Restaurant Victor & Victoria Berlin Lässig geht anders

Wer ein Restaurant am Berliner Gendarmenmarkt betritt, erwartet kaum einen Hipster-Laden - statt Foodies laufen hier eher Tourist:innen oder Gäste der umliegenden Luxushotels herum. Nichtdestotrotz überraschen uns die mit silbernen Platztellern und zum Fächer gefalteten Stoffservietten auf den Tischen in einem Ambiente, das mit Samt und Kronleuchtern eher ins München der 90er-Jahre als ins heutige Berlin passen würde.

Aber egal: Wir sind gespannt, denn Küchenchef Stephan Krogmann macht mit einer beeindruckenden Vita - Souschef in 2- und 3-Sterne-Restaurants und zuletzt als besternter Küchenchef im Gutshaus Stolpe - neugierig und lässt vermuten, dass er auch im Victor und Victoria einen Michelin-Stern erkochen möchte.

Wir nehmen also gespannt Platz im Fine Dining-Restaurant auf der 1. Etage - das Erdgeschoss ist dem Bistro vorbehalten. Dem Tischaufsteller entnehmen wir, das wir zwischen einem 3-, 5- oder Komplettmenü wählen können. 5 Gerichte und zwei Desserts stehen zur Auswahl,  die kleinste Variante kostet 98 Euro, die dazugehörige Weinbegleitung 55 Euro - eine selbst angesichts von allgegenwärtigen Preissteigerungen stolze Ansage.

Wir entscheiden uns für 3 Gänge mit Weinbegleitung, allerdings nicht genau in der vorgesehenen Reihenfolge und Zusammenstellung. Außerdem hätten wir gerne eine vegetarische Variante - tatsächlich steht kein einziges fleisch- oder fischloses Gericht auf der Karte. Restaurantleiter Lucas Faschina (zuletzt im Hotel Palace Berlin) ist sichtlich irritiert, aber bis auf den vegetarischen Extrawunsch - den hätten wir vorbestellen müssen - geht es dann irgendwie doch. Das wenig flexible Gebaren wirkt merkwürdig aus der Zeit gefallen: Ein - wie ungezogen! - leicht verstellter Teller wird gerade gerückt, und auf diesen möge ich doch bitte das Brot legen. Böse ist das bestimmt nicht gemeint, aber gehört es nicht gerade zu den angenehmen Seiten von Sternerestaurants, sich wie eine Königin zu fühlen statt wie eine Rotzgöre?

Kein Problem, wir entspannen uns. Der Blick auf den Deutschen Dom hat Postkartenqualität und wir starten mit dem Hauscocktail, der sich als Variante des Prince of Wales mit Rosenblättern, aber ohne Silberbecher entpuppt. Für meinen Geschmack etwas zu schwer für den Anfang, vielleicht wäre ein pures Glas vom Nicolas Feuillelatte (Frankreichs beste Champagner-Genossenschaft) die bessere Wahl gewesen.

Die Küche startet leicht und ausgesprochen delikat mit drei kleinen „Aperos“, einem "Umami Baiser“ mit Pilzcreme, Dashi-Baiser, schwarzem Knoblauch, eingelegtem Rettich, einer Gillardeau Auster mit gebeiztem Lachs, Saiblingskaviar und mariniertem Eiskraut und meinem Favoriten, einem herrlichen Brickteigröllchen mit Tatar, Don Bocarte Sardelle, Crème Fraîche und Schnittlauch. Es folgt eine eingelegte Gartengurke mit Räucheraal und Dill Vinaigrette, die elegant angerichtet und mit harmonisch austarierten nordischen Aromen überzeugt. Dazu gibt es eine selbstgebackene Brioche mit feinem Kürbisrahm und Brot von Domberger.

Der Einstieg passt, der Darscho von Velich aus Österreich als Weinbegleitung ebenfalls. Die finale Karte von Sommelier Andrea Agosta (vorher im Pauly Saal) steht noch aus, unsere Weinbegleitung lässt aber bereits ahnen, dass sie vielversprechend sein wird. Die auf Holzkohle gegrillte Jakobsmuschel vereint Raucharomen mit leichter Süße aus dem Lauchöl „Kujyo Negi“ und Frische von der Schnittlauchemulsion - eine feine und recht klassische Vorspeise. Südfranzösisch mutet der in Pastis gedämpfte Black Cod mit untadeliger Estragon-Beurre blanc an, dessen Eigengeschmack erfreulicherweise nicht vom Muschelsud überdeckt, sondern vielmehr unterstützt wird.

Bei den Desserts wird es nochmal richtig spannend, wenn sich in der weißen Schokoladenmousse „Yuna“ von Original Beans Fenchelpollen, Amaranth und Maracuja verstecken. Nicht nur optisch macht das Türmchen aus Moro-Blutorange mit karamellisiertem Rahm, Sucrine, Roggen und Süßholzsirup richtig viel her, die vielen einzelnen Komponenten fügen sich zu einem überraschenden Ganzen.

Chef de Patissier Giuliano Dellamaria  weiß, was er tut - schließlich hat er hat bereits mit Christian Lohse zusammen gearbeitet und war Pâtisserie-Leiter unter Dennis Melzer im Cumberland. Die wunderbare 2018 Riesling Spätlese Josefsberg von Markus Schneider ergänzt die Desserts aufs Schönste und könnte bereits die Kirsche auf der Torte sein, wären da nicht noch die Petit Fours zum Abschluss. Neben einem Cannelé und weißen Safran-Orangen-Trüffeln explodiert das schwarze Windbeutelchen mit gesalzener Karamellcreme und einer großzügigen Trüffel-Rose auf der Zunge - ok, I love sweets, aber das hier ist in Konsistenz und Geschmack eine wirkliche Sensation.

Mit Teamkapitän Stephan Krogmann (mit passenderweise optisch frappierender Ähnlichkeit zu Manuel Neuer) steht eine richtig gute Mannschaft in der Küche. Für einen vorderen Platz in der Bundesliga würde man ihr allerdings einen Rahmen wünschen, in dem sie sich besser freispielen und jenseits von allzu viel Konventionalität entwickeln kann. So richtig rund wirkt das Konzept des Victor & Victoria noch nicht - da braucht es noch viel Finetuning, um sich 2023 in Berlin behaupten können.

Victor & Victoria | Fine Dining | Charlottenstr. 59 | 10117 Berlin-Mitte

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