Interview mit der Teekampagne zum Darjeeling-Streik Engpass beim Darjeeling-Tee?

Die Plantagen in der nordostindischen Region Darjeeling im Bundesstaat Westbengalen überwuchern, weil die Pflücker seit Mitte Juni streiken. Es geht nicht etwa um ihre Arbeitsbedingungen, sondern um Autonomie für ihr Volk. Angehörige der nepalesischstämmigen Minderheit der Gorkha wollen damit ihrer Jahrzehnte alten Forderung nach einem eigenen Bundesstaat namens Gorkhaland Nachdruck verleihen.

Die Pflücker aller 87 Teegärten, aus deren Pflanzen der "Champagner unter den Tees" gewonnen wird, beteiligen sich an dem Generalstreik. "Darjeeling" ist eine geschützte geografische Angabe - nur Tee aus der Region darf den Namen tragen.

Von den rund 8500 Tonnen Darjeeling, die normalerweise pro Jahr geerntet werden, importierte Deutschland nach Angaben des Deutschen Teeverbands in Hamburg im vergangenen Jahr knapp 700 Tonnen. Davon sei rund die Hälfte weiter exportiert worden. Eine Aussage zur Preisentwicklung durch den derzeitigen Ausfall sei nicht möglich, hieß es, da es schlichtweg keine neue Ware gebe.

Nur etwa 30 Prozent der üblichen Jahresmenge wurden bislang geerntet, wie der Generalsekretär des Teeproduzenten-Verbands "Darjeeling Tea Association", Kaushik Basu, der Deutschen Presse-Agentur erzählte. In diesem Jahr werde wohl keine weitere Ernte möglich sein, zumal es bald kälter werde. Noch gebe es Vorräte. "Aber in den ersten paar Monaten 2018 könnte uns ein Engpass treffen."

Auslöser der jüngsten Proteste der Gorkha waren Pläne der Regierung des Bundesstaates, Bengalisch-Unterricht in allen Schulen zum Pflichtfach zu machen. Im Juni kam es zu Todesfällen bei Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften. Seitdem blieben die Geschäfte geschlossen, und der sonst rege Tourismus bleibt in der pittoresken Himalaya-Region aus.
Der Umsatz der Teeindustrie in Darjeeling, der normalerweise fünf Milliarden Rupien (etwa 65 Millionen Euro) pro Jahr betrage, werde um 70 Prozent einbrechen, sagte Basu.

Die drei Haupt-Ernteperioden des Jahres zwischen März und Oktober bringen jeweils unterschiedlich schmeckende "Flush"-Varianten hervor. Die Vorräte an "Second-Flush"-Darjeeling gingen den deutschen Teehändlern je nach Kaufverhalten der Konsumenten voraussichtlich zwischen Dezember und April kommenden Jahres aus, teilte der Teeverband auf Nachfrage mit. Danach werde die Sorte erst wieder im Herbst 2018 in Geschäften verfügbar sein.
Das setzt voraus, dass bald alles wieder beim Alten ist. Allerdings kamen laut Basru durch den Streik auch die Pflege der Pflanzen in den Teegärten sowie Neupflanzungen zu kurz. dpa

Thomas RauchleInterview mit Thomas Räuchle,
dem Geschäftsführer der Teekampagne

Vorab die Frage, die wohl alle Darjeeling-Freunde am meisten beschäftigt: Müssen wir demnächst auf unseren Darjeeling-Tee verzichten, oder reichen die Vorräte - Tee ist ja bekanntlich 3 Jahre haltbar -, um den voraussichtlichen Engpass zu überbrücken?

Die Sorge ist nicht unberechtigt: Aufgrund des politisch motivierten Streiks im gesamten Distrikt Darjeeling, das zum indischen Bundesstaat West-Bengalen gehört, ist die Sommerernte Second Flush praktisch komplett ausgefallen und auch Autumnal Tees wird 2017 nicht geben, ebenso wird es keinen Grüntee aus Darjeeling geben, der in den Spätsommermonaten und im Herbst produziert wird. Die Teekampagne konnte ausreichend First Flush aus dem Frühjahr einkaufen und aus den ersten Junitagen haben wir einige Tonnen schwarzen Tee kaufen können, den wir als Selected Tea mit einem Second Flush-Charakter anbieten. Grüntee haben wir aus dem Erntejahrgang 2016 noch in ausreichender Menge.

