Von Göran Gehlen
Ist es verrückt, für zehn Millionen Euro in Hessen einen Skilift zu bauen? Diese Frage kennt Jörg Wilke nur zu gut: "Viele Leute glauben das, wir gehören nicht dazu", sagt Wilke. Er ist Geschäftsführer der Liftgemeinschaft Köhlerhagen, die seit April im nordhessischen Willingen am Ettelsberg den K1 baut, mit 1500 Metern Hessens längster Skilift.
3000 Menschen pro Stunde soll der neue Achter-Sessellift nach seiner Fertigstellung im Dezember zunächst transportieren. Damit ließen sich in nur zwei Stunden fast alle Einwohner der Sauerland-Gemeinde auf den Berg bringen - so klein ist Willingen. Doch der Ort hat einen Ruf weit über die Region hinaus: Im Winter kommen die Wintersportler, im Sommer Wanderer, Radfahrer und Partytouristen.
Damit das so bleibt, setzt Willingen gern auf Superlativen: Gerade wurde angekündigt, eine Hängebrücke als Touristenattraktion zu bauen, die mit über 600 Metern "die längste Brücke der Welt im tibetanischen Stil" sein soll. Und der Sessellift K1 werde der erste seiner Art, "der fertig wird", sagt Wilke. Per Knopfdruck soll der Wechsel zwischen Winter- und Sommersesseln möglich sein.
Denn auch die Radfahrer sind Kunden im Willinger Skigebiet. "Der Mountainbiker ist der Skifahrer des Sommers", sagt Wilke und zeigt ein System, das das problemlose Einhängen von Fahrrädern in die Liftrückseite ermöglicht. Im Winter geht es dagegen mit Schutzkuppel und auf rot-schwarzen Sitzen bergauf. Sie erinnern an Sportsitze in Rennwagen.
Der Hang Köhlerhagen, wo der Lift gebaut wird, sieht wie eine Mondlandschaft aus. Hier ragen die ersten Wände der neuen Talstation wie ein Gerippe in die Höhe. Gebaut wird jeden Tag, bis zu 50 Arbeiter sind vor Ort. Sie bewegen riesige Erdberge. Denn neben dem Liftbau werden nach Wilkes Angaben auch 37 Kilometer Leitungen verlegt: Steuerkabel, Glasfaser, Wasserleitungen für die Schneekanonen. 1,5 Millionen Euro kosten allein mehrere Tunnel, die die Skifahrer über Straßen und Bach hinwegbringen.
Das alles hat ein Ziel: "Unsere Vision von "Fertig" ist, die Skischaukel zu schließen", sagt Wilke. "Skischaukel" bedeutet, mehrere Skigebiete zu verbinden. In Willingen waren die drei großen Skiberge mit ihren 15 Liften bisher getrennt. Wer wechseln wollte, musste die Skier mehrfach ausziehen, 20 Höhenmeter überwinden und über Straßen. Gemacht habe das kaum jemand.
Der neue K1-Lift ist länger als der bisherige Schlepplift und liegt direkt im Tal. Die Piste wächst so von einem Kilometer auf 1,6 Kilometer. Sogar der Sportplatz der Gemeinde wich dafür - im ländlichen Raum ein Politikum. "Ich war der Totengräber des Fußballs", sagte Wilke. Mittlerweile seien die Wogen geglättet, die Fußballer haben ein neues Sportzentrum bekommen.
Die Konkurrenz im nahen Winterberg (Nordrhein-Westfalen) beobachtet das Treiben in Willingen genau. "Ich freue mich, dass in Willingen was passiert", sagt Michael Beckmann, Tourismus-Geschäftsführer in Winterberg. Das belebe die gesamte Region. Der K1 in Willingen sei auch eine Reaktion auf vergangene Investitionen in Winterberg. Dort wiederum wollen sie die eigenen Skigebiete stärker miteinander verknüpfen. "Das geht jetzt in die Planung", sagt Beckmann.
Doch ohne Schnee nutzt das größte Skigebiet nichts, und der Ettelsberg ist mit 838 Metern im alpinen Vergleich nicht sehr hoch. Selbst die Wasserkuppe - Hessens anderes Skigebiet in der Rhön - ist mit 950 Metern höher. Doch er habe sich die Klimadaten der vergangenen Jahrzehnte genau angeschaut, sagt Wilke. Das Szenario für den schlimmsten Fall war ein Grad Erwärmung in 25 Jahren. Dann läge man bei 78 Prozent des bisherigen durchschnittlichen Skibetriebs - plus Sommergeschäft. "Wirtschaftlich sind wir sicher, dass das passt", sagt der Geschäftsführer. Zuletzt lief es gut mit dem Wintersport - 110 Betriebstage hatte die Saison 2017/2018.
Thomas Bausch, Direktor des Alpeninstituts München, verweist auf die Bedeutung von Naherholungsangeboten wie in Willingen nach ökologischen Gesichtspunkten. Die meisten klimaschädlichen CO2-Emissionen von Urlaubsreisen im Winter entstünden durch Flüge in den Mittelmeerraum und einen stetig steigenden Anteil an Fernreisen. "Ein Lift, der in der Nähe steht und Naherholern und Übernachtungsgästen ein Angebot Sommer wie Winter in der Nähe bietet, sollte man daher immer auch in der Abwägung zu den Alternativaktivitäten der Bevölkerung sehen." Die alleinige Frage - Ist das im Winter in Zeiten des Klimawandels noch sinnvoll? - sei gerechtfertigt, greife aber viel zu kurz. dpa