Oft sind jedoch nur Williams, Obstler oder Himbeergeist als Digestif bekannt. «Die Einsatzmöglichkeiten von Destillaten sind aber durch neue Kreationen unendlich vielfältiger geworden», sagt Tim Müller von DSM Deutsche Spirituosen Manufaktur in Berlin.
Beim Pairing ungewohnte Geschmackswelten erleben
Die innovative Privatbrennerei destilliert neben klassischen Bränden und Geiste wie Williamsbirne, Himbeere und Kirsche sehr viel Ungewöhnliches, darunter Herbstlaub, Zitrone, Rose, Thymian und Kardamom. Bei experimentierfreudigen Köchen und Barkeepern sind die Destillate sehr gefragt. Diese eignen sich nicht nur zum puren Genuss, sondern auch zum Kochen oder als Destillat-Spray zum Verfeinern von Getränken und Speisen.
Robert Gierer ist Brenner und Edelbrand-Sommelier. In seiner Destillerie in Bodolz am Bodensee versucht er, aus der Frucht das Maximum zu brennen. Auch gibt er Küchenchefs Tipps, wie sie Menüs mit Edeldestillaten begleiten können. Dabei geht es ihm um die Vielschichtigkeit der Aromen. Beim Pairing sollte man «Erfindungsgeist mitbringen, gern ausprobieren und offen sein, beim Genuss verschiedene Facetten auszuloten», sagt er.
Was Edelbrand von Geist und Spirituose unterscheidet
Ein alkoholisches Getränk aus Obst oder anderen Rohstoffen kommt entweder als Brand, Geist oder Spirituose in die Flasche. Bei Bränden werden meist Früchte eingemaischt, vergoren und dann destilliert. Der Alkohol stammt zu 100 Prozent aus dem Zucker der Rohstoffe. Auch zuckerarmes Beerenobst wie Himbeeren, Brombeeren oder Wildbeeren fließt als edler Brand ins Glas. Meist werden die Früchte oder andere Ingredienzien wie Kräuter oder Gewürze aber «vergeistet».
Das heißt, die Rohstoffe werden mit neutralem Alkohol angesetzt, danach destilliert und etwa als Himbeer-, Haselnuss- oder Kardamomgeist verkauft. Was nicht den Vorgaben für echte Brände oder Geiste entspricht, muss als «Spirituose» bezeichnet werden. Hier ist so gut wie alles erlaubt, etwa Farbstoffe, Zucker und künstlichen Aromastoffe.
Ein Edelbrand darf nicht aromatisiert und nicht mit Alkohol anderer Art versetzt sein. Er muss mindestens 37,5 Prozent Alkoholgehalt haben. Fruchtigen Bränden darf bis zu 18 Gramm Zucker pro Liter Alkohol zugesetzt werden. Diese Methode, den Geschmack der Destillate abzurunden, ist bei Edelbrennern wie Gierer oder der DSM verpönt. Sie erreichen die Weichheit des Getränks allein über die Rohware und gekonntes Destillieren.
Es gilt der Grundsatz: Weniger ist mehr
Das Essen mit einem Brand oder Geist abzuschließen, ist die bekannteste Einsatzvariante für die hochprozentigen Tropfen. Damit zu kochen, eröffnet jedoch neue kulinarische Welten. So kann Spargelgeist eine feine Spargelcremesuppe intensivieren. Lachs beizt Tim Müller mit Mandarinen- oder Dillgeist.
Robert Gierer empfiehlt zu Fischgerichten Kernobstbrände wie Williams oder Quitte. Mit Wildkirsche, Schlehe oder Sauerkirsche, also Steinobstbränden, lassen sich dunkle Fleischsoßen verfeinern. Für Wild bietet sich Haselnussgeist an. Grundsätzlich gilt für Gierer: «Weniger ist mehr, nicht zu viel dazugeben.»
Raffiniert ist der Einsatz von hochprozentigen Sprays oder Destillatspritzen. Tim Müller spritzt zum Beispiel über sein Steinpilzrisotto etwas Steinpilzbrand. Wer kein Spray hat, kann auch einen Esslöffel davon darüber streichen.
