Wenn Usedom die Badewanne der Berliner:innen ist, heißt ihr Lieblingskurort Bad Saarow. Schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts entdeckten Berliner Bürgerinnen und Bürger das mondäne Seebad, Maxim Gorki, Theodor Fontane, Max Schmeling, Künstler:innen und Architekt:innen zog es hierher. 1998 wurde Bad Saarow zum ersten Kurort Brandenburgs ausgezeichnet. Eine ältere, gediegene Klientel kam zum Golf spielen oder Thermalbaden, der idyllische Kurort strahlte eher Gutbürgerlichkeit denn hippe Urbanität aus. In den letzten Jahren sind neue Investitionsprojekte umgesetzt worden. Vor allem kulinarisch hat sich so viel getan, dass sich die gute Stunde Fahrtweg auch für Berliner Foodies lohnt.
So ist etwa im lange brachliegenden Areal an der bahnhofsnahen Ulmenstraße ein neues Quartier aus schicken Stadthäusern entstanden. Hier liegt auch das 4 Sterne-Hotel Velotel, das sich mit Abstellraum und Werkzeug auf die speziellen Bedürfnisse von Radler:innen spezialisiert hat. Wir finden den Eingang nicht, und ein netter Mensch, der sich später als der Hoteldirektor entpuppt, begleitet uns ins Haus, wo wir von einer weiteren liebenswürdigen Mitarbeiterin empfangen werden. Die 31 Zimmer sind modern und praktisch eingerichtet (unseres hat sogar eine Terrasse), in den Apartments mit bis zu drei Schlafzimmern kann man mit Freund:innen oder der Family urlauben. Für den längeren Aufenthalt wäre gerade in der kühleren Jahreszeit ein Wellnessbereich schön - deshalb plant Investor Jürgen Kliche, den gegenüberliegenden Parkplatz mittelfristig in ein edles Wellnesshotel mit Gesundheitsfokus zu verwandeln.
Die Lobby des Velotel sieht mit der großen Popcorn-Maschine übrigens nicht nur wie eine Kinokasse aus, sondern ist tatsächlich eine: Das Cinema by Velotel ist das einzige Kino Bad Saarows, das sich mit seinen gut 100 Plätzen großer Beliebtheit erfreut. Auch eine Eisdiele mit hausgemachten Kreationen aus der proteinreichen Milch von der Jersey-Kuh gehört zum Hotel.
Im nächsten Block der Kurpark Kolonnaden befindet sich die Amiceria, die mit dem Slogan „Zu Gast bei Freunden“ für entspanntes Genießen wirbt und die zu den wenigen Restaurants gehört, die wir am Samstag Mittag geöffnet finden. Das farbenfroh gestaltete, einladend eingerichtete Restaurant dominiert ein großes Gemälde des Zeichners Georg Barber alias ATAK, der Service ist ausgesprochen freundlich. Es gibt gute Pizza (da alle Pizzen auf Margherita-Basis zubereitet werden, lieber nicht wie wir Trüffel bzw. Birne-Gorgonzola wählen, das passt nicht wirklich zur Tomate), Pasta-Gerichte aus der eigenen Manufaktur, eine solide Weinauswahl und guten Aperol Spritz.
Das Café Le Gâteau rose in der Seestraße ist ein pastellfarbenes Kleinod, dessen Inneneinrichtung geradewegs der Phantasie von Marie Antoinette entsprungen zu sein scheint. Morgens gibt es hier ein Frühstücksangebot, das an angesagte Berliner Cafés erinnert: Sauerteigstullen, Eggs Benedict, Shakshuka und Pancakes stehen auf der Karte und kommen bestens an. Von morgens bis 17 Uhr ist das Café mit der namensgebenden rosa Torte aus Sachsen rappelvoll, und wer keinen Sitzplatz gefunden hat, nimmt einen Karton voll köstlicher Törtchen für zu Hause mit.
Zum Dinner erleben wir das Highlight unseres kleinen kulinarischen Ausflugs nach Bad Saarow, das Restaurant KIN im Velotel. Der Name bezieht sich nicht etwa auf das benachbarte Kino, sondern heißt Gold auf Japanisch. Dazu passt, dass laut es sich hier laut Schild um Fusion Kitchen handelt. Nun kann das alles oder nichts heißen. Dass Küchenchef Carlo Sannino allerdings unter Henrik Otto, Reto Brändli und Tim Raue gekocht und Restaurantleiter Dario Buono im India und im China Club gearbeitet hat, gibt eine gewisse Richtung vor und lässt ahnen, dass dies ein großartiger Abend werden könnte. Das farbenfrohe Restaurantdesign mit blauen und gelben Samtpolstern, minimalistisch eingedeckten schwarzen Tischen und Kunst aus Kimonostoffen wirkt einladend. Das Gemälde des Cottbusser Malers Günther Rechn polarisiert, setzt in seiner drastischen Plakativität aber einen mutigen Kontrapunkt zum eleganten Interior.
