Tim Raue in seinem Berliner Restaurant

Von Haiko Prengel

Luxus kann so schön sein. Mit leuchtenden Augen doziert Tim Raue über die Vorzüge von Marella-Garnelen. Die exotischen Shrimps eröffnen diesmal das Tagesmenü in seinem Berliner Edelrestaurant «Tim Raue» am Checkpoint Charlie. Raues Gäste schaun ehrfürchtig auf ihre fein drapierten Teller.

Die Vergangenheit von Sternekoch Raue ist in solchen Momenten weit weg: Immerhin wuchs der 37-Jährige in den dreckigsten Ecken Kreuzbergs auf, war Mitglied in der Jugendgang 36Boys und hing vor Kneipen ab. Man nahm Drogen oder zog «Leuten die Jacken ab», wie Raue sagt. In seinem Buch «Ich weiß, was Hunger ist» beschreibt er nun, wie ihm der große Aufstieg in die Gastronomie-Elite gelang. «Von der Straßengang in die Sterneküche» lautet der Untertitel der knapp 300 Seiten langen Autobiografie.

Darin beschreibt Raue den harten Alltag als Berliner «Ghettokind». Gerade drei Jahre alt war er, als sich seine Eltern scheiden ließen. Mal lebte er bei seiner Mutter, mal bei seinem Vater. Das Geld war knapp. «Es gab nur einmal am Tag zu essen», berichtet Raue. Bei den 36Boys fand er dann immerhin Zusammenhalt. Die Truppe machte die Gegend rund um das Kottbusser Tor unsicher - auch Tim Raue prügelte, sprayte, drehte krumme Dinger, wie er bei seiner Buchvorstellung gesteht. «Ich bin aber nicht vorbestraft», betont er laut.

Dass Raue heute in einem Edel-Lokal kocht und bisweilen sogar vor Millionenpublikum im Fernsehen, hat er allein seiner eisernen «Disziplin und Willensstärke» zu verdanken. Oder, wie er im Buch verrät, dem Leitsatz: «Fresse halten und ackern!» Es ist die alte Geschichte vom Kind aus einfachsten Verhältnissen, das es mit Charakter bis ganz nach oben schafft.

Nicht umsonst schwärmt Raue von den USA, dem American Way of Life: Dort gelinge es besser, «talentierten Menschen eine Chance zu geben, ohne Rücksicht auf deren Herkunft», schreibt er. Dort werden immer wieder Tellerwäscher zu Millionären. Und die Menschen bekommen es immer wieder gerne erzählt.

Raue ist Fan der asiatischen Küche, schon während seiner knapp zweijährigen Zeit im «Ma» im Hotel Adlon verwöhnte er seine Gäste mit chinesischen Gerichten. Die fernöstliche Küchenphilosophie setzt er in seinem eigenen, im September 2010 eröffneten Gourmet-Restaurant «Tim Raue» fort: Fisch, Fleisch und Gemüse, keine Beilagen im klassischen Sinn. Dabei experimentiert der 37-Jährige immer wieder mit neuen Kreationen, manchmal etwas zu viel.

Neulich gab es Achillessehne vom Kalb, laut Raue die «beste Sülze», die man bekommen könne. Doch ein Gast, der Vorstandschef eines großen Chemiekonzerns, wies die geleeartige Masse laut zeternd als «Abfall» zurück. Mit klassischer Peking-Ente habe er den Mann dann schnell wieder glücklich gemacht, erzählt Raue vergnügt.

Der Sternekoch wohnt heute nicht mehr in Kreuzberg, sondern in Charlottenburg. Zu einigen von seinen alten Kumpels aus der Gang habe er aber noch regelmäßig Kontakt, sagt er. Etwa zu Muci, der Weltmeister im Kickboxen wurde. Ein anderer arbeite heute als Regisseur und drehe Filme für 3Sat und Arte. Manche frühere Weggefährten hätten es aber nicht aus der Gosse heraus geschafft, ergänzt Raue wehmütig. dpa