Restaurant 136 Berlin Peruanisch-italienische Kunstwerke

Im November 2019 und somit kurz vor dem ersten Lockdown eröffnet, fliegt das Restaurant 136 (früher Sagrantino 136) mitten im Dreieck Oranienburger- und Linienstraße erstaunlicherweise immer noch unter dem Radar der Berliner Foodszene. Das mag daran liegen, dass man an dieser Adresse eher den klassischen Italiener (dafür gibt es in der Sagrantino-Familie die Winebar in der Behrensstraße und das Al Contadino in der Gormannstraße) als einen Gourmet-Geheimtipp erwartet. Ein Blick auf die Karte genügt und es wird klar, dass wir es hier mit Fine Dining zu tun haben: Lediglich ein 7-Gänge-Menü mit Zutaten, die sowohl der peruanischen als auch der italienischen Küche zuzuordnen sind, und eine passende Weinbegleitung stehen zur Wahl. Wir sind gespannt.

Die Atmosphäre im Restaurant ist modern-rustikal mit unverputzten Wänden und rustikalen Holztischen - nur die Messerbänkchen auf den Holztischen verraten den Fine-Dining-Anspruch. Wir nehmen vor der offenen Küche Platz, um das Treiben der sechs Köchinnen und Köche optimal beobachten zu können. Matias Diaz Silva ist geborener Peruaner, weshalb ein echter 136-Abend immer mit einem Pisco Sour startet - auf Wunsch auch in einer (durchaus überzeugenden) alkoholfreien Variante. Dazu gibt es vier der für das 136 typischen, in liebevoller Kleinarbeit herstellten Aperitivi. Bei uns sind das ein Kissen mit italienischer Lachsforelle und Sojaperlen, eingelegte Borlotti-Bohnen mit Trüffel und Steinpilzen als Törtchen, ein Topinambur-Cannellono mit gepufftem Reis und ein Baiser mit Kohlrabi, Hirsch, Frühlingszwiebel und Schnittlauchmayonnaise.

Eine überraschende Ouvertüre aus süß, herzhaft und salzig, knusprig, weich und knackig. Wer solche erfindungsreichen und aromatisch ausbalancierten Amuse bouches kreiert, kann uns nur im Sturm erobern. Und was nach Chichi klingen mag, überzeugt vor allem mit handwerklichem Savoir-faire, mutig kombinierten Aromen und hervorragenden Zutaten. „ Wir versuchen alles, was auf dem Teller ist, selber zu machen“, erzählt Matias. Die vor der Küche aufgereihten Weckgläser mit exotisch klingendem Eingemachten, deren Ingredienzien er von einem auf peruanische Küche spezialisierten Fachhändler bezieht, legen davon Zeugnis ab.

Jeder der folgenden Gänge ist ebenso kunstvoll präsentiert wie die Préludes und bietet eine einzigartige Mischung aus Texturen und Aromen. Mozzarella-Sorbet ist auf roh eingelegte Rote Beete und lila Mais gebettet (übrigens einer der seltenen mir je begegneten Teller, die aufgegessen zum Kunstwerk mutieren). Der Signature Dish des 136, der Adlerfisch, erinnert mit Rocoto, Süßkartoffel und Koriander an Ceviche. Bei dem einen ist es der peruanische lila Reis, bei dem anderen die italienische Amalfi Zitrone, die für den roten Fusion-Faden steht. Das mag gewollt klingen, überzeugt aber letztendlich, haben Matias Diaz Silva doch beide Länder entscheidend geprägt: In Peru geboren, mit einem italienischen Onkel und schließlich einem Praktikum im La Pergola in Rom.

In Berlin kochte er in den beiden 1-Sterne-Restaurants Hugos und Facil, bevor er das Restaurant 136 als Küchenchef übernahm und seine eigene Handschrift mit einem alle zwei Monate wechselnden Menü stetig weiterentwickelt - eine beachtliche Leistung angesichts sieben hochkreativer Gänge plus vier Amuses bouches. Klar hat das seinen Preis (Menü 125, vegetarisch 99 , Weinbegleitung 59 Euro), aber der erscheint angesichts des Gebotenen mehr als gerechtfertigt. So komplex sind Matias Diaz Silvas Kreationen, dass ein großer Teil vorbereitet und am Abend lediglich komponiert wird. Hand in Hand spielt das Küchenteam zusammen und ist so effektiv, dass es nicht mal Kellner:innen braucht, wo die Köch:innen ihre Gerichte doch so wunderbar selbst erklären können.

Lediglich für die Weine kommt Sommelière Francesca Romana Gensini mit einer rein italienischen und auf nicht alltägliche Positionen setzende Weinbegleitung auf den Plan. Zum Adlerfisch hat sie uns den unfiltrierten L’Atteso von den Colli Trevigiani ausgewählt, der in der Amphore ausgebaut wurde und die Säure und Salzigkeit des Fisches perfekt abfedert. Der Oktopus mit Algen Kaviar und der Bitterkeit von Radicchio Rosso und Artischocke wiederum verträgt den von reifer Frucht geprägten Chardonnay hervorragend. Zur Auster wählt Francesca nicht klassisch weiß, sondern einen kräftigen sizilianischen Rosé aus dem Stahlfass, dessen interessante Säure die Frische des roten Apfels aufnimmt. Meine französische und zudem kochversierte Begleitung ist darüberhinaus beeindruckt davon, wie perfekt die Auster auf den Punkt gegart ist - aus ihr spricht echtes Savoir faire. 

Tatsächlich blitzt hinter dem peruanisch-italienischen Leitmotiv immer wieder Matias' klassisch französisches Kochhandwerk auf, etwa wenn er eine Enten-Terrine mit Schokolade Piura 70 % kombiniert (die Kombi hat schon George Sand in ihren Kochbüchern verewigt). Süß und erfrischend peruanisch wirkt hingegen das Dessert Alagarrobina “Chichlayo“ aus Banane, Ananas und Pisco - was war daran nochmal italienisch? Nichts, das Leitmotiv fällt ausnahmsweise aus - darauf einen Schluck L’Um von Lungarotti aus Umbrien und ein Hoch auf Matias, Francesca und das gesamte Team des 136.

Restaurant 136 Berlin, Linienstraße 136. 10115 Berlin 

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