Auf Empfehlung von Dario starten wir mit dem wunderbaren Ninki Sparkling J-Ginjo Sake und dem Kin Martini, einer Kreation aus orientalisch gewürzten Opihr Gin, Noilly Prat, Limettensaft und Ingwer-Sirup. Die Sake-Karte hat er genauso selbst kuratiert wie die Rezepte für die Signature Cocktails von ihm stammen. Dazu bekommen wir Edamame-Bohnen, und was für welche: Salzzitronen und Minzöl geben Säure, Salzigkeit und Frische, die von dem Sake wunderbar geboostert wird.
Vom aktuellen Menü probieren wir die leuchtend orange Kürbissuppe mit Massamam-Curry, die über Nordseekrabben, eingelegten Kürbis und karamellisierte Kürbiskerne aufgegossen wird. Filigran vereinen sich in dieser leichten Suppe Süße und Schärfe, Cremigkeit und Crunch. Die italienisch-chinesische Fusion aus Ossobuco und Frühlingsrolle gelingt, aber aromatisch passiert hier weniger als beim Dim Sum mit Krauser Glucke, Parmesan Espuma und Ente Trüffel Jus, bei dem sich die asiatische Form mit einer Füllung vereint, die köstlich italienisch nach Herbst in Alba schmeckt. Das fette Fleisch der länglichen Perlina-Aubergine bekommt mit Miso Karamell, Orange und Lauchzwiebeln einen Touch Süße und viel Umami.
Dass ein Burger durchaus Ambitionen haben kann, beweist ein gegrillter Pulpo mit Kürbis und gelbem Rettich, der in ein herrlich buttriges Brioche-Brötchen gepackt ist. Dieser Favorit meiner Tochter wird für mich noch übertroffen vom Label Rouge Lachs Sashimi, das in einem grünen, süßsauren Gazpacho schwimmt und von Wasabi Schmand für die Schärfe und gepoppten Perlgraupen für den Crunch getoppt wird. Das unspektakulär klingende, aber perfekt handgeschnittene Bio Rinder-Tartar mit Piennolo-Tomaten überrascht mit einer starken Präsentation, die aus der Nordic Cuisine stammen könnte: Serviert in einem halben Hohlknochen, der thematisch und geschmacklich von der geräucherten Knochenmarkbutter aufgegriffen wird und der auf Kohlen gebettet ist, die zum gerösteten Sylter Sauerteigbrot passen. Dazwischen bringt Carlo Sannino noch schnell seine brandneu entwickelte, von herrlichem Umami und verschwenderischer Cremigkeit nur so strotzende Asia-Version von Spaghetti Aglio Olio vorbei.
Ein Zauberer ist er, einer, der keine Grenzen akzeptiert und absolute Freiheit in der Küche braucht. Den Vertrag als Sous Chef bei Reto Brändli im Lorenz Adlon schlug er aus, als Jürgen Kliche Dario Buono und ihm die Möglichkeit bot, sich im KIN nach eigenen Vorstellungen ohne Zwänge entfalten zu können. Ein seltener Glücksfall, von dem auch wir als Gäste profitieren. Mit jedem Gang verstehen wir mehr, was hier mit Fusion, mit Crossover-Küche gemeint ist: Italienische Herzensküche verwandelt Carlo Sannino mit asiatischen Techniken und Aromen in neue, eigenständige Kreationen, die für keine Landesküche stehen, sondern nur für sich selbst. In der Sterneküche hat er das Gespür für Texturen und Komponenten erlernt, und auch wenn er verständlicherweise mit keinem der großen Namen verglichen werden möchte, kann ich mich eines Vergleichs doch nicht erwehren: Die Kunst, komplexe Gerichte unfassbar gut und wie Kindheitserinnerungen in besser schmecken zu lassen, lässt unwillkürlich an Tim Raue denken, mit dem er zwar nur wenige Male im Sra Bua gekocht, aber offenbar viel Inspiration mitgenommen hat.
Zum Dessert lässt Carlo noch einmal die Muskeln spielen - einen eigenen Pâtissier braucht er nicht. Zu verführerisch fruchtigem Yuzu Sake und einem wunderbaren Champagne Carte Blanche von Jean Michel genießen wir hinreißenden Cheesecake Yuzu Karamell. Dann eine als Milchreis betitelte, nur dezent gesüßte kräftige Mousse mit Matcha, Aprikose und Holunder und zum Abschluss eine neuentwickelte Tarte Tatin, die dekonstruiert mit einem Berg aus Creme, Eis und Kürbiskernen kommt. Der Zauberer von Bad Saarow hat uns endgültig in seinen Bann gezogen.
KIN Fusion Kitchen im Velotel, Ulmenstraße 2, 15526 Bad Saarow
Amiceria, Kurpark Kolonnaden, Ulmenstr. 2a, 15526 Bad Saarow
Le Gateau Rose, Seestraße 11, 15525 Bad Saarow