Einstein Unter den Linden Die Achilles-Synthese

Im eigenen Restaurant reinstoff hatte Daniel Achilles (46) zwei Michelin-Sterne erkocht, im Eins44 war er als Küchenchef ebenfalls für modernes Fine Dining verantwortlich. Was treibt den Berliner Meisterkoch von 2018 also, in das zweifelsfrei solide, aber nicht unbedingt für innovative Gerichte bekannte Einstein Unter der Linden zu wechseln?

In einen Traditionsbetrieb mit 250 Sitzplätzen, Öffnungszeiten rund um die Uhr und Terrasse mit Blick aufs Brandenburger Tor? "Warum eigentlich nicht?", kehrt Daniel Achilles die Warum-Frage ganz lässig um. „Gastronomie verändert sich, ich verändere mich und habe mich nicht nur mit mehr Sitzplätzen vergrößert, sondern auch beim Denken und Handeln.“

Foto: Victoria Communication

Äußere Umstände mögen eine Rolle gespielt haben - in jedem Fall ist der eigenwillige Achilles wandelbar und immer bereit für neue Herausforderungen. Und eine solche ist es garantiert, wenn man das Erbe eines Küchenchefs wie Siegfried Danler antritt. Mit seiner alpenländischen Wohlfühlküche hatte der Österreicher ein Stammpublikum aufgebaut, das Geschäftspartner:innen gerne mit dem legendären Saftgulasch oder einem Wiener Schnitzel beglückte. Hinzu kommt, dass das Abendessen im Einstein Unter den Linden lediglich die letzte Etappe nach Frühstück, Lunch und Kaffee mit selbst gebackenen Kuchen darstellt: Seit seiner Gründung im Jahre 1996 verfolgt es konsequent das Konzept des klassischen Wiener Kaffeehauses mit Restaurant.

Ein größtmöglicher gemeinsamer Nenner für alle ist das Ziel im Einstein - so kommen schon mal Gäste des benachbarten und geschäftlich verbandelten Château Royal vorbei, die Abwechslung zur recht speziellen Küche des Dóttir suchen.

Als wir um 19 Uhr zum Dinner antreten, scheint der Hauptansturm schon vorbei zu sein. Nur einzelne Tische sind besetzt, wir genießen die Abendsonne und sind vor allem gespannt. Ein erster Blick auf die Karte zeigt, dass Vor- und Hauptspeisen in „Einstein Season“ und „Einstein Classic“ unterteilt sind, als eine Art Entente cordiale zwischen neuem und altem Küchenchef, zwischen modernen Foodies und traditionellen Schnitzel-Fans. So gestelzt These und Antithese klingen, so gelungen ist die Synthese als eigentliche Überraschung des Abends: Beide Küchenstile schmecken großartig und werden von Daniel Achilles in bekannter Präzision gleichermaßen gemeistert - und das mit einer Mannschaft, die sich an seine Standards erstmal gewöhnen muss.

Von der Season-Karte - also der neuen, leichten und vegetabilen Linie der Küche - bekommen wir eine cremige Burrata mit Aprikose und gelber Rübe, die sich fruchtig an den Gaumen schmiegt und uns deutlich besser gefällt als die vor allem kohlehydratlastigen Scheiben vom Essigknödel (Classics). Sehr leicht, sehr frisch und mit ein paar Gramm Kaviar sinnvoll aufgewertet avancieren die Gurken mit Buttermilch (Season) direkt zu meiner Lieblingsvorspeise.

Erstaunlich mutet angesichts des hohen Anspruchs der Küche die ausgesprochen übersichtliche und in Deutschland vor allem auf Markus Schneider fokussierende Weinkarte an. Nun ist er keinesfalls ein schlechter Winzer, leider sind von ihm aber nur die mainstreamigen Einsteiger-Weine gelistet. Dass daneben ein 1986 Premier Cru Château d'Yquem für 699 Euro angeboten wird, irritiert umsomehr und lässt den Eindruck entstehen, dass weniger eine individuell kuratierte Auswahl denn Etikettenhascherei im Vordergrund steht.

Während bei den Vorspeisen klar Team Achilles siegt, mischt der Tafelspitz im Hauptgang die Würfel noch einmal neu: Das geschmorte Stück Rind schmilzt auf der Zunge, die Bouillon glänzt in delikater Feinheit, und die klassischen Wiener Beilagen wie Kren, Schnittlauchsauce und Braterdäpfel sind handwerklich und geschmacklich geradezu perfekt. Auch das Backhendl und das Wiener Schnitzel erfreuen sich, wie wir an den Nachbartischen beobachten können, größter Beliebtheit - richtig gut bekommt man sie nämlich kaum in Berlin. Ich entscheide mich stattdessen für die vegetarische Alternative (Season), die mit Rotkraut, Ingwer und einem der zartesten Saitan-Schnitzel überzeugt, die ich je gegessen habe. Die Bouillabaisse interpretiert Achilles in der mir einen Tick zu trockenen Deluxe-Variante - die großzügig bemessenen Edelfischstücke hätten von dem exzellenten Krustentierfonds durchaus mehr vertragen. 

Die Erdbeeren mit Büffelmilcheis, Zedrat-Zitronen und kleinen Keksen aus Haselnuss und Läuterzucker schmecken wie das süße Pendant zur Gurken-Vorspeise und schließen den Kreis an frischen und sauren Geschmackskomponenten. Gleichermaßen (gefühlt) leicht und subtil schließt die fluffige Praline-Creme mit Hasenusskrokant und Schokoladeneis das Menü ab. Der Kaiserschmarren geht beim besten Willen nicht mehr - aber der nächste Flaneur-Nachmittag auf Berlins Pracht-Boulevard kommt bestimmt.

Ob die Gäste den Spagat zwischen beiden Küchenlinien auf Dauer goutieren, ob es gelingt, Stammgäste zu halten und neue Fans zu gewinnen, bleibt abzuwarten. Ebenso, inwieweit sich Daniel Achilles mit den geplanten Privat-Diners in der nebenan gelegenen, exklusiven Weinhandlung Ex Château entfalten und seine persönliche Handschrift noch mehr einbringen kann - fürs Erste scheint das Experiment gelungen.

Einstein Unter den Linden, Unter den Linden 42, 10117 Berlin

Futterneid & Tafelsilber - DIE Genuss-Kolumne von Gesa Noormann

Bei Nils Henkel auf Sylt

Im Golvet

Im Lovis

Im Restaurant Dóttir - Château Royal

Im Restaurant Jord

Im Berta

Im Macionga

Im POTS

Im The Grand

In der Winebar Zerostress

Im Victor & Victoria

Im Frederick's Berlin

Im 136

Im Papillon