Frankfurt und Hessen Zwei-Klassen-Gesellschaft

Von Bernd Glebe

Hessens Tourismus boomt und verzeichnet seit sieben Jahren Rekorde bei der Zahl der Gäste und den Übernachtungen. Beim genauen Hinsehen zeigt sich aber eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Frankfurt, Hessens größte City mit Weltstadtflair und Flughafenanbindung, überstrahlt alles. Landstriche wie die Vogelsbergregion in Mittelhessen oder in Osthessen der Werra-Meißner-Kreis kämpfen dagegen damit, auf der touristischen Landkarte wahrgenommen zu werden.

14,5 Millionen Gäste kamen 2016 nach Hessen. In den Hotels, Pensionen und Campingplätzen wurden rund 32,6 Millionen Übernachtungen gezählt - beides neue Spitzenwerte. Entgegen dem Landestrend lief dagegen neben den beiden Sorgenkindern auch die Einwicklung bei den Übernachtungen an der Bergstraße oder dem Kreis Limburg-Wilburg als Schlusslicht. Die am Mittwoch veröffentlichten Daten des Statistischen Landesamtes zeigen einen weiteren Trend: Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer im Land nimmt wegen des anhaltenden Booms von eher kürzeren Städte- und Geschäftsreisen auf mittlerweile rund zwei Tage immer mehr ab.

Hessen Händler schauen bei dieser Entwicklung genau hin. Für sie sind die Gäste aus benachbarten Bundesländern und dem fernen Ausland eine wichtige Größe für ihr Geschäft. Die Kassen klingeln vor allem in den Ballungsräumen mit dem Rhein-Main-Gebiet als Leuchtturm. «Den Shopping-Tourismus gibt es in den Städten», erklärt Sven Rohde, Geschäftsführer vom hessischen Handelsverbandes. «Alles drängt in die Innenstädte. Die 1-A-Lagen werden immer stärker.» Auch für den Hauptgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga, Julius Wagner, sind die angesagten Locations in Frankfurt bundesweite Trendsetter in der Gastro- und Bettenbranche.

Asiatische Touristen und vor allem Chinesen zahlten in der rund 700 000 Einwohnern zählenden Stadt gerne und viel für Kleidung, Mitbringsel und Luxusartikel. Auch die russischen Touristen lassen nach Einschätzung des Verbands die Kassen in den Läden klingeln. Wiesbaden ist dagegen speziell bei arabischen Medizintouristen wegen der ansässigen Kliniken sehr beliebt - und diese gut betuchten Gäste wiederum sehr bei den Händlern in Hessen Landeshauptstadt.

Kassel in Nordhessen saugt Honig aus der internationalen Strahlkraft der documenta. Auch der Skisprung-Weltcup in Willingen im Kreis Waldeck-Frankenberg sorgt in Hessens Norden für nachhaltige Werbung sowohl für den Tourismus als auch den ortsansässigen Handel. Regionen wie der Rheingau oder der Odenwaldkreis punkten mit einem guten Mix aus Veranstaltungen mit regionalen Besonderheiten, überregional bekannten Sehenswürdigkeiten und hohem Erholungswert.

Dass die dünn besiedelten ländlichen Gegenden vom Shopping-Tourismus profitieren, sieht der Handelsverband dagegen nicht. «Wenn die Einwohnerzahl unter 2000 geht, dann geht es eher um die Grundversorgung mit Bäcker und Metzger», erklärt Rohde. Oft fehlten dann auch gute Verkehrsanbindungen - ein lebensnotwendiges Muss für den Handel bei der Anlieferung von Waren als auch die Gäste.

Als Beispiel für diese Entwicklung führt Carsten Heustock von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Kassel-Marburg Bad Karlshafen im Landkreises Kassel an. In der Stadt schlummere viel Potenzial, für Händler sei der Standort derzeit aber sehr schwierig. Die Menschen ziehe es zum Einkaufen eher nach Kassel, Uslar und Hofgeismar oder ins niedersächsische Göttingen.

Dass es auch in Regionen wie dem Vogelsberg- oder Werra-Meißner-Kreis noch hakt, liegt nach Meinung der Dehoga-Experten vor allem an einer schlechten Infrastruktur, einer Entvölkerung und der daraus resultierenden Reduzierung touristischer, kultureller und kulinarischer Angebote.

