Surfen im Süden Portugals

Von Jonas Brunnert

Es ist 05.45 Uhr, über der Steilküste von Carrapateira kriecht langsam die Sonne empor. Auf dem Wasser spiegeln sich schon die ersten Sonnenstrahlen, der Strand liegt noch völlig im Dunkeln. Man hört, wie sich nach und nach die Reißverschlüsse einiger Zelte öffnen. Weiter weg schlägt die Tür eines VW-Busses zu. Nach und nach tauchen dunkle Gestalten mit schwarzen Ganzkörperanzügen vor der Brandung auf. Minuten später gleiten fünf Wellenreiter auf ihren Brettern liegend ins Meer hinaus. Im Süden der portugiesischen Atlantikküste beginnt ein weiterer Tag im Rhythmus des Surfens.

Das Städtchen Carrapateira wurde im 12. Jahrhundert an der Algarve im Südwesten Portugals gegründet. In der Nähe liegt Sagres, der westlichste Punkt des europäischen Festlandes. Von Carrapateira aus jagten Walfänger früher ihre Beute. Die Surfer interessiert das eher weniger. Sie sind allein wegen der Wellen hier.

Die Bedingungen an diesem Morgen sind perfekt. Es ist Ebbe, und der Wind weht leicht aufs Meer hinaus, Offshore nennen Surfer das. Immer wieder vollführen sie das gleiche Prozedere: Die Welle anpaddeln, sich vom Brett abstoßen, aufspringen, um dann die Welle entlang zu gleiten, im guten Fall mehr als 100 Meter weit. Einige der Surfer schneiden Kurven wie Snowboarder ins Meer oder springen über den Kamm der Welle hinaus wie Skateboarder in der Halfpipe.

Nach etwa zwei Stunden gleiten sie erschöpft wieder aus dem Wasser. Am Strand von Carrapateira haben es sich derweil die ersten Badeurlauber gemütlich gemacht. Die Surfer dagegen machen jetzt erst mal Frühstück. Zelte werden eingepackt, Motoren springen an, Autos fahren weg. Gegen Abend werden sie wiederkommen.

In Sagres treffen sich die Wellenreiter in den kleinen Cafés zu «meia de leite», Milchkaffee, und portugiesischem Croissant. Nach dem Frühstück gönnen sich viele, müde vom frühmorgendlichen Surfen, einen Vormittagsschlaf.

Dillan hockt sich zuvor in ein Internetcafé und sieht sich die Wellenvorhersage für die nächsten Tage an. Beim Surfen spielen viele Faktoren eine Rolle. Der Wind muss richtig stehen, Ebbe und Flut können je nach Strand verschiedene Wellen erzeugen. Und der Swell darf nicht zu groß und nicht zu klein sein. Swell heißt, einfach gesagt, die Welle, die weit draußen auf dem Meer durch starken Wind entsteht, um sich später vor dem Strand zu brechen.

Dillan macht kein glückliches Gesicht. Der Swell ist in den nächsten Tagen zwar groß genug, der Wind spielt leider aber nicht mit. Die Wellen werden nicht zu surfen sein. Ein Risiko, das jeder Surfer kennt und fürchtet. Dann sieht man tagelang alte VW-Busse vor verregneten und windigen Stränden stehen. Davor liegen leere Weinflaschen, in den Bussen wird Backgammon gespielt, aus den offenen Fenstern quellen dichte Rauchwolken. Vereinzelt sitzen Surfer dick eingepackt am Strand. Sie schauen sich die Wellen an und versinken in Melancholie.

Für Anfänger spielen schlechte Verhältnisse keine große Rolle. Viele Surfschulen bieten auch Kurse an Tagen an, die nicht perfekt sind. Anfangs ist man ohnehin damit beschäftigt, paddeln zu lernen und auf dem Brett aufzustehen. Das kann schon mal ein paar Tage dauern. Auch rund um Sagres gibt es viele Surfschulen und Surfcamps. Nördlich der Stadt gibt es zahlreiche gute Surfstrände.

Doch heute steht der Wind noch gut. Es ist später Nachmittag, die Gestalten in den engen, schwarzen Neoprenanzügen gleiten zurück ins Wasser. Die Neoprenanzüge schützen sie vor dem kalten Meer, der Golfstrom wirkt hier nicht so stark wie zum Beispiel in Frankreich. Draußen auf dem Meer beginnt das Ringen mit den Wellen von Neuem. Anpaddeln, aufspringen, die Welle abreiten.

Am Strand steht Afri, ein Surfer aus Deutschland. Er reibt sein Board mit Wachs ein, um später beim Aufstehen nicht abzurutschen. Er sagt, für ihn bedeute Surfen, komplett abschalten zu können. Er werde frei von jeglichen Sorgen und versinke im Augenblick. Die Welle zu reiten, sei paradoxer Weise ein Harmonie- und Siegesgefühl zugleich. Das Einswerden mit der Natur und das Beherrschen.

Nun läuft auch Afri ins Wasser. Nach einigen Paddelzügen auf dem Brett ist er bei den anderen Surfern hinter dem Wellenkamm angelangt. Nacheinander surft jeder seine Welle. Es sieht beeindruckend aus, wie leicht die Männer und Frauen sich mit dem Brett drehen, das Wasser spritzt hoch in die Luft.

Ab und an verliert einer den Kampf mit der Welle und wird unter ihr begraben, gewaschen, wie die Surfer sagen. Nach wenigen Sekunden taucht er wieder auf, klettert auf sein Brett und paddelt wieder hinaus zu den anderen, um schnell die nächste Welle zu reiten. Das Gefühl, von der Welle mitgenommen zu werden und auf ihr zu spielen, würde in Worte verpackt eher banal rüberkommen, erzählt Afri später.

Von der Steilküste aus bestaunen ein paar Zuschauer die Surfer. Sie trinken portugiesischen Wein und Bier, das direkt in Sagres gebraut wird. Vor ihnen geht im Meer langsam die Sonne unter. Die Surfer werden im Wasser bleiben, bis es dunkel ist. Denn schon Morgen werden die Wellen nicht mehr gut sein. Dann heißt es wieder Wein trinken, Backgammon spielen, in Melancholie versinken - und vor allem warten. dpa