Reise zur Ziegeninsel Cabrera

Auf Cabrera gibt es auf den ersten Blick nicht viel. Ein Restaurant, ein kleines Museum, eine Burg, ein paar Häuser. Keinen Flughafen, keine Autos, kein Hotel. Dafür viel geschützte Natur. «Hier sieht es noch aus wie auf Mallorca vor 100 Jahren», sagt Toni Villalón.    

Als müsse er seinen Vergleich beweisen, zeigt der Skipper immer wieder auf die unbebaute Küste und hält das Boot in menschenleeren Buchten an, damit die Gäste sich im türkisblauen Wasser abkühlen können. «Cabrera ist sogar für viele Mallorquiner eine völlig unbekannte Insel», sagt Toni. «Sie wissen zwar, wo sie liegt. Dagewesen aber sind nur die wenigsten von ihnen.»    

Eigentlich handelt es sich nicht nur um eine Insel, sondern gleich um ein ganzes Archipel mit 19 Inselchen, die zusammen den «Nationalpark Cabrera-Archipel» bilden. Es ist der einzige Nationalpark der Balearen und neben den galicischen Atlantik-Inseln auch der einzige See- und Landnationalpark Spaniens. Die Inselgruppe Cabrera trennte sich erst vor 15 000 Jahren von Mallorca ab.    

Die «Ziegeninsel», die ihren Namen den allesfressenden Tieren verdankt, ist mit 17 Quadratkilometern die größte und auch einzige bewohnte Insel des Archipels. Ziegen gibt es hier jetzt keine mehr, da sie das sensible Ökosystem zerstören würden. Dafür aber leben auf der kleinen Insel viele andere Tiere, von denen einige sogar endemisch, also nur hier vorzufinden sind.    

Skipper Toni hält erneut das Boot an und zeigt auf die Steilklippen. Zunächst ist nicht klar, was die dunklen Flecken oben an der 30 Meter hohen Felswand sein sollen, auf die er hinweist. Als sich ein Fischadler nähert, erkennt man, dass der dunkle Fleck ein Nest sein muss. Auch Eleonoren-, Wander- und Turmfalken stürzen hier an den Klippen immer wieder in die Tiefe, um kleine Vögel, Insekten und Fische zu jagen.    

Viele seltene Seevögel wie Sturmschwalben oder Sardengrasmücken brüten hier. Die riesigen Kolonien von Korallen- und Weißkopfmöwen, Krähenscharben und Balearischen Sturmtauchern beeindrucken. «Cabrera ist ein wahres Paradies für Ornithologen», sagt Toni. «Sobald hier auch noch die Zugvögel entlang kommen, um auf der abgeschiedenen Insel Zwischenstation zu machen, fühlt man sich fast wie in 'Die Vögel' von Alfred Hitchcock».    

Im einzigen Hafen der Insel wartet bereits Parkwächter Biel Servera auf die Besucher. Nach vorheriger Anmeldung geben die Parkwächter im Hafen Es Port nicht nur Informationen über den Nationalpark und registrieren Besucher, sondern begleiten Wanderer auch kostenlos.    

Einer der schönsten Wanderwege führt vom Hafenkai zum elf Kilometer entfernten Leuchtturm von Ensiola, von wo aus man einen herrlichen Blick über fast die gesamte Inselgruppe hat. Bis zu 50 Meter fallen hier die Steilklippen ins Meer ab. Ein anderer Wanderweg führt zum Aussichtspunkt La Miranda mit der Höhle Cova Blanca. Auf dem Weg kommt man am ethnographischen Museum «Es Celler» vorbei. «Celler» bedeutet auf Katalanisch Weinkeller oder Bodega. Bevor die Insel 1991 zum Nationalpark erklärt wurde, baute hier ein einheimischer Bauer arg trockenen Weißwein an, erklärt Parkwächter Biel und verzieht das Gesicht, als hätte er den Wein gerade probiert.    

