Naturwuchs im Weinberg Rebe steht gern in Pflanzengesellschaft

Von Ira Schaible 

Dabei «fährt man im Winter einfach mit dem Laubschneider durch die Rebzeilen, um die Triebe etwas einzukürzen, anstatt den Rebstock manuell auf ein bis zwei Triebe zurückzuschneiden und das restliche Rebholz aus dem Drahtrahmen zu entfernen», erläutert das Deutsche Weininstitut (DWI) die Methode im Spalier. Nach Einschätzung von Fachleuten hat sie viele Vorteile - nicht nur wegen des Klimawandels.

«Der Minimalschnitt kommt dem ursprünglichen Wuchsverhalten der Rebe näher und spart zudem erhebliche Kosten und Zeit», sagt DWI-Sprecher Ernst Büscher. «Die Rebe ist eine Liane, sie will eigentlich nach oben wachsen», erläutert der Leiter des Instituts für allgemeinen und ökologischen Weinbau an der Hochschule Geisenheim, Professor Manfred Stoll.

Mehr als ein Viertel der Arbeitszeit bei der Traubenproduktion entfalle auf den klassischen Rebschnitt, sagt Büscher. Statt rund 90 Stunden bis 100 Stunden, die ein Betrieb für das Schneiden und anschließende Biegen der Triebe pro Hektar aufwenden müsse, brauche er beim maschinellen Schnitt nur noch etwa drei bis sechs Stunden, rechnen Büscher und Stoll vor.

Der herkömmliche manuelle Rebschnitt erfordere zudem qualifiziertes Personal - in Zeiten des Fachkräftemangels ein weiteres Argument für den Minimalschnitt, sagt Büscher. Wenn dieses System dann noch an neuen Rebsorten angewandt werde, die kaum noch Pflanzenschutz benötigten, ließen sich neben weiteren Kosten und Zeit auch noch etwa zwei Drittel der Ressourcen sparen.

«Ich kenne keinen Nachteil vom Minimalschnitt», sagt Winzer Andreas Roll vom biologisch-dynamisch arbeitenden Gustavshof in Gau-Heppenheim, im größten deutschen Weinanbaugebiet Rheinhessen. Eine «extrem frühe Bodenbeschattung» durch die vielen Blätter schütze vor Austrocknung, was in Zeiten des Klimawandels hilfreich für das Leben im Boden sei. Die Reben seien mit dem Minimalschnitt auch viel robuster und passten sich optimal dem Boden an. «Die Rebe setzt nur so viele Trauben an, wie sie auch ernähren kann.» So könnten die Weinstöcke auch älter als 30 bis 40 Jahre werden und Ressourcen gespart werden. Der Hauptvegetationspunkt liege höher als beim herkömmlichen Schnitt: Knospen fressende Rehe würden so «zu tolerierten und willkommenen Gästen».

Wie viel Prozent der Weinreben in Deutschland im Minimalschnitt bewirtschaftet werden, sei nirgends erfasst, sagt Wissenschaftler Stoll. Immer mehr Winzer entschieden sich aber dafür. «Die Umstellung merkt man schon im Folgejahr.» Der Weg zurück sei auch möglich, «allerdings kein leichter, denn dann muss man alles zurückschneiden». Die meisten Weingüter stellten erst einmal ein paar Weinberge um, um Erfahrungen zu sammeln, sagt Büscher.

Das Risiko von Ertragseinbußen durch Wetterextreme wie einem Sonnenbrand der Trauben oder Hagelschlägen könne beim Minimalschnitt verringert werden, weil die Trauben von dem vielen Laub besser geschützt seien, sagt Büscher. Solche Wetterextreme sind nach Einschätzung von Stoll oft der Anlass für Winzer umzustellen. Weil beim Minimalschnitt keine großen Schnittwunden entstünden, werde auch das Eindringen von Pilzen verhindert, die zum Tod der Rebstöcke führen können, sagt Büscher. Als Beispiel nennt er die sich ausbreitende Esca-Krankheit.

Der Ertrag ist in der Regel auch höher, zählt Wissenschaftler Stoll einen anderen Effekt der Bewirtschaftungsmethode auf. Beim Minimalschnitt kämen etwa 100 Triebe auf einen laufenden Meter, zehnmal so viele wie bei der herkömmlichen Methode. Damit sei der Ertrag immer noch höher, auch wenn beim Minimalschnitt statistisch mit weniger als der Hälfte der Trauben pro Trieb gerechnet werden müsse. Die Trauben verteilten sich bei dem maschinellen Schnitt über den ganzen Stock, seien lockerbeeriger und dadurch oft gesünder.

Auch dem Geschmack und der Qualität des Weines kommt die Bewirtschaftungsmethode entgegen: Die Trauben reifen langsamer und ihr Mostgewicht hat eine geringere Zuckerkonzentration, sagt Stoll. Die Lese muss darum auch nicht schon im August begonnen werden, die Trauben könnten stattdessen bei der Aromabildung von kühlen Nächten und sonnigen Herbsttagen profitieren, sagt Büscher. Die Beeren seien zwar kleiner, aber gerade in der Haut steckten ja die Aromen, Farbstoffe und sekundären Pflanzenstoffe, sagt Winzer Roll.

«Minimalschnitt ist aber nicht für jede Rebsorte gleichermaßen geeignet», sagte Büscher. Als Beispiel nannte er den Schwarzriesling. Und: «In feuchten Jahren kann es bei Rotweinsorten Probleme mit der Kirschessigfliege geben, die seit 2014 dem deutschen Weinbau zu schaffen macht.»

In kühlen und regenreichen Jahren kann auch die spätere Reife der Trauben ein Nachteil sein. Hilfreich sei es dann, den Ertrag frühzeitig zu verringern, sagt Büscher. Reben mit mehr Trauben und Blättern hätten zudem einen höheren Wasserbedarf. Viele Winzer lassen daher bei den Rebzeilen auch einen größeren Abstand als zwei Meter - drei Meter sind es beim Gustavshof. Darin sieht Winzer Roll auch einen Vorteil: Mehr Raum für einheimische Kräuter und Gräser, denn: «Die Rebe steht gerne in Pflanzengesellschaft und nicht in Monokultur.» dpa