Mystery Check - als Hoteltester Undercover

Von Johanna Uchtmann

Fragt man Claudia Reuter nach ihrer typischen Handbewegung, legt sie den Zeigefinger auf eine imaginäre Kante und zieht ihn von rechts nach links. Wer mit ihr unterwegs ist, sieht ihren Finger bestimmt zweimal pro Stunde über Kanten gleiten. Meistens schiebt er dabei ein Häufchen Staub vor sich her. Claudia Reuter (Name geändert) ist Hoteltesterin bei Tui. Hoteliers können bei dem Veranstalter einen sogenannten Mystery Check buchen. Reuter oder einer ihrer Kollegen nimmt das Haus dann unter die Lupe.

Meist weiß im Hotel niemand Bescheid - außer dem Auftraggeber. So will er herausfinden, wie seine Leute arbeiten und was er verbessern kann. Reuter und ihre Kollegen sind undercover unterwegs. Ein Mystery Check kostet den Hotelier rund 3000 Euro. Anschließend bekommt er eine Bewertung - nur für sich, nicht für die Öffentlichkeit - sowie Tipps, wenn es irgendwo hapert. Und es hapert immer irgendwo. «Niemand ist perfekt. So ist auch kein Hotel perfekt.» Das weiß Reuter inzwischen.

Ein Fünf-Sterne-Hotel an der Türkischen Riviera hat Tui um einen Check in der Hauptsaison gebeten. Reuter hat sich für vier Tage eingebucht. Die Gäste, das Personal, auch die Chefs des Hauses sollen sie für einen normalen Besucher halten. Drei Tage testet sie, am vierten Tag gibt sie sich zu erkennen und bittet zum Abschlussgespräch.

Den ersten Tag verbringt die Hoteltesterin wie bei jedem Mystery Check hauptsächlich im Zimmer, auf den Fluren, in den Treppenhäusern und Fahrstühlen. Während sie im Zimmer auf den Kofferträger wartet, legt sie den Finger an den Spion in der Tür. «Hier fehlt die kleine Abdeckung.» Der Finger fährt ein paar Zentimeter hoch zum elegant in Plexiglas gefassten Fluchtplan. Schick, oder? «Oben rechts fehlt die Schraube.»

In einem Fünf-Sterne-Haus sind eben genau solche Details das sprichwörtliche Haar in der Suppe. «Es sind die Kleinigkeiten», fasst sie zusammen. Manchmal wisse ein Gast gar nicht, warum er eigentlich so unzufrieden ist mit einem Hotel, erklärt Reuter. Benennen könnte der Gast die störenden Details vermutlich nicht - was aber nicht heißt, dass er sie nicht wahrnimmt. Der Chef des Hauses ist in seinem Büro meist einfach zu weit weg von diesen Kleinigkeiten, ihm fehlt oft das Gespür dafür. Deshalb lässt er Profis ran.

Nachdem Reuter Spion und Fluchtplan zum Beweis fotografiert hat, zieht sie die Rolltür des Kleiderschranks auf und zeigt, wie Details auch zufrieden machen können: Drei Kleiderbügel hängen ganz links auf der Stange und drei ganz rechts. «Das zeigt mir, es gibt einen Standard.» Standards seien ein Zeichen dafür, dass das Personal geschult ist, dass sich alle Mitarbeiter in bestimmten Situationen gleich verhalten, weil sie es gelernt haben.

Dass das Hotel nahe Antalya nicht für alles einen Standard hat, merkt sie beim Weckruf am Morgen. «Pünktlich, freundlich, auf Deutsch, das war gut.» Aber: Der Anrufer habe ein bisschen gezögert. Als er fertig war, wusste er nicht so recht, was er noch sagen soll, wünschte einen schönen Tag und legte auf.

«Das Zögern zeigt, es gibt wahrscheinlich keinen Standard.» Es war aber doch trotzdem gut, oder? «Schon, aber das heißt ja, dass ein anderer Mitarbeiter vielleicht nur "Hallo" gesagt hätte», erklärt sie beim Frühstück und zieht den Finger von rechts nach links über die Fensterbank aus Marmor. Sie hebt die Augenbrauen und schürzt die Lippen, was so viel heißt wie: Das Häufchen Staub ist zu hoch.

