ein Maß für die Luftqualität in einem Raum mit mehreren Personen. Dann würden sie als Warnanlage helfen», erklärt er. Doch wenn man gleichzeitig Raumluftreiniger einsetze, helfen sie nicht mehr. «Denn dann geht zwar der CO2-Gehalt im Raum hoch, die Luft bleibt aber dennoch ziemlich Viren-Aerosol-frei.» Hier könnte dann ein zusätzliches Partikelmessgerät helfen, das die Aerosolkonzentration bestimmt. Die Preise für diese Geräte liegen in der Regel im dreistelligen Bereich. dpa