Sie reisen mehrmals im Jahr nach Darjeeling zu den Teeplantagen, und wohl kaum jemand hier kennt die Begebenheiten vor Ort und Arbeitsbedingungen in den Teegärten besser als Sie. Können Sie das Bestreben der Gorkha nach Autonomie und einem eigenen Bundesstaat nachvollziehen?

Die Bevölkerung aus den Bergen Darjeelings, also von den Südhängen des Himalayas, ist nepalisch geprägt. Ursprünglich gehörten die Bewohner dieser Region zu den Gorkhas. Erst die Gründung der Staaten Nepal und Indien hat die quasi Trennung des Volkes der Gorkhas herbeigeführt. Die lokale Sprache der Menschen in Darjeeling ist traditionell Nepali. Die Separatisten in Darjeeling streben einen eigenen indischen Bundesstaat an: Gorkhaland. Sie wollen nicht mehr ein kleiner Teil West-Bengalens sein.

Sind die Gorkha denn ein unterdrücktes Volk, trotz eigener Stadt in einem eigenem Distrikt?

Zunächst: die Region Gorkha liegt im heutigen Staatsgebiet von Nepal. Das benachbarte Darjeeling gehört zum indischen Bundesstaat West-Bengalen und grenzt im Westen an Nepal, im Norden an Sikkim und im Westen an Bhutan. Dieser politische Konflikt ist nicht neu, schwelt seit vielen Jahren. Die Bewohner Darjeelings fühlen sich in West-Bangalen nicht gut vertreten, empfinden sich - nicht ganz zu Unrecht - abgehangen von dem großen technischen Fortschritt der letzten Jahre und fürchten um ihre kulturelle Identität und ihre Traditionen. Zur Verdeutlichtung: in West-Bengalen leben knapp 92 Millionen Menschen, allein im Großraum Kolkata leben mehr als 15 Millionen Menschen, im gesamten Distrikt Darjeeling hingegen leben ca 1,9 Millionen Menschen. Benötigt ein Bewohner Gorkhas beispielsweise einen Reisepass, muss er eigens nach Kolkata reisen, nicht selten ein mehrtägiges Unterfangen. Ähnlich verhält es sich bei anderen Amtvorgängen, allein diese Zustände belasten die Menschen sehr, sind nicht zeitgemäß und tragen erheblich dazu bei, dass das Bestreben nach Autonomie so stark ist.

Auslöser war angeblich ein Plan der Regierung, Bengalisch-Unterricht zum Pflichtfach zu machen. Kann alleine ein solcher Plan so viel Wut erzeugen, dass es sogar Tote bei Auseinandersetzungen gibt, oder ist es nicht doch nur der Tropfen zuviel, der das Fass zum Überlaufen bringt?

Ja, in der Tat, es ist der berühmte Tropfen ... und dieser Plan, Bengali als Unterrichtssprache einzuführen, ist auch nicht eine zwingende Forderung gewesen, sondern war seitens der Premierministerin West-Bengalens geäußert worden, um die Chancen der jungen Menschen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und um immer noch bestehende Sprachbarrieren auszuräumen. Sicherlich etwas unglücklich formuliert und auch sofort korrigiert, nur das wollte "niemand" mehr hören. Wie gesagt, es war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte und von da an eskalierte die Situation. Ein unbefristeter Generalstreik wurde ausgerufen und seitdem, also seit Mitte Juni wird in den Teegärten nicht mehr gearbeitet, auch die Einreise nach Darjeeling ist derzeit nicht möglich. Immer wieder kommt es bei Demonstrationen zu heftigen Zusammenstößen zwischen Polizei, Militär und der Bevölkerung, die mehrheitlich mit den Separatisten der 'Partei' GJM (Gorkha Janmukti Morcha) sympathisiert.

Es heißt: Die Pflücker aller 87 Teegärten beteiligen sich an dem Streik. Sind denn alle Pflücker - oder gendergerecht korrekter "Pflückenden"? - Gorkha, und pflücken sie ausschließlich oder gibt es unter ihnen auch Plantagenbesitzer?

Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung gehört den Gorkhas an oder unterstützt deren Forderungen, das trifft auch auf einen großen Teil der Manager der Teeplantagen zu. Dieser Generalstreik und die Eskalationen sind ausschließlich politisch motiviert. Es geht überhaupt nicht um wirtschaftliche Gründe oder um das Verhältnis der Teepflücker zu den Besitzern der Teegärten. Die starken Gewerkschaften in Darjeeling haben in den letzten Jahren erhebliche Einkommenssteigerungen für die Teepflückerinnen und Arbeiter in den Teegärten erreichen können, was wir seitens der Teekampagne sehr begrüßen.