«Ein Dessert braucht kräftige Aromen wie Haselnuss oder Waldhimbeere», erklärt Edelbrand-Sommelier Gierer. Tim Müller schwärmt von Crème brulée, die vor dem Flambieren mit etwas Rosenbrand parfümiert wird. Blutorangengeist macht aus Vanilleeis und Kakaogeist aus Schokoladeneis ein besonderes Dessert. Und danach wird Espresso mit Kardamomgeist besprüht.
Starke Aromen: Destillate als Essensbegleiter
Nicht nur Wein, auch Edeldestillate können ein Essen für Gäste begleiten. Allerdings darf man keine Angst vor starken Aromen haben, sagt Gierer. Er empfiehlt, nicht zu viele hocharomatische Brände anzubieten, zum Beispiel nur Haselnuss oder nur Waldhimbeere. Als Begleitung zum Rinderfilet passt für den Experten Sauerkirsche, Schlehe, Mirabelle oder Wildpflaume. Bei Desserts rät er zu Stein- oder Beerenbränden.
Tim Müller greift beim Pairing aus dem Füllhorn der zahlreichen Brände und Geiste seiner Manufaktur. «Man muss einfach schauen, wozu was passt», sagt er und empfiehlt zum leichten Fisch Destillate aus Jasmin, Quitte, Erdbeere, Mandarine oder rotem Sauerklee. Bei einem Gang mit Geflügel kommt es auf die Soße an. Zur Auswahl stehen zum Beispiel Holunderblüten, fruchtiger Hopfen oder Zitronengras.
«Edelbrände sind heute Genussmomente», betont Robert Gierer. Auch beim Pairing empfiehlt er: «Nur wenige Tropfen sind ausreichend. Immer nur ein kleines Nipperle.» Tim Müller warnt ebenfalls vor zu viel Alkohol: «Maximal 1,5 cl ausschenken. Es geht darum, am Destillat zu nippen, dann weiteressen, dann wieder etwas nippen.» Um das Aroma nicht zu überdecken, bitte bei Zimmertemperatur und nicht eisgekühlt servieren.
Cocktail statt pures Destillat
Das Restaurant Coda in Berlin ist bekannt dafür, Speisen mit Brand und Geist gekonnt zu kombinieren. «Unser Getränke-Pairing ist Cocktail-Pairing», erklärt Sternekoch René Frank. Seine Küche basiert auf den Techniken der Patisserie. Der hoch dotierte Koch will zeigen, «dass die Patisserie von heute weit über den letzten Gang des Menüs hinaus geht». Jede Speise des Coda-Menüs aus sieben Gängen rundet ein darauf perfekt abgestimmter Cocktail ab.
«Pure Spirituosen zu einem Gericht zu servieren, ist wegen des hohen Alkoholgehalts ein absolutes No Go für mich. Wir machen einen Drink damit, da reicht eine kleine Dosierung aus», sagt Frank. «Wir servieren zum Beispiel Sherry mit Oolong Tee und Kardamomgeist. Am Tisch bekommt der Gast noch etwas Kardamomgeist ins Glas gesprüht.» Oder zu einem Gang mit Möhre, Ingwer und Fingerlime gehört ein Drink aus Wildpflaumenbrand, Grapefruitgeist und Muskateller Verjus.
Bei einer Menüfolge wird eine mit Joghurt gefüllte Waffel aus Maismehl und eingebackenem Raclette mit getrocknetem und pulverisiertem Kimchi bestreut. «Dazu passt ein Drink aus Berliner Weiße mit Aquavit, eingedicktem Birnensaft und Dillgeist», sagt Frank. Der milchsauer vergorene Kimchi korrespondiere mit den Milchsäurebakterien des Weißbiers und passe gut zu Dill. Bei diesem Pairing sind Profis gefragt. Ein mit Thymiangeist besprühtes Glas Rotwein zum Rindersteak oder ein Aprikosenbrand zum exotischen Lamm kann ein Einstieg sein. dpa