Sandwich feiert Geburtstag des Sandwichs

Von Michael Juhran

König Charles II. ist es zu verdanken, dass wir heute kein Portsmouth, sondern ein Sandwich essen. In Dankbarkeit dafür, dass ihn Edward Montagu im Mai 1660 aus dem holländischen Exil zurück nach England holte, verlieh er ihm noch im selben Jahr den Titel «Earl of Sandwich». Montagu, der zuvor vom Cromwellschen Republikaner zum Royalisten konvertiert war, befehligte die kleine Flotte, die Charles II. über den Kanal in die Heimat schipperte. Ursprünglich sollte er dafür als «Earl of Portsmouth» geadelt werden, doch Charles II. disponierte kurzfristig um.

Im Nachhinein sollte sich diese Entscheidung als weise und praktisch für die Menschheit erweisen, denn der Urenkel des 1. Earls of Sandwich erfand im Jahr 1762 das für Nichtbriten wesentlich leichter auszusprechende Sandwich. Geschichtsschreiber streiten darüber, ob dies bei einem geselligen Kartenspiel oder am Schreibtisch geschah, denn der 4. Earl of Sandwich war das, was heute mit den Begriffen Workoholic und Pokerface umschrieben wird.

Einig sind sich die Historiker darin, dass er in seinem oft emsigen Tun keine Unterbrechung duldete - nicht einmal zum Essen. Und so wies er der Überlieferung nach seinen Buttler an, ihm eine zwischen zwei Brotschnitten gelegte Scheibe Rindfleisch zuzubereiten. Dies veranlasste nun wiederum Gleichgesinnte, dasselbe zu bestellen «wie Sandwich».

«Aus heutiger Sicht war dies die Geburtsstunde des Fastfood», meint Orlando Montagu, der Sohn des 11. Earl of Sandwich. «Belegte Brote gab es sicher bereits früher, aber der 4. Earl sorgte für deren allgemeine Akzeptanz als Mahlzeit, selbst in Adelskreisen, die bis dahin an der Konvention eines warmen Dinners zu einer bestimmten Uhrzeit festgehalten hatten», zeigt er sich überzeugt.

Es wäre sicher ein dankbares Thema für eine Dissertation herauszufinden, wie zügig sich die handliche Mahlzeit in der Welt verbreitete. Vielleicht trug der bis 1763 andauernde Siebenjährige Krieg, ein europäischer Konflikt mit weltweiten Auswirkungen, dazu bei. Möglicherweise sorgte aber auch Kapitän James Cook dafür, dessen Expeditionen vom 4. Earl als damaligem Chef der Marine finanziert wurden. Cook dankte es seinem Gönner, indem er die Südlichen Sandwichinseln im Südatlantik nach ihm benannte und auch Hawaii als «Sandwich Islands» bezeichnete.

Dennoch wissen auch heute die Wenigsten, dass Sandwich eine 5000-Seelen-Stadt nördlich von Dover ist. Das soll sich ändern, wenn es nach Mandy, Jim und Keith geht. Die drei rührigen Ortsansässigen haben sich zusammen getan, um Sandwich den Platz in der Gegenwart einzuräumen, der dem Ort aus der Geschichte gebührt. Wenn auch keiner der bislang elf Earls jemals Sandwich als Lebensmittelpunkt oder als Wohnstätte erkor, so gäbe es doch das Sandwich ohne den Ortsnamen nicht. Und so wird am 12. und 13. Mai das 250. Jubiläum des belegten Brotes mit einem großen Fest begangen.

Auf dem Programm stehen etwa ein Barockkonzert mit Werken Georg Friedrich Händels - des Lieblingskomponisten des 4. Earls - im St. Mary's Arts Centre und ein Bauernmarkt mit regionalen Produkten. Delikatessenprofis sowie in- und ausländische Besucher sind aufgerufen, sich am Wettbewerb um das beste Sandwich in drei Kategorien zu beteiligen, und Vertreter der Partnerstadt Honfleur in der Normandie stellen sich der Herausforderung «Sandwich gegen Baguette».

Der Vorsitzende der Sandwich Society, Keith Wells, wird mit seinen Partnern Ned West-Sherring und Brian Bedford in historischen Kostümen die Szene nachstellen, in der John Montagu sein erstes Sandwich orderte. Und Bürgermeister Jeremy Watts öffnet für alle Besucher seine 1576 errichtete und wunderbar erhaltene Guildhall, die gemeinsam mit den drei Kirchen, dem jetzt idyllischen Kai und zahlreichen Häusern aus dem 15. und 16. Jahrhundert zu einem Bummel durch die Stadt einladen.

Gastfreundliche Einwohner gewähren Gästen einen Blick hinter die Umgebindehausfassaden in die Innenhöfe, in denen früher Schweine, Hühner und anderes Getier gehalten wurden. «Abends ließ man die fressfreudigen Vierbeiner mit Geläut auf die Gassen hinaus, wo sie Küchenabfälle verzehrten», erzählt Mandy Wilkins lächelnd aus der Mittelalter-Historie der Stadt.

Engagiert geht sie auch auf die Geschichte des Barbican ein, des um 1470 unter König Edward IV. gebauten Stadttores, das der Abwehr französischer Angreifer diente. Noch heute findet sich hier eine Tafel mit Zöllen, die Händler beim Durchfahren zu entrichten hatten. Das Museum des Ortes dokumentiert das über 1300-jährige Auf und Ab der kleinen Stadt. Dokumente legen Zeugnis ab über die Cinque Ports, die fünf Häfen, die England im Süden als Bollwerk gegen äußere Feinde dienen sollten.

