Tourismus & Trends Erlebnisse mit Einheimischen

Von Philipp Laage

Früher galt es als Ausweis von Weltläufigkeit, einmal im Leben die großen Sehenswürdigkeiten gesehen zu haben: Machu Picchu, die Pyramiden, das Taj Mahal. Doch viele exotische Orte der Erde gehören heute zum touristischen Standardprogramm. Und Reisende sind erfahrener: Die Älteren haben nicht selten die halbe Welt gesehen, und viele Jüngere sind an ausgetretenen Pfaden zu den Sightseeing-Highlights nicht mehr interessiert. Was heute verstärkt gewünscht wird, ist die Begegnung mit den einheimischen Menschen.

«Authentizität wird immer wichtiger», sagt Prof. Ulrich Reinhardt von der Stiftung für Zukunftsfragen in Hamburg. «Viele Urlaubsarten sind einfach austauschbar geworden.» Irgendwo gewesen zu sein, zählt nicht mehr viel. Wichtiger ist das unverwechselbare Erlebnis vor Ort, nicht nur bei den Studienreise-Anbietern. Thomas Cook zum Beispiel bewirbt den nachhaltigen Gastbesuch in einem «echten» Maya-Dorf in Mexiko. Ob Kaffeeernte in Puerto Rico, Teetrinken mit Berbern in der Wüste oder Übernachten bei kubanischen Omis: Der Kontakt zu den Menschen zählt, das Gefühl, in die Welt der Einheimischen einzutauchen.

Das Angebot an Reisen mit Erlebnischarakter und Besuchen in lokalen Gemeinschaften habe sich in den letzten Jahren deutlich vergrößert, bestätigt Petra Thomas vom Forum Anders Reisen. Der Trend betreffe nicht nur die nachhaltigen Anbieter, die darum bemüht sind, ihren Reisenden möglichst vielfältige Einblicke in den Lebensalltag der Menschen des Gastlandes zu bieten, sondern auch die größeren Veranstalter. «Der Reisende ist zunehmend auf der Suche nach Eindrücken, die er aktiv erleben kann und nicht nur durch Vermittler erzählt bekommt.» Probieren geht über studieren, das ist das Motto.

«Es geht dabei um die Idee, etwas zu erleben, das nicht wiederholbar ist», glaubt Peter Wippermann vom Trendbüro Hamburg. Begegnungen mit Menschen aus dem Land sind eine Möglichkeit, sich von der Masse abzusetzen: «Man ist als Tourist unterwegs, aber will auf keinen Fall so aussehen», erklärt der Forscher.

Diesen Eindruck bestätigt Holger Baldus, Geschäftsführer von Marco Polo: «Niemand will mehr als Massentourist gelten, das ist ein No-Go. Unseren Gästen ist das sehr wichtig.» Der Urlauber wolle nach Hause kommen und nicht vom Hotel erzählen, sondern darüber, wie er bei der kubanischen Familie in der Küche saß. «Solche Erlebnisse schafft keine Standardtour.» Das Reiserlebnis wird so zum Statusfaktor.

In den meisten Fällen sind die Aktivitäten mit den Menschen vor Ort vergleichsweise harmlose Annäherungen: «Genauso zu essen wie ein Einheimischer, das kommt super an», erzählt Baldus. Auf einer Indien-Rundreise säßen Urlauber zum Beispiel in Old Dehli auf Plastikschemeln und probierten aus der lokalen Straßenküche - niemand steigt zum Baden in den Ganges.

Auch Transportmittel wie die Einheimischen zu nutzen, gehöre zum authentischen Programm dazu, sagt der Touristiker. «Und dass man sich am Ende des Tages ins Hotel zurückzieht, ist auch vorbei.» Eines der erfolgreichsten Angebote sei die Rundreise durch Kuba, bei der die Urlauber in sogenannten «Casas particulares», also privaten Etagenhäusern übernachten.

Natürlich handelt es sich bei solchen Begegnungen auf organisierten Reisen vor allem um eine Inszenierung von Authentizität. «Das ist es ohne Frage», findet Prof. Reinhardt. «Und es ist okay, dass solche Begegnungen inszeniert sind.» Die ungeschönte Lebenswirklichkeit der Menschen zu erleben, könne schließlich enttäuschend sein. Wichtig ist eher, dass die Begegnungen möglichst auf Augenhöhe stattfinden.

Petra Thomas zählt Faktoren auf, die dafür wichtig sind: Die Planung des Treffens muss sorgfältig sein, der Gastgeber schon in der Entwicklungsphase des Programms einbezogen werden. Die gegenseitigen Erwartungen müssen bekannt sein. «Und natürlich sollte der Gastgeber fair entlohnt werden und wirtschaftlich an der Umsetzung der Reise partizipieren.» Beim Reisenden sei das Wohlbefinden vor Ort die wichtigste Voraussetzung. Kulturelle Verhaltenstipps seien wichtig.

«Solche Reisen funktionieren nur in kleinen Gruppen», sagt Holger Baldus. «Wenn da eine ganze Meute einfällt, geht das gar nicht.» Dann sei die Situation nicht mehr authentisch. Bei Marco Polo sieht man für die kommenden Jahre weiteres Potenzial für Touren mit Erlebnis- und Kennenlerncharakter, vor allem im Rundreise-Segment. «Das hätten wir uns vor fünf Jahren nicht vorstellen können.»

Die Begeisterung der etablierten Reiseindustrie für die neue Form des Reisens ist auch durch die Konkurrenz getrieben. Portale wie Airbnb, die Privatunterkünfte vermitteln, setzen bewusst auf den Kontakt mit ganz normalen Menschen. «Wir versuchen, auf die Airbnb-Zeiten zu reagieren», gibt auch Baldus zu.

Auf Individualreisen gehört es oft zum guten Stil, möglichst wie die sogenannten «Locals», also die lokale Bevölkerung zu reisen. Die Webseite www.likealocalguide.com zum Beispiel sammelt nur Reisetipps von Menschen, die in einer Stadt wirklich wohnen: So erzählen James, Annika oder Clemens aus Berlin, welche Cafés und Bars gerade besonders angesagt sind. Nach dem gleichen Prinzip funktioniert die Seite www.spottedbylocals.com - bisher gibt es Empfehlungen für 58 Städte. Und www.tripbod.com wirbt damit, «Freunde am anderen Ende der Welt» zu finden, mit denen man versteckte Orte erkunden kann.

Für viele Traveller ohne Veranstalter ist landestypisches Essen, Fortbewegen und Übernachten kein Prestige-Erlebnis, das im Rahmen einer 3000-Euro-Rundreise eingebaut wird - es hilft schlicht, Geld zu sparen. Das ging auch Morten Hübbe so, der mehr als zwei Jahre durch Südamerika reiste. Der Reiseblogger hat jede Menge Tipps, wie man möglichst schnell in die Kultur eines Landes eintauchen kann.

So empfiehlt er Reisenden, per Anhalter zu fahren: «Manchmal wird man von der Straße weg zu Familienfesten eingeladen, zum Essen oder zum Tee gewunken oder bekommt eine Übernachtungsmöglichkeit angeboten.» Essen sollte man dort, wo Einheimische speisen, rät Hübbe. «Statt internationaler Küche bekomme ich lokale Spezialitäten und interessierte Tischnachbarn.»

Prädestiniert für eine authentische Begegnung sind Übernachtungen als Couchsurfer: «Tipps, Tricks und Hinweise zu Land und Leuten bekomme ich so beinahe automatisch.» Das muss man sich aber erst einmal trauen. Die inszenierte Begegnung auf einer Veranstalterreise ist da der sanftere Weg. dpa