Kaviar aus Zuchtfarmen zu Silvester

Von Petra Klingbeil

Störe haben keine Schuppen, keine Gräten, keine Zähne und seit 250 Millionen Jahren ein unverändertes stromlinienförmiges Aussehen. «Sie haben ein phlegmatisches Naturell, fressen Algen und schmecken als Süßwasserfische ziemlich fade», sagt Heather Ducretot, Mitarbeiterin in der Störzuchtfarm «Le Moulin de la Cassadotte», nicht weit von Arcachon an der französischen Atlantikküste.

Ein langweiliger Fisch also? Ja, wenn da nicht der Kaviar wäre, das «schwarze Gold der Zaren», das einst die wilden Störe aus dem Kaspischen Meer oder den sibirischen Flüssen lieferten.

Heute ist Wild-Kaviar eine Rarität, Zuchtkaviar die Regel. Welcher schmeckt nun besser? «Die Herkunft ist eigentlich sekundär. Viel wichtiger ist die Auswahl, die Art der Zucht und die Reifung der Stör-Eier», sagt Armen Petrossian, Chef des gleichnamigen internationalen Kaviar-Handelshauses in Paris. «Bei richtig gutem Kaviar aus der Zucht sind die Unterschiede zu Wild-Kaviar so gering, dass sie nur Kenner entdecken.» Petrossian muss es wissen. Der Kaviarhandel wird in seiner Familie seit Generationen betrieben.

«Le Moulin de la Cassadotte» liegt in einem Waldgebiet nicht weit vom Meer. In der zwölf Hektar großen Anlage tummeln sich 70 000 Störe der Art Ascipenser Baeri, die in der 70er Jahren aus Sibirien importiert wurde. 1985 begann man mit der Zucht der Störe und 1993 mit der Kaviarproduktion.

Die Betreiber achten auf eine möglichst naturbelassene und schonende Produktion - das heißt, die Fische haben in den Becken genug Platz, das Wasser stammt aus reinen Quellen und die Kaviarproduktion wird nicht maximiert. Gespeist werden die Becken durch einen Fluss aus dem «Naturpark der Gascogne», dessen Sandboden der beste Wasserfilter ist. Diese Störe bekommen keine Antibiotika. Wenn sie sterben, dann kaum an Bakterieninfektionen. «Sie werden manchmal von Kormoranen gefangen oder auch Opfer von Wasserratten», sagt Ducretot.

Im kommenden Jahr sollen in der «Mühle» zwei Tonnen Kaviar produziert werden, etwa doppelt so viel wie in diesem Jahr. «Man könnte sehr viel mehr produzieren, aber das ginge auf Kosten der Qualität.» Bei einem Preis von 2000 bis 2500 Euro pro Kilogramm Kaviar lohnt sich die Mäßigung. Kurz vor der Schlachtung kommen die Störweibchen in ein Sonderbecken mit glasklarem, 17 Grad kaltem Brunnenwasser aus 200 Metern Tiefe, um jede Infektion oder Unreinheit zu verhindern. Diese Art der schonenden Störzucht weiß auch Petrossian zu schätzen. Von «Moulin de la Cassadotte» lässt er sich auch Spitzenprodukte nach Paris liefern.

Es ist kein Zufall, dass die Störzucht ausgerechnet in Südwestfrankreich betrieben wird. Im 19. Jahrhundert schwammen wilde Störe in den französischen Flüssen, so wie übrigens auch in der Elbe in Deutschland. Auch damals wurden die Eier der Störweibchen verwendet: allerdings ganz profan als Köder für Aale, Futter für Enten, Tauben oder Schweine.

Es mussten erst die Russen kommen, um in Westeuropa aus dem Viehfutter eine Delikatesse für Gutbetuchte zu machen. Im Russland der Zaren war Kaviar schon lange als kulinarische Köstlichkeit beliebt. Im Zuge der Oktoberrevolution Anfang des 20. Jahrhunderts flohen viele Russen nach Frankreich.

Als sie die Störe in den französischen Flüssen entdeckten, brauchten sie nicht lange, um ein Geschäft daraus zu machen. Zu den prominenten Exilanten gehörten die Brüder Melkoum und Mouchegh Petrossian, die in den 20er Jahren in Paris den Kaviarhandel Petrossian gründeten. Heute ist ihr Haus im vornehmen 7. Stadtbezirk einer der besten Kaviar-Händler der Welt, wie die Besitzer behaupten.

Wer weiß, vielleicht befördern sie bald auch die immer seltener werdenden Heringe zur Delikatesse, die noch vor wenigen Jahrzehnten Proteinlieferant fürs einfache Volk waren.

Die schwarzen kleinen Eier, eisgekühlt, werden teelöffelweise goutiert. Ihren Geschmack zu beschreiben, fällt schwer, denn «Man kann den Geschmack von Kaviar mit nichts vergleichen, es ist ein einzigartiges Produkt», sagt Ducretot. Leicht salzig, aber nicht wie Austern, und schon gar nicht wie ordinäre Fischeier, die in kleinen Glastöpfchen in Supermarktregalen angeboten werden.

«Wer echten Kaviar gekostet hat wird nie wieder Fischeier essen», sagt Hélène, eine Besucherin der Zuchtanstalt. Sie stammt aus dem Iran und hat bei ihren Eltern echten Kaviar kennengelernt. Ein Qualitätskriterium, so sagt sie, ist die Konsistenz des «Rogens», wie die Störeier in der Fachsprache heißen.