Der Geschäftsführer der Region Vogelsberg Touristik GmbH, Roger Merk, will genau an dem Punkt ansetzen: Die Region könne mittlerweile zwar bei den Tagestouristen punkten. Gerade bei Angeboten für Familien mit Kindern für einen längeren Zeitraum gebe es aber noch Luft nach oben. Die Region feile deshalb gerade an einem touristischen Markenkonzept, «das dafür steht, was wir sind und warum die Touristen zu uns kommen sollen». Bis Mitte des Jahres soll der Prozess abgeschlossen sein.

Noch mehr Hilfe und Unterstützung wünscht sich Merk aber auch vom Land Hessen. Es sollten neue Finanzierungsmodelle kreiert und etwa die Einführung des neuen Tourismusbeitrag stärker von Experten begleitet werden. «Wir sind ja willig, aber wir müssen auch die Möglichkeiten dazu haben.» Für Hessens Wirtschaftsminister Al-Wazir (Grüne) gibt es derweil andere Knackpunkte für einen erfolgreichen Tourismus in ländlichen Regionen: Nicht nur einzelne Orte, sondern ganze Regionen müssten um die Gäste werben. Und die Leute vor Ort müssen mehr Ideen haben, wie sie Alleinstellungsmerkmale schaffen. dpa

Hessen bleibt beliebtes Ziel für Urlaubs- und Geschäftsreisende

Hessen bleibt ein sehr beliebtes Ziel für Urlaubs- und Geschäftsreisende. Mit 14,5 Millionen Gästen (plus 1,4 Prozent) und einer Zahl von 32,6 Millionen Übernachtungen (plus 1,3 Prozent) in den Hotels, Pensionen und Campingplätzen wurden Rekordwerte erzielt, wie das Statistische Landesamt am Mittwoch in Wiesbaden mitteilte. Die Branche habe damit zum siebten Mal in Folge Zuwächse verzeichnet, sagte eine Sprecherin der Behörde. Nach dem Einbruch wegen der Finanzkrise im Jahr 2009 sei es stetig nach oben gegangen.

Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) begrüßte die Entwicklung und betonte die Bedeutung der Branche für das Land. In Hessens Tourismus gebe es rund 200 000 Vollzeitstellen. Gerade der Anstieg von chinesischen und indischen Gästen zeige, dass sich die Tourismusbetreibe gut auf die Veränderungen eingestellt hätten und die Marketinginitiativen mit einem Internetauftritt und der Reisebroschüre in chinesischer Sprache gute Investitionen seien.

Rund 10,8 Millionen Gäste kamen im Vorjahr aus Nachbarbundesländern (plus 1,3 Prozent) und 3,7 Millionen aus dem Ausland (plus 1,7) nach Hessen, erklärten die Statistiker. Die Zahl der Übernachtungen der inländischen Gäste, die knapp vier Fünftel aller Übernachtungen ausmachte, sei mit 25,3 Millionen um ein Prozent höher als im Vorjahr. Bei den ausländischen Gästen gab es einen Zuwachs um 2,3 Prozent auf rund 7,3 Millionen Übernachtungen.

Für die Entwicklung im laufenden Jahr zeigte sich der Minister optimistisch. 2017 werde es durch die documenta in Kassel und das Luther-Jahr zusätzliche Impulse geben. Rückenwind gerade für die ländlichen Regionen erhofft sich Al-Wazir vom neuen Tourismusbeitrag. Voraussetzung dafür, dass die Kommunen mehr Geld von ihren Gästen verlangen können, ist die Anerkennung als Tourismusort.

Wenn Städte und Gemeinden im Jahr mehr als doppelt so viele Übernachtungsgäste wie Einwohner beherbergen, können sie laut dem Ministers einen Antrag stellen. Außerdem müssen sich die Orte entweder durch ihre landschaftliche Lage, durch Kultureinrichtungen wie Museen und Theater oder durch Freizeitangebote wie Rad- und Wanderwege abheben. Grundsätzlich könne jede Kommune individuell die Höhe des Beitrags bestimmen. Die eingenommenen Gelder müssten aber wieder in den Tourismus fließen.