Hier wird die Zeit lebendig, als in Sandwich - als größtem Hafen in der Grafschaft Kent nach Dover - riesige Mengen von Getreide umgeschlagen wurden. Pilger machten auf ihrer Reise nach Canterbury Halt, in Frankreich verfolgte Christen retteten sich nach England und holländische Weber suchten hier ein besseres Leben. Auch der erste und der vierte Earl haben im Museum und im Rathaus einen festen Platz gefunden.

Spricht man den Bürgermeister auf die Kontakte zum jetzigen Earl an, so verweist dieser gern auf die im Jahr 2010 begangene Jubiläumsfeier anlässlich des 350. Jahrestages der Titelverleihung an den ersten Earl. Dennoch wurmt ihn die Tatsache, dass es im Ort keinen Sandwich-Shop gibt. «Da müssen wir wohl noch einmal mit dem 11. Earl und dessen Sohn Orlando Montagu reden», befindet der sympathische Mayor. Eine solche Gelegenheit bietet sich zum 250. Jubiläum im Mai, zu dem die Montagus ihre eigenen Sandwichkreationen in einem Festzelt spendieren wollen.

Erst vor rund einem Jahr eröffneten Vater und Sohn Montagu ein Sandwich-Restaurant in Ludgate Hill, vor den Toren der St. Pauls Kathedrale in London. «Leider haben es unsere Vorgänger versäumt, das Sandwich patentrechlich schützen zu lassen», bedauert Orlando in dem ansprechenden kleinen Schnellrestaurant. «Anbieter wie Subway, Pret a Manger oder EAT. eröffneten ein Geschäft nach dem anderen, so dass mein Vater und ich die Zeit als reif ansahen, ein eigenes Konzept in die Tat umzusetzen», erklärt der 40-Jährige.

«Die Anregung kam von Disneyland in Orlando, Florida, das vor acht Jahren ein erstes Restaurant mit dem Namen 'Earl of Sandwich' eröffnete. Inzwischen gibt es in den USA über 15 davon, wir sind in der Pariser Disneyworld vertreten und werden in Kürze auch in Tokio unsere Sandwiches anbieten», umreißt Orlando seine gegenwärtigen Aktivitäten in Sachen historisches Erbe und wirtschaftlicher Expansion. Verglichen mit der internationalen Präsenz nimmt sich der Shop in Ludgate Hill klein aus. «Aber noch in diesem Jahr sollen auch in London zwei neue Restaurants hinzukommen - möglichst vor der Olympiade», zeigt er sich zuversichtlich.

Sein Erfolgsrezept: «Die Brötchen werden frisch gebacken, das Fleisch kommt aus der Röhre und das Gemüse beziehen wir direkt bei Bauern. Außerdem haben wir selbst leckere Soßen kreiert.» Im Gegensatz zum 4. Earl setzt Orlando jetzt auf das amerikanische Konzept eines warmen Sandwiches, auch wenn er dafür - im Unterschied zur kalten Konkurrenz - eine Mehrwertsteuer an den Staat abführen muss. Darüber ärgert sich der Unternehmer sichtlich: «Wir könnten sonst das Sandwich zu einem Preis von unter vier Pfund anbieten.»

Doch dann greift er genüsslich zu seinem Lieblingssandwich: dem «Original 1762» mit Roastbeef, Cheddar Käse und Meerrettich-Soße für 4,75 Pfund. Auch diese Variante fand in Adelskreisen Anhänger, als der 11. Earl als Mitglied des Oberhauses das Restaurant in Westminster damit belieferte.

Gegen Mittag bilden Touristen, Geschäftsleute und Uniformierte in Ludgate Hill eine lange Schlange, offensichtlich ist die warme Variante trotz Mehrwertsteuer konkurrenzfähig. Geht man von der St. Pauls Kathedrale über die Millennium Bridge hinüber auf die andere Seite der Themse, vorbei an der Tate International für Moderne und Gegenwartskunst bis zum Borough Market, werden für eine Portion Fish und Chips 8,99 Pfund fällig. Einige hundert Meter weiter, kurz vor der Tower-Bridge haben sich junge Leute zur Mittagspause mit Blick auf den gegenüber liegenden Tower niedergelassen - zum Lunch gibt es: Sandwich. dpa

Reise nach Sandwich

Anreise: Von Deutschland aus bieten sich vielfältige Flugmöglichkeiten ab etwa 100 Euro nach London und zurück an. Wer mit der Fähre von Calais nach Dover übersetzt, ist auf der Landstraße nach rund 30 Minuten in Sandwich. Die Fahrt von London nach Dover im Expresszug dauert 50 Minuten, weiter geht es mit dem Regionalzug nach Sandwich.

Währung: In England kann man fast überall problemlos mit der Kreditkarte bezahlen. Bargeld lässt sich günstig mit der EC-Karte abheben, Wechselstuben bieten meist einen ungünstigeren Kurs oder verlangen Gebühren. Der Wechselkurs schwankt täglich, derzeit um 1,20 bis 1,35 Euro pro Pfund Sterling.

Informationen: Visit Britain, Dorotheenstraße 54, 10117 Berlin, Tel: 030/315 71 90, visitbritain.de