Das Museum stellt Keramik und phönizische Amphoren aus. Doch auch ganz normale Alltagsgegenstände der Einheimischen aus dem 19. und 20. Jahrhundert wie Fischernetze, Körbe und Geräte für die Feldarbeit werden hier gezeigt. In der ehemaligen Bodega erfahren Besucher auch interessante Dinge über die Geschichte der Insel.    

Vom 1. bis zum 6. Jahrhundert nutzten die Römer die Insel als Zwischenstopp auf dem Weg zum spanischen Festland oder nach Mallorca. Sie waren es auch, die hier die Ziegen ansiedelten. So hatten sie immer etwas zu essen, wenn sie auf die Insel zurückkehrten. Nach ihnen kamen die Mauren, die ab dem 9. Jahrhundert fast die gesamte iberische Halbinsel unter ihrer Kontrolle hatten. «Jahrzehntelang wohnten auch Mönche auf der Insel, die sich irgendwann gegen die kirchliche Obrigkeit auflehnten, zur Rebellion übergingen und zum Schluss etwas verwirrt nackt am Strand tanzten», erzählt Biel.    

Die Einsamkeit ist auf der Insel häufig ein schweres Los. Das weiß auch Parkwächter Biel. Seit 1993 sei er nach Cabrera «verbannt», scherzt er. «Man muss die Einsamkeit wirklich mögen, um hier arbeiten zu können», sagt der 45-Jährige. Im Sommer kämen 50 bis 60 Personen pro Tag auf die Insel, mehr dürfen es nicht sein. «Doch zwischen Herbst und Frühling siehst Du hier wochenlang niemanden.» Wenigstens keine neuen Gesichter, verbessert er sich.    

Vom Hafen aus führt Biel die Besucher hinauf zum Castillo. Die Wanderung dauert eine knappe halbe Stunde. Majestätisch thront die Burg auf einem Felsvorsprung über dem Hafeneingang. Errichtet wurde sie Ende des 14. Jahrhunderts, um die Mallorquiner vor Piratenangriffen zu schützen - und die Insel selbst wieder unter Kontrolle zu bekommen. Denn jahrzehntelang war Cabrera als «Pirateninsel» bekannt. Noch bis weit ins 20. Jahrhundert versteckten Schmuggler auf dem Eiland ihre Ware.    

Sogar der spanische Diktator Franco machte sich Cabrera zunutze. Er wollte nicht, dass die Alliierten mitbekamen, dass er Nazi-Deutschland mit Penicillin versorgte. So schaffte er die Antibiotika auf das vergessene Inselchen im Mittelmeer, wo deutsche U-Boote die Medizin dann unauffällig abholten. Auch nach dem Tod des Generalísimo war Cabrera bis weit in die 80er Jahren Militärgebiet.    

Franco war nicht der erste spanische Herrscher, der die Insel für militärische Zwecke missbrauchte. Bereits im 19. Jahrhundert brachte die spanische Krone während des Unabhängigkeitskrieges gegen Napoleon 9000 französische Kriegsgefangene nach Cabrera und überließ die Männer dort fünf Jahre ihrem Schicksal. Es waren Gefangene, die bei der Schlacht im südspanischen Bailén in die Hände der Spanier gerieten und zwischen 1809 und 1811 auf das jetzt als «Gefängnisinsel» bekannte Cabrera gebracht wurden. «Es überlebten damals nur 3600 Gefangene», sagt Biel auf dem Weg zum Franzosen-Denkmal.    

Biel kennt die Insel wie kaum ein anderer. Auf den Wanderungen zeigt er immer wieder auf seltene Pflanzenarten. Es gibt auf Cabrera alleine 30 endemische Pflanzen. Obwohl die Flora mit rund 600 verschiedenen Pflanzenarten sehr reich ist, herrscht auf der Insel wegen des wenigen Regens, des starken Windes und einer Durchschnittstemperatur von 18 Grad eher eine karstig mediterrane Strauchlandschaft vor. Wilde Ölbäume, Phönizischer Wacholder, Rosmarin, strauchartiger Wolfsmilch und Zitronenklee bestimmen die Landschaft.    