Warum suchen sich die Plantagenbesitzer nicht andere Erntehelfer? Ist die Arbeit zu kompliziert oder zu anstrengend? Und was aus dem Bericht leider nicht hervorgeht: Von wie vielen "Nicht-Pflückenden" oder Streikenden sprechen wir eigentlich?

Das will niemand und das geht auch gar nicht. Der kleinste Teegarten, den ich in Darjeeling kenne, hat mehr als 400 Einwohner, in großen Teegärten leben bis zu 10.000 Menschen. Insgesamt dürften mehr als 500.000 Menschen in den Dörfern aller Teegärten Darjeelings leben. Dieser Generalstreik ist auch keinesfalls eine Situation, die ausschließlich die Teegärten betrifft. Er betrifft den gesamten Distrikt Darjeeling: Alle Geschäfte sind geschlossen, alle Hotels, Schulen usw ... es gibt kein öffentliches Leben mehr, kein Betrieb arbeitet mehr, kein Jeep (Taxi) fährt. Es ist kein Arbeitskampf in den Teegärten, sondern ein politisch motivierter Aufstand, der das Ziel hat, dass Darjeeling und einige benachbarte Landstriche zu einem eigenen Bundesstaat "Gorghaland" werden, und nicht länger nur ein kleiner Teil West-Bengalens sind.

Angeblich geht es den Gorkha nicht um bessere Arbeitsbedingungen, was aber schwer zu glauben ist, denn der Streik trifft doch am Härtesten und in erster Linie ihre Arbeitgeber. Wie reagieren denn die Plantagenbesitzer darauf und wie sehr sehen Sie deren Existenz bedroht?

In der Tat ist die Teeproduktion gemeinsam mit dem Tourismus der wirtschaftliche Lebensnerv dieser Region. Wie auch immer die Zukunft Darjeelings politisch aussehen mag, ohne den Tee Darjeelings und ohne den Tourismus ist Darjeeling wirtschaftlich kaum überlebensfähig. Alle Beteiligten wollen alsbald eine Lösung des Konflikts, denn ein Fortdauern schadet Darjeeling erheblich - die Touristen bleiben aus und die Teetrinker weltweit werden früher oder später auf andere Tees ausweichen, sollte es in naher Zukunft keinen Darjeeling geben. Die Besitzer der Teeplantagen leben meist in Kolkata und versuchen ihrerseits alles Mögliche, einen konstruktiven Beitrag zu leisten, einen für alle Seiten lebbaren Kompromiss zu finden, allerdings sind die Möglichkeiten ihrer Einflussnahme begrenzt. Der Kompromiss, denn es zu finden gilt, muss zwischen der GJM (Partei der Separatisten), der Regierungspartei West-Bengalens und schlussendlich auch der indischen Staatsregierung in Delhi ausgehandelt werden.

Die Teekampagne verkauft fast ausschließlich Darjeeling-Tee: Wie sehr sind Sie wirtschaftlich von dem zu erwartenden Ernteausfall betroffen - oder was macht die Teekampagne, wenn es längere Zeit keinen Darjeeling mehr gibt?

Für uns und unsere Partner in Darjeeling und Kolkata ist das eine schwierige Zeit. Die Sommerernte 2017 ist ausgefallen, Darjeeling Grüntee aus dem Erntejahrgang 2017 wird es nicht geben. Für die Teekampagne 2017 sind wir mit First Flush, Selected Tea und Grüntee des Jahrgangs 2016 ganz gut bevorratet. Lange geplant und in diesem Jahr begonnen haben wir mit der Einführung eines Assam-Tees. Wir sind zuversichtlich und gehen davon aus, dass es alsbald eine Lösung des Konflikts geben wird, mit dem beide Seiten gut leben können.

Was empfehlen Sie einem Teetrinker, der auf keinen Fall auf seinen Darjeeling verzichten möchte?

Kaufen Sie sich schnell Ihren Jahresvorrat, am besten bei der Teekampagne, denn bei uns können Sie jede Teepackung bis zu ihrem Ursprung zurückverfolgen. Schon jetzt gibt es Geschäftemacher, die gestreckte oder gefälschte Tees als "Darjeeling" am Markt anbieten und damit das Image Darjeelings, und somit langfristig auch das Einkommen der Teepflückerinnen und deren Familien nachhaltig schädigen. Auch in normalen Zeiten wurde immer ungefähr drei- bis viermal so viel Tee weltweit als Darjeeling-Tee verkauft als überhaupt geerntet wird.

Das Interview führte Hubertus Neidhoefer.