Restaurant Lovis Berlin Filigrane Gemüsefinessen

Kurz nach der Eröffnung im März 2022 war unser erster Eindruck vom Restaurant Lovis zwiespältig: Fast schien es, als ob Sophia Rudolphs bemerkenswerte Kochkunst von den allzu beeindruckenden Mauern des Wilmina Hotels und des dunklen Amtssalons in den Schatten gerückt würde - Kulinarik schien im Designkonzept des Berliner Architektenpaars Grüntuch Ernst jedenfalls eine eher untergeordnete Rolle zu spielen. Ein knappes Jahr nach der Eröffnung bietet sich nun ein komplett anderes Bild: Das neue Menü offenbart die ganze Kraft und Perfektion von Sophia Rudolph - Küche und Ort, Stararchitekten und Spitzenköchin haben offenbar zu einer friedlichen Koexistenz gefunden.

Foto: Robert Rieger

Von außen deutet die unscheinbare Fassade in der Kantstraße 79 kaum darauf hin, dass sich dahinter eine der schönsten urbanen Oasen Berlins verbirgt. Lediglich ein dezentes Messingschild weist auf die Wilmina hin: Wer Einlass wünscht, muss klingeln. Kaum haben sich die schweren Türen geöffnet, erschließt sich jenseits des Großstadtlärms ein Areal, das über Jahrzehnte verschlossen und vergessen war.  Den Komplex aus ehemaligem Frauengefängnis und Amtsgericht haben die Architekten dank behutsamer Intervention zu einem gastlichen Ort transformiert - ein Wagnis mit so gutem Ausgang, dass es schon vor der Eröffnung mit dem BDA-Preis Berlin 2021 ausgezeichnet wurde.

Fotos: Gesa Noormann

Das Restaurant befindet sich in einem neuen Erweiterungsbau, der das ehemalige Gericht und das Gefängnis - dem heutigen Hotel - verbindet. Große Panoramafenster eröffnen den Blick auf einen wildbewachsenen Garten, der gekonnt so wirkt, als wäre seit Jahrzehnten keine Hand angelegt worden. Hohe Ziegelsteinwände, Bocci-Lampen und zurückhaltend elegantes Mobiliar verleihen dem Gastraum so viel Grandezza und puristische Ehrwürdigkeit, dass wir für die lebhafte Crowd, die an diesem Abend das Restaurant bevölkert, durchaus dankbar sind. Inzwischen läuft das Lovis so gut, dass im „Aquarium“ vor dem Gastraum zusätzliche Tische aufgestellt wurden.

Neu ist auch die sympathische Restaurantleiterin Sarah Senkpiel, deren Gesicht wir noch aus dem Cinco im Hotel Das Stue kennen. Aktuell übernimmt sie den vakanten Part der Sommelière gleich mit - wie sich im Laufe des Abends erweisen wird, richtig gut - und heißt uns mit einem Glas Immich-Batterieberg Riesling Sekt willkommen. Seine Frische passt gut zu den Chili-Bällchen mit Schmelzkäse und schwarzem Reis, die herrlich umkompliziert nach Luxus-Streetfood schmecken. Der mit einem aufregenden Hauch Chili marinierte Hokkaido-Kürbis tanzt gondelgleich auf einem leichten Jus mit Liebstöckel, getoppt von Hokkaido als Chip - eine bessere Karriere kann man einem simplen Kürbis kaum wünschen. Der Chardonnay von Omina Romana ergänzt den Gang in seiner holzfreien Leichtigkeit und der vollen Frucht perfekt. Das Brotbacken hat das Lovis aus Zeitgründen aufgegeben - dass es nun vom Märkischen Landbrot kommt, tut Qualität und Geschmack keinen Abbruch.