Bildlich gesprochen: Kaviar drückt man mit der Zunge gegen den Gaumen und richtig gut sind die Kügelchen nur, wenn sie ziemlich fest sind, also «al dente», und im Mund förmlich «explodieren». Als Getränk dazu passt eiskalter Wodka, Champagner oder ein leichter Weißwein. Ein Tabu: Wer Kaviar mit Zitrone oder Zwiebeln versetzt, weiß nicht, was gut ist. Beluga Kaviar ist der feinste und teuerste. Die Ossietra Fischeier schmecken etwas nussartig und Sevruga Kaviar hat ein kräftiges und würziges Aroma.

Dass die wildlebenden Arten dieser dunkelgrauen Knochenfische fast ausgestorben sind, liegt hauptsächlich an der Überfischung. Im Kaspischen Meer und in Russland entwickelte sich nach dem Zusammenbruch der UdSSR ein hemmungsloser Schwarzhandel - ganz abgesehen von Umweltverschmutzung, Dammbau und Trockenlegung von Flüssen, die die Lebensräume der Störe zerstörten.

Seit 1998 wird der Export von wildem Kaviar durch das Washingtoner Artenschutzübereinkommen CITES streng reglementiert. Seit 1999 muss jede Dose Kaviar über 250 Gramm aus Russland und dem Iran mit entsprechenden Papieren versehen werden, um den illegalen Handel zu erschweren.

Die Zucht von Stören ist nichts für eilige Geldverdiener. «Man braucht viel Geduld», sagt Ducretot. Bis ein Stör geschlechtsreif ist, können gut acht bis zehn Jahre vergehen. Und Eier entwickeln die Weibchen auch nicht jedes Jahr, vielleicht alle zwei und oft nur alle drei Jahre. Äußerlich sind die Männchen nicht von den Weibchen zu unterscheiden. Das Geschlecht muss man mit Ultraschall feststellen.

Wenn die Eier im Bauchsack eines Störweibchens reif sind, machen sie etwa zehn Prozent des Körpergewichts aus. Ein zehn Kilogramm schwerer Fisch liefert also gut ein Kilogramm Kaviar. Ist die Qualität des Kaviars abhängig vom Alter eines Störs? «Nein», sagt Petrossian. «Auch heute gibt es noch Kaviar von 80 bis 100 Jahre alten Stören. Doch es ist nur ein Werbespruch zu behaupten, dieser sei besser als der eines zehn bis zwölf Jahre alten Störs.»

Stör-Eier werden nur mit Salz versetzt, wobei dieser «frische Kaviar» innerhalb von drei Monaten verspeist werden muss. Lagert er mehrere Monate bei null Grad in einer Kühlkammer, um zu reifen, wird ein Konservierungsmittel zugesetzt. «Das ist wie bei Käse oder Wein», sagt Heather Ducretot. «Er braucht Zeit zu reifen». Geschmacksexperte Petrossian ergänzt: «Es gilt, seinen Geschmackssinn zu bilden, denn der hat ein eigenes Gedächtnis. Dann kann man bei Kaviar-Kostproben vergleichen.» Mit anderen Worten: Wer noch nie einen Spitzen-Kaviar gekostet hat, weiß nicht, wie er schmeckt.

Zur sachkundigen Kostprobe gehört der Grundsatz, Kaviar niemals auf einem Metall- oder Inox-Löffel in den Mund zu schieben. Nur auf Porzellan, Knochen oder Plastik, denn Metall oxidiert und schadet dem Geschmack. Gourmets servieren ihn auf Eis, mit Toast und leichter Butter, vielleicht mit einem Hauch frischer Sahne. Beim französischen Sterne-Koch Alain Dutournier in Paris bekommt man als Beilage zum Kaviar nichts weiter als eine sorgfältig ausgewählte kleine Kartoffel, aufgeschnitten und lauwarm.

Teuer ist Kaviar auch wegen des nicht einfachen Vertriebs. Nur gekühlt behält er seine Qualität. Beim Versand, schön verpackt in dickem Eisbeutel, darf die Kühlkette zu keinem Zeitpunkt unterbrochen werden. Wer sich Kaviar liefern lässt, muss das Päckchen an der Haustür in Empfang nehmen und direkt in den Kühlschrank verfrachten.

«Le Moulin de la Cassadotte» organisiert auch Führungen für ganz normale Urlauber. «Ich finde diese Störe scheußlich. Sie sehen aus wie Dinosaurier», sagt Marianne, die mit ihrem Ehemann die Zuchtanlage besucht hat. Es gibt aber auch Besucher mit Sonderinteressen. «Ich kaufe einen jungen Stör als Dekoration für ein großes Becken», sagt André aus der Umgebung. «Der hält das Becken sauber, weil er die Algen frisst und verträgt sich gut mit dem Karpfen».

Gelöst werden muss noch das Problem des Transports, denn mehr als eine Stunde überlebt kein Stör, auch nicht in einem großen Wasserbecken. Er braucht viel Sauerstoff, mehr als in einem Becken vorhanden ist. Am besten wäre es, ihn mit einem kleinen Wasserfall zu befördern. dpa

Gute Anbieter in Deutschland:

Caviarhouse Prunier

AKI Hamburg

petrossian.fr 

moulindelacassadotte.com

Dazu Champagner in der Stiftung Warentest