Heckenwirtschaften in Franken

Von Christiane Gläser

Einmal im Jahr räumt Werner Helmstetter das Wohnzimmer seiner 90 Jahre alten Mutter leer und wuchtet stattdessen Gasthausmöbel in die gute Stube. Denn dann ist Heckenwirtschafts-Zeit, und er und seine Familie verköstigen für einige Wochen Gäste mit süffigem Winzerwein und kleinen Leckereien. Helmstetter ist einer der letzten Winzer in Bayern, die dafür sogar ihre Privatzimmer leer räumen. «Das war bei uns schon immer so. Ich kenne das gar nicht anders», erinnert sich der 61-Jährige aus dem unterfränkischen Bürgstadt (Landkreis Miltenberg). Mindestens seit dem 17. Jahrhundert baut seine Familie schon Wein an.

Heckenwirtschaften haben in Weinregionen eine jahrhundertelange Tradition. Dem Fränkischen Weinbauverband zufolge gibt es in Nordbayern etwa 180 Weinbaubetriebe, die diese kleinen gemütlichen Gaststuben auf Zeit in Hinterhöfen, Garagen, Zimmern oder auf Dachböden betreiben. Doch nicht alle sind klassische Heckenwirtschaften, die ihre Öffnungszeiten tatsächlich auf nur vier Monate im Jahr beschränken.

Die Hälfte hat nach Angaben des Verbandes längst eine gastronomische Konzession. Das heißt, sie können das gesamte Jahr über öffnen und ausschenken. Den gemütlichen Charakter der Familien-Heckenwirtschaft erhalten sich dennoch viele. Denn vor allem bei Weinwanderern ist dieser Stil beliebt.

Und doch ist auch eine Veränderung zu beobachten: Die einst im Hinterhof versteckten Weinwirtschaften präsentieren sich moderner, sie werden größer, ihre Architektur offener und heller. Die Weinbaubetriebe professionalisieren sich zunehmend. «Das ist eine Entwicklung, die immer parallel mit der Entwicklung der Direktvermarktung der Weine einher geht», sagt Hermann Kolesch von der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau. Viele heutige Spitzenbetriebe im Frankenland hätten früher ganz klein mit einer Heckenwirtschaft begonnen, so der Leiter der LWG-Abteilung Weinbau.

Heute wie einst geht es den Winzern mit den Heckenwirtschaften darum, ihren Weinabsatz sicherzustellen. «Das ist unsere beste Werbeveranstaltung», sagt auch Winzer Helmstetter. Weine aus neun Rebsorten bietet er feil. Dazu gibt es Bratwürste, angemachten Käse, Rühreier, Rippchen, Vesperplatten, Schmalzbrote und Ähnliches. «Wer preiswert und gutbürgerlich essen will, geht in die Heckenwirtschaft», sagt der unterfränkische Winzer. Wenn Saison ist, ist seine ganze Familie eingespannt - kochen, ausschenken, Schwätzchen halten, Wein verkaufen.

Die Bedeutung der Heckenwirtschaften ist vor allem für kleinere Orte sehr wichtig geworden. «Es ist oftmals der Winzer, der dort noch die Gastwirtschaft aufrecht erhält», sagt der Vorstandsvorsitzende der Winzergemeinschaft Franken, Andreas Oehm. In Weinorten sind die Öffnungszeiten für die verschiedenen Heckenwirtschaften unter den Winzern oft so verteilt, dass stets eine geöffnet ist. «Die Winzer haben den Vorteil, dass sie nicht davon leben müssen. Sie machen das, weil es ihnen Spaß macht, und stecken viel Herzblut rein.»

Die klassische «Hecken»-Zeit gibt es schon lange nicht mehr - aber als Saison-Schwerpunkte gelten Frühling und Herbst. Zu Beginn des Jahres liegen die Weißweine der letzten Ernte bereits lang genug auf der Flasche und sind trinkreif. Und im Herbst lockt der frisch gegorene Traubensaft, der Federweiße, die Weinliebhaber an.

Dass Werner Helmstetter die wahrscheinlich letzte originale Heckenwirtschaft in Bayern betreibt, darauf ist er nur bedingt stolz. «Im Grunde heißt das ja auch, dass wir als einzige nicht investiert und angebaut haben», sagt der 61-Jährige. Er geht davon aus, dass er und seine Familie die «Wohnzimmer-Hecke» noch etwa acht bis zehn Jahre aufrecht erhalten werden. «Dann wird Schluss sein. Ich will nicht zittrig den Schoppen servieren. Dann hören wir lieber auf und genießen noch ein bisschen das Leben.» dpa

Woran erkenne ich eine echte Heckenwirtschaft?

Die Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) aus Veitshöchheim zertifiziert seit 2008 Heckenwirtschaften. So kann sich der Gast sicher sein, dass er in einer ursprünglichen Heckenwirtschaft sitzt - so, wie es bereits im Mittelalter war. Auf der LWG-Checkliste stehen unter anderem Kriterien wie:

- Kein Angebot internationaler Kaffeespezialitäten und Torten

- Abhofverkauf der Weine möglich

- Im Ausschank befinden sich eigene Weine des aktuellen Jahrgangs (Müller-Thurgau, Silvaner, Bacchus, Rotwein)

- Es sollen vorzugsweise regionale alkoholfreie Getränke (Traubensaft, Obstsaft) angeboten werden

- Es gibt kein Knabber-Angebot, Ausnahme Laugengebäck

- Typische Brotzeit- bzw. Vesperkarte mit mindestens zehn Gerichten wie Käsebrot, geräucherte Bratwürste mit Meerrettich, eingelegter Käse, Blaue Zipfel oder Sülze mit Bratkartoffeln

- Die Zutaten werden überwiegend von örtlichen Bäckereien, Metzgereien und bäuerlichen Direktvermarktern bezogen

- Die Winzerfamilie ist persönlich in der Gästebetreuung anwesend

Die Heckenwirtschaft

Als Heckenwirtschaft wird in Bayern eine zeitlich begrenzte Gastwirtschaft eines Winzers beschrieben. Der Begriff entwickelte sich, weil die eigenen Weine einst «hinter der Hecke» ausgeschenkt wurden. In anderen Bundesländern heißen sie Strauß- oder Straußenwirtschaft (Pfalz und Rheingau), Besenwirtschaft und Besenschänke (Baden-Württemberg), weil die Öffnungszeit mit einem geschmückten Besen oder Strauß vor der Tür angezeigt wird.

Laut Weingesetz dürfen die Winzer in Heckenwirtschaften in Bayern insgesamt vier Monate verteilt auf zwei Perioden im Jahr ihre Gäste mit eigenem Wein und einfachem warmen und kalten Essen bewirten. Dafür brauchen sie keine Gaststättenlizenz. Zudem darf kein Bier ausgeschenkt werden. Sie müssen die Zeiten lediglich bei der Gemeinde anmelden. Weitere Bedingung: Es darf nicht mehr als 40 Sitzplätze geben.

In Franken gibt es außerdem Weinstuben und Häckerwirtschaften - abgeleitet vom Wort Häcker, einem älteren Synonym für die Weinbauern. Im Gegensatz zur Heckenwirtschaft haben die Häckerwirtschaften oft eine Ausschankerlaubnis für das ganze Jahr. dpa