Reise in die Berge Marokkos

Hitze, Staub, Stimmengewirr. Klapprige Esel, die sich wild fauchend durch die engen Gassen zwängen und die Menschen vor sich fast umrennen. Schlachter, die auf offener Straße Hühnern die Kehle durchschneiden. Der Geruch nach Gewürzen und Müll. Eine Reizüberflutung für die Sinne. Wer auf eigene Faust durch Marokko reist, trifft überall auf solche Szenen, durchaus reizvoll, auf Dauer aber auch anstrengend.

Chefchaouen, eine kleine, abgelegene Provinzhauptstadt im grünen Norden des Landes, ist ganz anders. Wer während einer Marokko-Rundreise ein paar Tage Entspannung braucht, kann sie hier finden, in einer von Grün umgebenen Bergstadt mit blauen Gassen, arabischer Tradition und andalusischem Flair.

Von der Touristen-Hochburg Fès aus fahren täglich mehrere Busse nach Chefchaouen. Wer die preiswerte Variante der rund drei Stunden dauernden Tour wählt, nimmt im Gepäckraum oft ein paar Käfige mit gackernden Hühnern mit. Ein kleiner Aufpreis reicht für eine recht komfortable Busreise, die aus dem sandigen Gelb der Landschaft um Fès bald in frisches Grün führt. Am Fenster ziehen riesige Melonenfelder und unzählige Olivenbäume vorbei. Nach vielen Kurven durch das Rif-Gebirge taucht schließlich Chefchauoen auf, in rund 600 Metern Höhe idyllisch am Fuß zweier Berge gelegen.

Die Luft wirkt hier frisch, auch in der Medina, der von einer Mauer umgebenen Altstadt. Auf dem Place Outa el-Hammam hocken alte Männer in traditionellen Gewändern gelassen im Schatten und beobachten das Treiben in den Cafés und Restaurants. Kätzchen streunen zwischen Stühlen und Tischen umher in der Hoffnung auf leckere Happen. Die Kellner servieren Tajine, das marokkanische Lehmgefäß, in dem gewürztes Fleisch und Gemüse geschmort wird.

Beherrscht wird der Platz des 35 000-Einwohner-Städtchens von der Moschee «El Masjid El Aadam». Der Stadtgründer Ali Ben Moussa Ben Rached El Alami ließ sie 1471 erbauen, nachdem er aus Andalusien hierher gekommen war. Auffallend ist das achteckige Minarett. Hinter der Moschee ragen die Berge auf, die der Stadt den Namen geben: «Die zwei Hörner» heißt Chefchaouen in der Sprache der Berber.

Ende des 15. Jahrhunderts kamen viele aus Andalusien vertriebene Muslime nach Chefchaouen. Ihnen verdankt die Stadt die Bauweise der verwinkelten Gassen und der weiß und blau gestrichenen Mauern. Über Jahrhunderte galt Chefchaouen als heilige Stadt. Bis 1920 blieb sie für Nichtmuslime gesperrt.

Abends wirkt die Medina besonders beeindruckend. Während der Muezzin vom Turm der Moschee ruft und die Gläubigen herbeiströmen, strahlen die nahen Berge in goldenem Licht. Wer bleiben will, findet auch spät noch ein Bett in einem der vielen Hotels. Ein sauberes Doppelzimmer mit Mosaiken an der Decke kostet nicht mehr als 150 Dirham, umgerechnet etwa 15 Euro. Fast alle Hotels haben eine Dachterrasse, von der man weithin das Umland überblickt. Wer will, kann zumindest im Sommer auch hier für kleines Geld schlafen. Auf der Terrasse weht eine angenehme Brise, der Blick in den Sternenhimmel ist unbezahlbar.

Zum Frühstück aus frischer Minze, Baguette und Marmelade setzt man sich am besten in eines der Cafés auf dem Place Outa El-Hammam. Danach lohnt ein Gang durch die Gassen, die sich steil bergan winden. Angestrahlt von der Morgensonne, leuchten die Mauern in einem fast unwirklichen Himmelblau. Das Blau, so sagen die Einheimischen, helfe gegen den bösen Blick, der Unheil über eine Person bringen kann.

Wer einkaufen möchte, findet in der Medina alles, was das Touristenherz begehrt. In ihren kleinen Geschäften bieten die Händler jedes nur denkbare orientalische Gewürz, selbst gefertigten Schmuck und Stoffe, die in den Katakomben unter den Läden hergestellt werden. Die Dinge des täglichen Bedarfs gibt es in Supermärkten, die teilweise so winzig sind, dass der Verkäufer davor Platz nehmen muss.

An einer Straßenecke hat Mahjoub, ein junger Berber aus der Sahara, einen Laden mit Dachterrasse gemietet. Dort verkauft er Taschen und andere Lederwaren, die seine Familie gefertigt hat, wie er sagt. Wenn alles verkauft ist, will er wieder zurück. Er freue sich auf die Wüste, sagt er, Chefchaouen sei ihm zu kalt. Für europäische Touristen kommt diese Klage überraschend, mittags zeigt das Thermometer an die 30 Grad Celsius.

Wer die Medina Richtung Norden verlässt, ist schnell in den Bergen. Nach einer halben Stunde Fußmarsch steil bergauf öffnet sich ein weiter Blick auf Chefchaouen. Die von der alten Mauer umschlungene Altstadt leuchtet weiß und blau, das Tal ringsum strahlt grün.

Besonders gut scheint in der Gegend Cannabis zu wachsen. Einheimische erzählen von riesigen Anbauflächen in der Nähe. Wer es darauf anlege, könne Exkursionen zu Haschisch-Bauern machen und diesen bei der Arbeit zusehen. Die Produkte dieser Landwirtschaft bieten junge Männer den Reisenden an vielen Ecken an. Ein deutliches «nein» hilft allerdings, die Händler loszuwerden. Unbedenklich scheinen Ausflüge zu Quellen und Wasserfällen in der Nähe der Stadt.

Die letzte Nacht auf der Dachterrasse. Noch ein Blick auf die blauen Gassen, ein Abschiedstee, noch einmal die frische Luft in die Lunge ziehen. Dann geht es zurück im Bus durch die Berge. Das Grün bleibt zurück, es wird wieder gelb und staubig braun. Gleich erreicht der Bus Fès. (Jonas Brunnert, dpa)

Marokkanisches Fremdenverkehrsamt, Graf-Adolf-Straße 59, 40210 Düsseldorf, Tel: 0211/37 05 51, tourismus-in-marokko.de