Im Außenbereich ist das Resort picobello sauber. Aber mit der Reinlichkeit auf den Zimmern hat das Haus Probleme. Oberflächlich sieht alles gut aus. Aber Oberflächlichkeit ist nicht gerade Reuters Ding. Sie kniet unter dem Waschbecken im Bad ihres Zimmers und schiebt die Hand über den blanken Marmorboden bis hinten in die Ecke: Da liegen Haare - Reuters Haare. Die hatte sie vor dem Frühstück ausgelegt. Am Nachmittag liegen sie noch immer da. Auch die durchsichtige Hülle des Strohhalms vom Trinkpäckchen aus der Minibar liegt noch im Schlafzimmer neben der Stehlampe. Hat das Zimmermädchen gar nicht Staub gesaugt?

Am zweiten Tag trägt die Mystery Checkerin Bikini und Rätselheft. «Jetzt kommt der angenehme Teil meines Jobs», sagt sie und lässt sich langsam in den Pool gleiten. Sie schwimmt am Rand entlang. «Wo sind die denn jetzt?» Am Vorabend waren ihr im Poolboden Bleche aufgefallen, die Ansaugrohre verbergen könnten. Immer wieder ertrinken in Hotelpools Kleinkinder, weil der Sog eines solchen Rohres zu stark ist und sie unter Wasser zieht. «Da!» sie schwimmt auf ein Blech zu, stellt sich darauf und lächelt. «Saugt nicht. Da bin ich ja beruhigt.»

Und das Rätselheft? Es ruht aufgeschlagen auf Reuters Oberschenkeln, als sie nach dem Pooltest im Halbschatten auf einer Liege im Gras sitzt. Im Rätselheft steckt ihr Notizbüchlein. In die erste Zeile einer Seite hat sie immer einen Bereich des Hotels eingetragen, etwa das Zimmer, die Lobby oder den Außenbereich. Darunter sind Eigenschaften mit Plus- und Minuszeichen versehen: Sauberkeit, Service, Kinderfreundlichkeit und viele mehr. «Ich könnte auch ein Buch mitnehmen, aber es sieht ja komisch aus, wenn ich darin schreibe.» Ein paar Kreuzwortfelder sind sogar ausgefüllt. «Manchmal kommt ja auch ein Kellner vorbei.» Dann rätselt die Inkognito-Testerin wirklich, um nicht aufzufliegen.

Die Notizen trägt sie später in eine Excel-Tabelle ein. Daraus erstellt ein Programm automatisch eine Powerpoint-Präsentation mit Diagrammen, die in Prozentzahlen anzeigen, wie gut ein Bereich abschneidet. 100 Prozent sind top, 0 Prozent heißt durchgefallen. Die Präsentation zeigt sie ihrem Auftraggeber am vierten Tag, inklusive Verbesserungstipps. In die Folien arbeitet sie ein paar ihrer Fotos ein. Insgesamt macht sie mehr als 300 pro Hotel, viele zeigen ihren staubigen Finger auf einer staubigen Kante. Viele zeigen aber auch besonders lobenswerte Details, wie die aufwendig in Melonen geschnitzten Zierrosen oder die extra hoch angebrachten Steckdosen in der Pool-Landschaft für Kinder.

Zurück in den Außenbereich der Anlage. Um 15.00 Uhr - der Bikini ist noch nicht ganz trocken - legt Reuter ein Gewehr an, kneift das linke Auge zu und drückt ab. Der Animateur neben ihr muss gar nichts erklären. Sie schießt nicht zum ersten Mal. «Würde ich privat jetzt auch nicht gerade machen.» Testet sie allerdings ein Hotel, in dem Gewehrschießen Teil des Animationsprogramms ist - und das ist meistens der Fall -, dann greift sie auch zur Waffe. Beim Gewehrschießen lasse sich erkennen, wie viel Wert das Haus auf Sicherheit legt. Dieses Hotel legt zwar Wert auf Sicherheit, aber bei der Professionalität hapert es.

Einen echten Schießstand gibt es nicht. Der Animateur hat ein Blatt Papier mit aufgedruckter Zielscheibe an eine große Stellwand gepinnt, die mit weichem Schaumstoff gepolstert ist. Grundsätzlich ist das gut, weil die Luftgewehrmunition darin versinkt, statt abzuprallen und im schlimmsten Fall einen Menschen zu treffen. Aber es sieht hier aus wie in einem Hinterhof. Planen liegen herum und alte Zielscheiben, der Rasen ist braun.

