Streifzug durch Berlin-Neukölln Zwischen den Kiez-Welten

Von Max Link

An der Stelle, wo früher eine große Kreuzung war, befindet sich heute eine Kaffeebude. Der Platz, auf dem sie seit wenigen Jahren steht, heißt eigentlich Alfred-Scholz-Platz. Er ist benannt nach einem SPD-Politiker, der in den Goldenen Zwanzigern erster Neuköllner Bezirksbürgermeister war. Örtliche Hipster nennen den Platz aber nur «den Plaza». «Wo wollen wir uns heute Mittag zum Essen treffen? - «Am Plaza natürlich.» Eine kurze Konversation, wie sie vor allem im Sommer zu hören ist.

Die Ironie liegt auf der Hand, wenn man den Platz sieht. Mit Pomp und Größe hat er wenig zu tun. Da stehen ein Schnäppchen-Center, ein Spätkauf und eine Kaffeebude: Die «Rixbox» heißt so, weil sie genau am Eingang von Rixdorf steht, dem böhmischen Viertel, aus dem Neukölln entstanden ist - und dort bekommt man sämtliche Kaffeetrendgetränke, aber auch veganes Essen, ganz wie es sich in einem Berliner Szenegebiet gehört.

Neukölln ist ein Stadtteil im stetigen Wandel, ein kultureller und sozioökonomischer Schmelztiegel. Wer sich durch Neukölln bewegt, durchläuft alle gesellschaftlichen Schichten Berlins. Das Viertel ist stark türkisch und arabisch geprägt, vor allem die drei großen Straßen Sonnenallee, Karl-Marx-Straße und Hermannstraße, die von Nord nach Süd führen und den Bezirk strukturieren. Das besondere Flair zieht mittlerweile viele Berlin-Touristen an.

Das beste arabische Essen finden sie auf der Sonnenallee, die auch «arabische Straße» genannt wird. Wer sie entlanggeht, sieht viele junge Männer im Gehen und Stehen essen. Oft ist gar kein Platz in den beliebten Lokalen. Den besten Hummus gibt es nach Ansicht vieler Neuköllner im «Azzam», dessen Besitzer Palästinenser ist. Ein weiterer Klassiker ist das libanesische Restaurant «Al Andalos».

Zurück zum Plaza. Hier begegnet man dem Neuköllner Personal in seiner ganzen Vielfalt. Internationale Studenten, junge Unternehmer und Airbnb-Partytouristen, die sich gleich für ein paar Monate zum Feiern eingemietet haben. Gleichzeitig sieht man viele Obdachlose. Die meisten türkischen Restaurants gibt es auf der Karl-Marx-Straße, die am Plaza vorbeiführt und südlich davon nur noch einspurig ist. Das Projekt, das sich für die Entschleunigung und Aufwertung des Viertels verantwortlich zeigt, nennt sich «Aktion Karl-Marx-Straße». Dass es jetzt den Plaza gibt, ist ebenfalls ihr zu verdanken.

Keine Frage, dieser Ort ist hässlich und komplett zusammengewürfelt. Von der kaputten Oberfläche sollte man sich aber nicht täuschen lassen. Hier und in unmittelbarer Nähe des Plazas findet man auch jenes Neukölln, dessen Dichte an Cafés und Bars kaum noch steigerbar scheint und das zum internationalen und nationalen Sehnsuchtsort junger Menschen geworden ist - obwohl die Mieten in den vergangenen Jahren stark gestiegen und der Wohnraum knapp geworden ist.

Für junge Deutsche mag der Kiez teuer wirken. Fragt man dagegen den jungen amerikanischen Kunststudenten, der nur New Yorker Preise kennt, wird einem dieser junge Mensch erklären, an was für einem unglaublichen Ort man sich doch gerade befinde.

Ein guter Startpunkt, um dieses kosmopolitische Neukölln zu entdecken, ist der Plaza allemal. Von hier aus läuft man den Rollberg hinauf in den Schillerkiez, der neben den vielen netten Cafés vor allem einen großen Vorteil hat: das Tempelhofer Flugfeld.

Besonders im Sommer lässt es sich hier gut aushalten, da ist der ehemalige, 350 Hektar große Flugplatz voll mit jungen Menschen. Ebenfalls auf dem Rollberg befindet sich in einer ehemaligen Brauerei das «SchwuZ», Neuköllns größter Schwulenclub.

In der anderen Richtung geht es vom Plaza aus nach Rixdorf. Das Viertel ist mit seinen niedlichen Fachwerkhäusern eine unerwartete Idylle und Gegenpol zur lauten Karl-Marx-Straße.

Am Fuß der Richardstraße befindet sich, tagsüber kaum zu erkennen, die Bar «Velvet». Geht man hinein, fällt man ein wenig aus Zeit und Raum, fast mit Handschlag wird man hier begrüßt. Das Besondere an der Bar: Drinks werden aus lokalen Ingredienzien gemacht. Ein Klassiker des «Velvet» ist zum Beispiel der «Prinzessinnengärten Smash», ein Getränk mit Kräutern aus dem urbanen Berliner Prinzessinengarten. Etwas weiter die Richardstraße hinunter gibt es die Bar «Alter Roter Löwe Rein», die aber nur «Roter Löwe» genannt wird, ein Treffpunkt der jungen Berliner Literaturszene.

Bars en masse finden sich aber vor allem in Kreuzkölln, dem Kiez, der nördlich der Sonnenallee liegt. Das Bier ist hier meistens nicht besonders teuer, außerdem darf man in sehr vielen Bars rauchen. Am verrauchtesten ist es wahrscheinlich in der Bar «Das Gift». In dieser sogenannten Expat-Bar wird fast ausschließlich Englisch gesprochen. Die Bar gehört einem Mitglied der schottischen Band Mogwai und war kürzlich im Pay-TV-Sender TNT Serie in der Serie «4 Blocks» zu sehen, die im Drogen-Milieu Neuköllns angesiedelt ist.

Besonders am Wochenende platzen viele dieser Bars aus allen Nähten. Vor der Bar «TiER» gibt es deswegen eine Ampel, die anzeigt, wie voll es drinnen ist. Freitags und samstags steht sie fast immer auf Rot. dpa

Und wer nach der Party extrem lässig essen will, der geht natürlich in die neue Speisekneipe TISK zu Müller & Mulack (Foto oben).

Reise nach Berlin-Neukölln

Anreise: Der Alfred-Scholz-Platz in Neukölln liegt zwischen den U-Bahn-Stationen Rathaus Neukölln und Karl-Marx-Straße der Linie U7. Die Station Hermannplatz ist auch an die Linie U8 angebunden, die zum Beispiel auch am Alexanderplatz hält.

Mehr Infos: Visit Berlin, Tel.: 030/25 00 23 33, visitberlin.de