Dem Geschmack auf der Spur

Von Christiane Löll

Das hat wohl jeder schon mal erlebt: Ein fetter Schnupfen lässt die Nase schwellen, man riecht nichts, das ganze Essen schmeckt fade. «Ob etwas süß oder salzig ist, wird noch wahrgenommen, aber ob das nun Pfirsich- oder Erdbeermarmelade auf dem Brot ist, können Sie kaum mehr unterscheiden», sagt Prof. Thomas Hummel von der Universität Dresden, Experte für Riech- und Schmeckstörungen.

«Sie brauchen für die Wahrnehmung von feinen Aromen den Riechsinn.» Doch während sich der Geschmack nach dem Abklingen der Erkältung bei den meisten wieder einstellt, müssen manche Menschen ohne diesen Sinneseindruck leben. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Die Behandlung ist schwierig.

Beim Riechen und Schmecken docken chemische Moleküle an Millionen von Sinneszellen in Nase, Mund- und Rachenraum an. Diese Zellen leiten die Eindrücke über die Hirnnerven an das Gehirn weiter. «Während der Riechsinn über einen Hirnnerv vermittelt wird, sind beim Schmecken drei beteiligt», sagt Prof. Karl-Bernd Hüttenbrink von der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie.

Auch der sogenannte orale Tastsinn über den Hirnnerv Trigeminus spielt bei den Sinneswahrnehmungen mit. Gemeint ist damit der Eindruck, den man von Chili in Form von Schärfe oder durch Alkohol als Brennen hat.

Sei man früher davon ausgegangen, dass Geschmacksknospen nur auf der Zunge vorkommen, so wisse man inzwischen, dass der gesamte Mund- und Rachenraum damit bestückt ist, sagt Hummel. Bislang sind fünf Grundgeschmacksrichtungen bekannt: süß, salzig, sauer, bitter und umami (fleischig, herzhaft). «Beim Schmecken kommen dann noch Eindrücke vom Riechen hinzu, weil die chemischen Moleküle beim Essen oder Trinken von hinten in die Nase aufsteigen.» Auch das Aussehen, die Konsistenz, die Schärfe, die Temperatur und der Fettgehalt einer Speise machten ihren Geschmack aus.

«Isolierte Schmeckstörungen sind eher selten», sagt Hüttenbrink, der an der Uni Köln arbeitet. In den allermeisten Fällen hätten Menschen, die sagen «Mir schmeckt etwas nicht mehr» Probleme mit dem Riechsystem. Riechstörungen kämen laut Schätzungen bei etwa fünf Prozent der Gesamtbevölkerung vor. Dem Artikel «Schmeckstörungen - Ein Update» in der Fachzeitschrift «HNO» zufolge haben weniger als zehn Prozent der Patienten einer Spezialsprechstunde eine reine Störung des Geschmackssinns. Der tatsächliche Anteil in der Gesamtbevölkerung bleibt allerdings offen.

So komplex die Vorgänge bei diesen Sinneseindrücken sind, so aufwendig ist die Diagnose entsprechender Probleme. «Wer zu uns in die Sprechstunde kommt, erhält bei Geschmacksstörungen sowohl Riechtests als auch reine Geschmackstests», sagt Hüttenbrink. Für die Riechtests wurden Stifte entwickelt, englisch «sniffing sticks» genannt. Sie erinnern an Textmarker und enthalten Duftkomponenten wie Rose, Orange oder Nelke. Für Geschmackstests benutzt das Team in Köln Schmeckplättchen. Diese werden auf die verschiedenen Bereiche der Zunge gelegt, die von unterschiedlichen Nerven versorgt werden. Laut «HNO» gibt es auch Tests, bei denen Tropfen verwendet werden.

Bei reinen Schmeckstörungen unterscheiden die Mediziner zwischen Schäden der Schmeckknospen, Verletzungen der Hirnnerven oder einer Ursache im Gehirn - beispielsweise nach einem Sturz auf den Kopf, durch Hirntumore oder bei psychiatrischen Erkrankungen. Die Sinneszellen können nach einer Infektion, durch eine Strahlen- oder Chemotherapie, aber auch Medikamente geschädigt sein. Laut Hummel gibt es Hunderte Arzneimittel, die den Geschmackssinn verändern können. «Oft wird von einem metallischen Geschmack gesprochen, dies muss nicht sofort nach dem ersten Einnehmen auftreten, sondern kann auch Jahre später folgen.»

Die drei für den Geschmackssinn zuständigen Hirnnerven wiederum können bei einem Bruch der Schädelbasis oder auch nach Operationen an Ohren oder im Rachenraum in Mitleidenschaft gezogen werden. Laut dem «HNO»-Fachartikel kann auch Diabetes oder eine gestörte Schilddrüsenfunktion den Geschmack verderben.

Hummel und Kollegen, die in Dresden eine Spezialsprechstunde anbieten, haben ermittelt: Von 4680 Patienten der Klinik hatten 491 eine reine Geschmacksstörung. Bei einem Drittel von ihnen sei nicht zu klären gewesen, woher die Beschwerden kamen. Bei knapp einem Viertel war es die Folge von Verletzungen oder Unfällen, bei einem weiteren Viertel lag ein «buntes Bild» von Störungen, etwa durch Medikamente, zugrunde.

Bei 15 Prozent traten die Beschwerden nach einer Operation auf. «Teilweise fühlen sich die Menschen sehr eingeschränkt, verlieren an Gewicht, wollen gar nicht mehr essen, auch Verstimmungen bis hin zu Depressionen kommen vor», sagt Hummel. Dies trete vor allem bei Menschen auf, die häufig bis immer einen metallischen oder bitteren Geschmack im Mund hätten.

Bislang hat die Medizin wenig Mittel in der Hand, um Patienten mit reinen Schmeckstörungen zu helfen. «Durch Weglassen oder Umstellen von Medikamenten kann man überprüfen, ob es daran liegt, und dann handeln», sagt Hummel. Als Therapie könne man es mit Zink versuchen. «Wir haben Hinweise, dass Zink besser als ein Placebo wirkt, aber wir kennen die genauen Gründe dafür noch nicht», sagt Hummel.

Mehr Chancen gebe es, wenn der Riechsinn am Geschmacksproblem schuld sei. «Riechzellen im obersten Teil des Nasenraums können sich nachbilden. Das ist möglicherweise der Grund, weshalb der Geruchssinn bei vielen Patienten nach einem kompletten Verlust langsam wieder kommt, wie wir das nach einem Schnupfen kennen.» dpa