Reuter nervt. Das ist ihr Job. Nach dem Schießen ist es an der Zeit, sich mal zu beschweren. Augenbrauen hoch, Lippen schürzen, ab zur Rezeption. «Also, so geht das wirklich nicht.» Der Fön quietscht, schmutzige Fugen in der Dusche, ausgefranster Bademantel. Privat würde Reuter sich niemals so verhalten. Beruflich muss sie - um herauszufinden, wie der Rezeptionist mit Stressern umgeht. Er wird erst mal rot. Dann entschuldigt er sich und kündigt an, dass sich gleich jemand kümmert. Stimmt: Nach zehn Minuten kommt ein Zimmermädchen und putzt, ersetzt, erklärt. «Das haben sie gut gelöst», urteilt Reuter zufrieden.

Die Testerin versucht, in den drei Tagen alles unter die Lupe zu nehmen, was der Durchschnittsgast nutzt. In einem Fünf-Sterne-Hotel wie diesem sind das zum Beispiel auch der Wellness-Bereich, das À-la-carte-Restaurant, das Business-Center oder der Zimmerservice. Der Dame am Empfang des Wellness-Bereichs erzählt sie von einer Massageöl-Allergie. Die freundliche Mitarbeiterin bietet ihr Aloe Vera als Alternative an. «Gut reagiert», sagt Reuter später im Zimmer.

Dass hier nicht die private Claudia Reuter Urlaub macht, sondern die Testerin Claudia Reuter schuftet, merkt man spätestens beim Frühstück. Am ersten Morgen isst sie eine Hackfleischpastete mit Fruchtquark. Für die Pastete hat Claudia Reuter sich entschieden, weil sie nicht aussah wie eine Pastete. Der Quark hätte zu süß sein können, zu sauer, nicht frisch. Am zweiten Morgen liegt eine Scheibe Wurst in schrillem Barbie-Pink auf ihrem Brötchen. «So was esse ich normalerweise gar nicht, aber die sah so komisch aus, die musste ich jetzt einfach probieren.»

Als die Wurst ganz okay schmeckt, entspannt sie sich ein bisschen und gibt ein letztes Geheimnis ihrer Undercover-Arbeit preis: Daniel. «Ich glaube zumindest, er heißt Daniel», sagt sie grübelnd. Ihr erfundener Begleiter hat gebucht, ist aber nicht gekommen. «So schaue ich, wie flexibel sie auf eine Änderung reagieren.» Auch falle sie weniger auf, wenn sie für zwei Personen bucht. Daniel versetzt sie jedes Mal. dpa

Inkognito im Urlaub - Mystery Checks in Hotels

Mit einem Mystery Check überprüft ein Hotel sein eigenes Angebot. Zwischen 500 und mehreren Tausend Euro bezahlt das Haus an eine externe Firma, damit sie einen Testgast schickt. So erklärt Markus Luthe vom Hotelverband Deutschland das Prinzip. Der Tester bleibt inkognito meist einige Tage im Hotel und bewertet es anschließend. Testgäste, die Mystery Checks für Hotels machen, kommen meist selbst aus der Hotelbranche.

Der Test hilft Hoteldirektoren, Geschäftsführern oder Verkaufsmanagern, Schwachstellen aufzudecken, die ihnen selbst nicht mehr auffallen. «Er ist ein wichtiges Tool, einfach um nicht betriebsblind zu werden», erklärt Luthe. Außerdem bekomme ein Haus Zusatzpunkte in der offiziellen Sternebewertung des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga), wenn es sich einem Mystery Check unterzieht.

In Deutschland gebe es weit mehr als 100 Anbieter von Mystery Checks für Hotels, sagt Luthe. Dazu zählten unter anderem Reiseveranstalter und Hotelketten, die in erster Linie ihre eigenen Häuser checken. Auch Tourismusberater und Marketingagenturen vermitteln Inkognito-Tester, ebenso Verbände wie der Dehoga oder Prüforganisationen wie der TÜV. Mystery Checks gibt es in vielen Branchen, zum Beispiel mit Testkäufen in Apotheken oder Testanrufen bei Hotlines.