Restaurant Jord Ein Tisch voll Abendbrot

Fast wären wir an dem puristisch eingerichteten Lokal in der Brunnenstraße vorbei gelaufen, so zurückgenommen präsentiert es sich. Der nordische, sparsam dekorierte Stil erinnert mich an mein Elternhaus, und beim Lesen der Speisekarte geht es nahtlos weiter mit den Kindheitserinnerungen: Die cremige Schmand-Salatsauce „à la Oma Irmgard“ (Björns Schwiegermama) schmeckt genauso süß wie bei meiner Mecklenburger Oma, und Senfeier - hier als Signature mit Forellenkaviar - standen bei uns ebenfalls regelmässig auf dem Tisch.

Das Konzept geht auf: Aus dem Schwedischen übersetzt heißt „Jord“ nämlich soviel wie Mutterboden und steht nicht nur für das, was auf ihm wächst, sondern auch für Heimat, Verbundenheit, Tradition und Erinnerung.

Sülze und grobe Leberwurst vom Juvenil Ferkel, „Jepickeltes Jarten Jemüse“ und Kartoffelsuppe mit Maggikraut: Das klingt nach Laubenpieper, Altberliner Esskultur und generationsübergreifendem Stullenschmieren. Wie mutig, die urdeutsche Tradition des Abendbrotes ordentlich entstaubt in einem hoch ästhetischen Mitte-Restaurant wiederaufleben zu lassen: Die Speisen kommen in weißen Porzellanschüsselchen, die Butter ähnelt mehr einem französischen Karamel-Flan als dem halben Pfund in der Butterglocke und die vegetarische Menü-Variante ist eine Selbstverständlichkeit.

Zu zweit ist letzteres übrigens die perfekte Wahl als frische Ergänzung zum fleischhaltigen Menü: So kann man noch mehr probieren, teilen und genießen.

Dass alle Produkte bester Provenienz sind, versteht sich von selbst. Das Brot stammt von Berlins Vorzeige-Bäcker Domberger (wir hätten uns auch eine Schwarz- oder Roggenbrotvariante zu den Weizenbrötchen gewünscht), der ästhetisch angerichtete Käse von Kober, das dazu gereichte Früchtebrot ist selbst gebacken.

Regionalität geht vor - allerdings nur, solange sie den hohen Ansprüchen des Jord genügt: „Manchmal finden wir die gewünschte Qualität einfach nicht direkt vor der Haustür“, erklärt Dennis Ucak, Küchenchef im Jord. Deshalb stammen etwa die Wurstwaren von einem Metzger aus Baden-Württemberg, der die von Björn und Dennis entwickelten Rezepte umsetzt.

Dennis Uçak ist ein langjähriger Freund von Björn Swanson, sie arbeiten schon zum vierten Mal zusammen. Die kreative Idee für das Abendbrot-Restaurant ist quasi aus der Not geboren: Die baulichen Voraussetzungen für eine Vollküche waren nicht gegeben, es darf zum Beispiel nicht gebraten werden. Ucak stört das nicht, schließlich tobt er sich eh am liebsten bei den Desserts aus. „Sicher im Geschmack und ausgestattet mit einer Akkuratesse, die ihn zeitgleich zu dem mit Abstand besten Pâtissier macht, den ich kenne“ schwärmt Swanson.

Tatsächlich würde Uçaks Käsekuchen & Quitte-Nachtisch mit Staub aus Piemonteser Haselnüssen, einer Eiweisshippe mit gebrannter, karamellisierter Milch und Quittenstücken auch die Erwartungen an ein Sternedessert erfüllen.

Am Ende des Menüs sind wir, trotz anfänglicher Skepsis und ob der kleinen Schüsseln gehörigen Futterneids, angenehm gesättigt. Einziger Wermutstropfen ist für uns, dass wir mitten im selbstauferlegten Dry January keine der 300 Positionen auf der bemerkenswerten, vor allem auf Deutschland fokussierten Weinkarte probieren konnten. „Wir wollen uns auch als Weinbar etablieren“ erklärt Sommelier Maximilian Kraft, der aus dem Faeld ins Jord gewechselt ist.

Ab 21 Uhr gibt es als Alternative zum „Tischvoll“ das „kurz & knapp“ mit Brot, Butter, Radieschen und Käse - ideal, um dazu eine gute Flasche Wein zu trinken. Insgesamt überzeugt das Jord mit einem innovativen Konzept, das authentische Heimatküche in Form des Abendbrotes modern übersetzt ins kosmopolitische, anspruchsvolle Mitte bringt. 

Abendbrot-Menü: 59 € inkl. Mineralwasser, 69 € mit Berliner Senfei & Saiblingskaviar | kurz & knapp: 19 €

Restaurant jord Berlin by Björn Swanson, Brunnenstraße 172, 10119 Berlin, Tel +49 30 634 18 10 4

 

Futterneid & Tafelsilber - Eine Genuss-Kolumne von Gesa Noormann

Im Restaurant Dóttir - Château Royal

Im Restaurant Berta

Im Restaurant Macionga