Gemüse ist Chef-Sache

Von Christian Volbracht

Heinz Reitbauer aus Wien lässt sich Zitrusfrüchte aus dem Park von Schönbrunn liefern und Kräuter aus dem Botanischen Garten in Wien. Jonnie Boer hat in Holland sein eigenes Gewächshaus und baut darin ganz andere und bessere Tomaten an, als sein Land sie für unsere Supermärkte exportiert.

Auch deutsche Küchenchefs wie Nils Henkel (Bergisch Gladbach) und Thomas Bühner (Osnabrück) zeigten sich am Wochenende auf dem Köche-Symposium Chef-Sache in Köln im neuen Trend. Alle wetteifern mit komplexen Gemüsekreationen. Beim wichtigsten Gastronomietreffen in Deutschland zeigte sich: Die Techniken der spanischen Molekularküche zur Transformation von Speisen in Gelees, Schäume oder Gefrorenes werden nur noch sparsam eingesetzt.

Der Spanier Ferran Adrià hat sein Restaurant ja gerade geschlossen. Als Vertreter der spanischen Avantgarde kamen aus San Sebastian aber Elena Arzak und Andoni Luis Aduriz, der Vanillestangen aus Farnkraut bereitet und eine Kalbszunge wie einen Heuhaufen.

Richtig Schwung bekam der regionale Gemüsetrend im Norden Europas mit dem berühmten Dänen René Redzepi. Inzwischen suchen mehr und mehr deutsche Spitzenköche nach besseren oder ganz neuen Gemüsen für die moderne Regionalküche. Michael Hoffmann aus Berlin hat seinen eigenen Garten, Nils Henkel kocht «pure Nature». Bühner verbessert seine Aussichten auf den dritten «Michelin»-Stern neuerdings mit Gemüse, Wurzeln und Kräutern aus dem Garten von Schloss Ippenburg.

Es entstehen eigene, interessante Stilrichtungen, kunstvoll auf den Tellern drapiert, ohne Vorbilder in Frankreich oder anderswo. Oft wird eine einzige Zutat in unterschiedlicher Form und Aromatik präsentiert: gegart, als Gelee, angeröstet, getrocknet oder pulverisiert. Gemüse ist nicht mehr Beilage, sondern scheint oft wichtiger als das Fleisch oder der Fisch auf dem Teller.

Die Rezepte und Konzepte der Starköche werden von Theoretikern wie dem Kochkunstanalytiker Jürgen Dollase überhöht ausformuliert, ihm geht es um Kunstwerke. Chef-Sache-Initiator Thomas Ruhl: «Die durchkonzeptionierten Gerichte unserer Kochkünstler auf der Bühne leben größtenteils von komplexen Gedanken. Gekocht wird mit dem Kopf, nicht allein mit dem Bauch.»

Spitzenköche wie Heinz Reitbauer, der vor mehreren Hundert Fachleuten in Köln zeigte, wie er Fisch in heißem Bienenwachs gart, sehen sich auch in kultureller Mission. Reitbauer will alte Gemüsesorten retten, die von der EU nicht mehr zugelassen sind. Er lässt sein Küchenpersonal sogar bei den Bauern arbeiten, um die Bindungen zu stärken.

Auch Boer baut ein Netzwerk zu seinen Lieferanten auf. Der Holländer würzt seine Speisen mit Saft aus selbst fermentierten Tomaten, Sellerie oder Rotkohl. «Entscheidend ist, mach dein eigenes Ding», sagt Boer. Auch seine Küche ist regional, dazu gewitzt und ziemlich provokativ, wenn er etwa ein Dessert drastisch wie einen Frauenmund aus einem Pornofilm drapiert.

In Köln demonstrierte er den Gästen seine Gänsestopfleber mit Taschenkrebs und Saft von fermentiertem Rotkohl. Und er brachte 200 gedrehte «Joints» mit. Die werden auch in seinem Restaurant in Zwolle serviert - aber gegessen und nicht geraucht: Ins Esspapier ist Hanfsaat gerollt, mit wilder Minze, Zimt und Zucker gewürzt. dpa