Beim Zwischengang spielt frisch geriebener Meerrettich sowohl in der normalen als auch in der vegetarischen Variante eine tragende Rolle: Sowohl bei der ausgezeichneten konfierten Forelle von 25 Teiche als auch bei der ganzen Zwiebel mit Crème fraîche in einer herrlich würzig-süßen Consommée setzt er den perfekten Schärfe-Kontrapunkt - kein Wunder, dass beide Gerichte fast schon Signature-Status haben und so oder ähnlich immer wieder in den Lovis-Menüs auftauchen. Von dem wunderschönen 2019 Chenin blanc Clocher von der Domaine Bonnigual Bodet sind wir so begeistert, dass wir um einen Extraschluck bitten: Noten von Rauch, exotischen Früchten und ein komplexer, mineralischer Abgang ergänzt er subtil die Essensnoten.

Statt Sorbet bekommen wir im Anschluss einen „Erfrischungsgang“ in Form einer grünen Tomatenmousse, die auf einer Japapeno-Salsa liegt und von einem hausgemachten Tortilla-Chip getoppt wird. Die Salsa greift geschmacklich die Chilis des  Amuse bouche auf, und Heidenpeters Thirsty Lady aus Kreuzberg - laut Sarah Senkpiel das einzige Bier, dass Weintrinker*innen schmeckt - setzt dazu einen überraschenden Akzent. Offenbar verstehen sich die beiden Frauen in Küche und Service: jedes Pairing sitzt und fügt sich wie ein Puzzleteil ins Ganze.

Regionales und saisonales Gemüse bester Qualität spielt in Sophia Rudolphs filigraner, aromenintensiver Küche die Hauptrolle - es ist kein  Zufall, dass sich bei der vegetarischen Variante nur zwei Gänge vom regulären Menü unterscheiden. Die Gänge sind minutiös aufeinander abgestimmt, sinnlich komponiert und verraten bei aller Kreativität und Eigenständigkeit französische Finesse und Perfektion - bei ihrem Werdegang nicht überraschend: Studium am renommierten Institut Paul Bocuse in Lyon, berühmte Stationen wie das L'Oustau de Baumanière in Les-Baux de Provence, Alain Ducasse in Monaco und Alain Chapel in Mionnay. Bevor sie in Berlin Küchenchefin des Panama wird, verfeinert sie ihren Stil als Souschefin von Marco Müller im Drei-Sterne-Restaurant Rutz. So beeindruckend ihre Sterne-Erfahrung sind, blieb ihre Kochphilosophie immer bodenständig:  „Ich muss nicht die Geschichte der Kuh des Nachbarn erzählen, damit das Essen schmeckt“, sagt die zurückhaltende Köchin, für die ein Gericht auf dem Teller und am Gaumen überzeugen soll.

Das klappt fast immer, ein Höhepunkt reiht sich an den Nächsten, ohne den einzelnen Menü-Komponenten den Raum zu nehmen. Einziger Fremdkörper bleibt ein Pilz-Ravioli, der eher an ein Wantan als eine italienische Teigtasche erinnert und mit einem Tick zu viel Umami aus dem Rahmen fällt. Mit dem Dessert schließt sich der Kreis wieder, wenn Mandarine als Filet und als Gel, hausgemachtes Thai-Basilikum-Eis und Keksbrösel zu einer außergewöhnlichen Cheesecake-Variante verschmelzen.

Zum Glück geht dieser großartige Abend hier noch nicht ganz zu Ende: Es warten noch ein paar köstliche Windbeutel-Sünden mit Tonkabohnen-Aroma und last but not least die Lovis Bar. Neuer Barchef und großartiger Gastgeber ist Nils Lutterbach, der einen Begegnungsort für Hotelgäste genauso wie für Nachbarn schaffen möchte. Analog zum Restaurant setzt auch seine Barkarte weder auf große Cocktailnamen noch auf bekannte Brands, sondern vielmehr auf den Geschmack. Mit Hilfe eines Koordinatensystems können sich Gäste durch Süße und Säure, Stärke und Leichtigkeit trinken - spannend und gleichzeitig so entspannt, dass dieser Ort glatt unser neues Wohnzimmer werden könnte.

6 Gänge 99 € | 4 Gänge €79 | Hauptgerichte ab €19

Weinbegleitung €60 | Weinbegleitung €48

Lovis Restaurant, Kantstraße 79, 10627 Berlin | www.lovisrestaurant.com

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