Interview mit Michelin-Chefin Caspar über Sternerestaurants

Von Ulrike Koltermann

Juliane Caspar geht bis zu neun Mal pro Woche ins Restaurant. Die Deutsche ist seit 2009 Chefredakteurin des berühmten Gourmetführers Guide Michelin, dessen Frankreich-Ausgabe am kommenden Montag (28. Februar) erscheint. Sie sieht in beiden Ländern einen Trend zu bodenständiger Küche.

Zum Michelin Frankreich 2011

Wie schaffen Sie es, so schlank zu bleiben?

Caspar: «Als ich vor neun Jahren bei Michelin anfing, habe ich tatsächlich erstmal fünf Kilo zugenommen. Seitdem habe ich es ganz gut gemeistert. Ich achte auf mein Gewicht und treibe Sport.»

Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?

Caspar: «Ich komme aus der Hotellerie. Meine Ausbildung habe ich im Freiburger Colombi Hotel gemacht, danach habe ich zehn Jahre im Ausland gearbeitet, in England und Italien. Ich habe auch in Südafrika gearbeitet, in einem Hotel in der Nähe von Kapstadt.»

Später haben sie dann als Testesserin für Michelin gearbeitet. Wie sieht der Arbeitsalltag aus?

Caspar: «Eigentlich heißt es Inspektorin, denn wir testen ja nicht nur das Essen, sondern auch die Hotels. Wir bekommen ein bestimmtes Gebiet jeweils für ein Jahr zugeteilt. Innerhalb einer Woche gibt es dann neun Restaurantbesuche, die wir uns selbstständig organisieren. Meistens sind wir drei Wochen unterwegs und eine Woche im Büro.»

Warum gibt es keine offiziellen Fotos von Ihnen?

Caspar: «Es ist wichtig, dass die Anonymität während des Testessens gewahrt bleibt. Und natürlich zahlen wir auch immer unsere Rechnung. Erst nach dem Essen stelle ich mich offiziell vor und sehe mir dann auch die Küche an. Das ist auch wichtig, um den Eindruck abzurunden. Ich mache mir nie Notizen am Tisch, sondern erst hinterher im Auto.»

Was bestellen Sie?

Caspar: «Ich achte darauf, die Produkte zu mischen, also etwa Fisch als Vorspeise und Fleisch als Hauptgericht oder umgekehrt. Mich fasziniert die Vielfalt in der Küche. Es gibt nichts, was ich nicht mag. Als Kind mochte ich keine Rote Beete, aber das hat sich geändert. Es gibt keine Inspektoren, die Vegetarier sind - was aber nicht heißt, dass ich nicht auch mal ein vegetarisches Gericht bestelle.»

Worauf kommt es Ihnen beim Essen an?

Caspar: «Natürlich müssen die Produkte frisch sein. Bei Fisch lässt sich leicht erkennen, ob er frisch sind. Wenn etwa ein Seeteufel tiefgefroren war, ist er nachher strohig. Dann kommt es auf Qualität an, ob das Fleisch beispielsweise aus einer Massentierhaltung stammt. Wichtig ist auch, wie lange etwas gegart wurde und ob der Eigengeschmack erhalten ist - also eine Karotte noch nach Karotte schmeckt. Und natürlich muss der Koch bei der Zubereitung eine gewisse Raffinesse zeigen.»

Spitzenköche setzen manchmal auf ungewohnte Kombinationen. Erinnern Sie sich an Gerichte, die sie erst überrascht und dann überzeugt haben?

Caspar: «Die Kombination aus Meeresfrüchten und Fleisch ist eher ungewöhnlich. Darin besteht eben das Können der großen Köche, so etwas miteinander zu vermählen. Ich habe mal ein Tartar aus Jakobsmuscheln mit gebratener Gänseleber gegessen, das war gut geglückt. Oder auch ein süßes Dessert mit Kümmel.»

Wie wichtig ist die Dekoration?

Caspar: «Der Geschmack zählt immer mehr als die Präsentation. Ein gut zubereiteter Teller erfreut mich natürlich. Aber wenn es eine Viertelstunde gedauert hat, damit das Gericht aussieht wie ein Kunststück, dann ist vermutlich das Essen schon kalt. Etwa ein Soßengitter, in dem winzige Stückchen Gänseleber verteilt sind, das ist für mich "chichi" (Schnickschnack), dem Produkt nicht angemessen.»

Was sind denn heute die Trends in der Küche?

Caspar: «Es gibt sicher einen Trend zu einer eher bodenständigen Küche mit einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis. Das hat wohl auch mit der Krise zu tun, die Gastronomen haben sich angepasst. Manche Restaurants versuchen heute auch, ihre Gäste mit Aktionen an sich zu binden, etwa Kochkurse, Weinverkostungen oder gemeinsame Marktbesuche mit dem Koch.»

2009 sind Sie - als erste Deutsche - zur Chefredakteurin des französischen Guide Michelin ernannt worden. Dabei halten Franzosen Deutsche nicht unbedingt für die größten Feinschmecker, oder?

Caspar: «Ich bin sehr herzlich empfangen worden und hatte nicht den Eindruck, dass es nationale Vorbehalte gegeben hätte. Aber es stimmt schon, dass die deutsche Küche in Frankreich keinen besonders guten Ruf hat. Das liegt vor allem daran, dass viele Franzosen die deutsche Küche kaum kennen. Es besteht das Vorurteil, die deutsche Küche sei nicht fein und nichtssagend.»

Wie sehen Sie denn die deutsche Küche?

Caspar: «Ich war vorher für die deutsche Ausgabe des Guide Michelin zuständig und kenne die deutsche Küche deswegen sehr gut. Es herrscht in der Tat weniger Nationalstolz als in Frankreich, am ehesten noch in Süddeutschland. In Deutschland hat sich der Trend zu regionalen Produkten erst später als in Frankreich durchgesetzt. Das ist aber auch keine Modeerscheinung, die nach ein paar Jahren wieder verschwindet, sondern eher ein echter Wandel. In Deutschland gibt es heute viele junge, gut ausgebildete Chefs. Das Essen wird dort immer besser.»

Trauen sich Ihre Freunde noch, Sie zu bekochen?

Caspar: «Ich bin privat ein unkomplizierter Gast. Meine Freunde wissen, dass ich keine Sterneküche erwarte, wenn ich abends eingeladen werde. Mir ist dann auch die Gesellschaft wichtiger als das Essen.» dpa