Beeindruckend auf den Wanderungen ist neben den Ausblicken auf die Steilküste vor allem die riesige Zahl von Eidechsen, die immer wieder den Weg kreuzen. Viele Arten dieser Reptilien findet man nur hier. Im Park leben nordafrikanische Ginsterkatzen, Wildkaninchen und drei einheimische Fledermausarten.    

Noch artenreicher geht es unter Wasser zu. Kein Wunder, macht das Meer doch rund 90 Prozent der Nationalparkfläche aus. Zackenbarsche, Muränen, Steckmuscheln, Delfine und sogar im Mittelmeer bedrohte Tiere wie Seeschildkröten und Wale sind hier zu finden. In den unzähligen Unterwasserhöhlen haben sich viele seltene Fische und Korallen angesiedelt. Wassersport und Sportfischerei sind im Nationalpark verboten, die Zahl der Segelboote ist stark beschränkt. Nur wenige Fischer dürfen mit ihren traditionellen Booten fischen.    

Somit hat sich im Meer um Cabrera eine Unterwasserwelt erhalten, wie sie vor den anderen Mittelmeerinseln schon lange nicht mehr anzutreffen ist. Der berühmte spanische Naturforscher Félix Rodríguez de la Fuente verglich die Unterwasserwelt Cabreras einst mit dem «Mittelmeer des Ulysses, eine Stunde von Palma entfernt».    

So ist Cabrera heute auch ein wahres Schnorchel- und Tauchparadies. Spektakulär sind neben den Unterwasserhöhlen auch die Unterwasserklippen, die abrupt bis auf 90 Meter abfallen. Der geringe Niederschlag auf der Insel und das Fehlen von Flüssen bewirken zudem, dass so gut wie keine Sedimente ins Meer gespült werden. Dadurch hat man beim Tauchen Sichtweiten von bis zu 50 Metern.    

Interessante Tauchgebiete befinden sich an der Punta de sa Corda und an der Cala Galiota. Doch muss man keinen Tauchschein haben, um die Unterwasserwelt Cabreras zu genießen. Schon beim Schnorcheln an der Playa S'Espalmador sieht man große Fischschwärme. Besonders spektakulär ist das Schnorcheln in der Cova Azul, der blauen Grotte. Alle Ausflugsboote halten hier auf dem Rückweg nach Colònia de Sant Jordi an der Südküste Mallorcas.    

Auch Skipper Toni steuert sein kleines Boot tief in die Höhle hinein. Es ist stockdunkel. Doch sobald sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben und man zum Höhlenausgang schaut, beginnt das Schauspiel aus Licht und Farben. Es handelt sich vielmehr um eine einzige Farbe - Curaçao-Blau. Beim Schnorcheln und Schwimmen wirkt die Farbe noch unwirklicher, man weiß gar nicht, was spannender ist - das Farbspiel oder die Fische. An der «Kaninchen-Insel» vorbei geht es abends wieder zurück ins zehn Kilometer entfernte Colònia de Sant Jordi. Wie bestellt kreuzen Dutzende Delfine den Weg und springen aus dem Wasser. (Manuel Meyer, dpa)    

Reise zum Nationalpark Cabrera-Archipel    

ANREISE: Air Berlin, Lufthansa, Germanwings, Tuifly, Condor und Easyjet fliegen von verschiedenen deutschen Flughäfen nach Mallorca. Die Boote nach Cabrera fahren in Colònia de Sant Jordi im Süden Mallorcas ab (marcabrera.com oder excursionsacabrera.com).    

UNTERKUNFT: In Colònia de Sant Jordi gibt es Hotels verschiedener Preisklassen (coloniadesantjordi.com).    

INFORMATIONEN: Besucher-Zentrum des Nationalparks in Colònia de Sant Jordi, C/ Gabriel Roca, Tel.: 0034/971/65 62 82, Öffnungszeiten 10.00 bis 20.00 Uhr. Nationalpark Cabrera, Tel.: 0034/971/17 66 13, illesbalears.es