Frau Bader, Weinausbau in den kleinen Eichenfässern, den Barriques, ist in Deutschland schon eine Selbstverständlichkeit in den meisten Kellern. Die traditionellen großen Holzfässer sind wieder beliebt. Aber es gibt neue Gebinde, die auf das Interesse von Weinerzeugern stoßen, ebenso neue oder wiederbelebte Varianten des Ausbaus. Da stellt sich die Frage, ob der Weinbau gerade neu erfunden wird?
In der Tat ist einiges im Gang. Die Winzer sind neugierig, experimentierfreudig. Das kann zu ungewohnten Weinstilistiken führen. Aber nicht alles kann man gutheißen.
Ein besonders häufig gebrauchtes Wort in der Weinszene ist Spontangärung. Was ist darunter zu verstehen?
Das bedeutet eigentlich, dass für die Vergärung keinerlei Reinzuchthefe verwendet wird und man damit dem früher üblichen Gesetz der Natur folgt, als es noch keine Zuchthefen gab und die Hefen, die von draußen mit hereinkamen, die Gärung in Gang setzten. Aber wer vorher mit Reinzuchthefen arbeitete, hat diese im Keller und sie werden mit den Naturhefen wirksam. Eine richtige Spontangärung, auch «Sponti» genannt, kann eigentlich nur in einem neuen Keller funktionieren. Ich kenne Beispiele, in denen in einem Neubau der Wein nicht in die Gärung kommen wollte. Da hat man Gerätschaften aus dem alten Keller eingesetzt und plötzlich funktionierte es.
Mit anderen Worten, eine echte Spontangärung gibt es eigentlich gar nicht?
Sofern bereits mit Reinzuchthefen gearbeitet wurde, ist das richtig. Aber Weine, bei denen auf den Zusatz dieser Hefe verzichtet wird, entwickeln sich in der Regel dennoch anders.
Merkt man das mehr am Geschmack oder am Aroma?
Vor allem am Aroma. Der typische, wild anmutende Duft, der oft an den Weinfehler Böckser denken lässt, entsteht während der Angärphase. In der weiteren Entwicklung kann es passieren, dass der Wein nicht durchgärt, weil es natürliche Hefestämme gibt, die bei steigendem Alkoholgehalt schwach werden. Es gibt tolle Sponti-Aromen, aber auch missglückte.
Was muss der Kellermeister, der eine Spontangärung machen will, vor allem beachten?
Das Traubenmaterial muss gesund und reif sein. Die Säure im Wein, hier gemessen als pH-Wert, sollte unter 3,2 liegen. Normalerweise hat der Wein einen pH-Wert zwischen 2,8 und 3,8. Letzterer Wert würde eine niedrige Säure bedeuten und die Gefahr einer Fehlgärung erhöhen. Wichtig ist außerdem, dass der Most spundvoll eingelagert und während der Gärung täglich kontrolliert wird.
Neuerdings arbeiten einige Erzeuger sogar mit Betoneiern. Was ist davon zu halten?
Das Ei soll die Klärung positiv beeinflussen, die Form, die dem goldenen Schnitt folgt, ermöglicht eine optimale Zirkulation. Der Wein entwickelt sich ohne Holzeinfluss. Gasaustausch ist möglich, weil Beton kein absolut dichter Werkstoff ist. Die Anwender wollen individuelle, charaktervolle Weine erzeugen, mineralisch, klar strukturiert. Ob Inhaltsstoffe aus dem Beton gelöst werden, ist strittig. Sicher ist, dass die Säure den Beton angreift, was besonders bei Weißweinen problematisch werden kann. Weil der Wein durch diesen Ausbau eine ungewöhnliche Geschichte hat, ist das Ei auch ein Vermarktungsinstrument.
Amphoren, traditionelle Gefäße für den Ausbau in Georgien, wo sie Quevri genannt werden, finden auch vereinzelt in Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern Interesse bei Winzern. Lässt sich das so einfach vom Kaukasus übertragen?
Es wird zumindest versucht, aber in unterschiedlichen Varianten. Bei der traditionellen Methode befinden sich die Amphoren in der Erde. Man spricht gern von einer Kommunikation des Weines mit der Erde. Deshalb haben ein paar waghalsige Winzer im Ausland sogar schon Holzfässer vergraben, damit der Inhalt Schwingungen aufnehmen kann. In den Amphoren wird der Wein auf der Maische vergoren. Danach bleiben sie einige Monate geschlossen, ehe der Wein abgezogen wird und im Fass oder Tank weiterreift. Gefäße, die dicker sind, können wie die Betoneier auch im Keller stehen. Die Weinqualität kann schon mal fragwürdig sein.
Oft im Zusammenhang mit Amphoren wird neuerdings vom Orange-Wein gesprochen
Da gibt es tatsächlich so einen Trend, wobei viele nicht wissen, was man darunter eigentlich versteht. Propagiert wird, dass man gar nichts oder extrem wenig am Wein macht und nichts zusetzt, nicht mal Sulfite. Unter anderem dadurch werden die Weine hochfarbig wie eine Orange oder sogar bräunlich. Angewendet wird auch der Begriff Naturwein. Aber das adelt diese Weine nicht unbedingt. Ebenfalls in diese Kategorie fallen die Weißweine, die wie Rotwein auf der Maische vergoren wurden.
Das Ergebnis ist bekannt, die Bitterstoffe solcher Weine sind meist extrem. Aber Winzer reden von neuen Geschmacksdimensionen. Verständlich für Sie?
Nur sehr bedingt. Es ist eine trendige Spielart, mit der man ins Gespräch kommen kann und die durchaus dichte, individuelle Weißweine erbringen kann, die mehr Lagerpotenzial haben. Ohne Sulfite geht hier nichts. Und man muss schon einige Frösche küssen, um einen Prinzen zu bekommen.
Als Barriques vor rund 30 Jahren erstmals in deutschen Kellern verwendet wurden, gab es zunächst ebenfalls viele Probleme mit überholzten, für diesen Ausbau oft zu dünnen, schlichten Weinen. Inzwischen sind sie Normalität und die Weine oft ausgezeichnet. Gibt es hier Trends?
Der deutliche Holzeinfluss wurde reduziert zu Gunsten der Komplexität und Finesse. Die Herausarbeitung von Mineralität bei Rotweinen hat an Bedeutung gewonnen. Kühle Noten werden angestrebt, unter anderem auch deshalb, weil man inzwischen erkannt hat, dass zu dichte und zu stark vom Holz beeinfl usste Weine schnell satt machen und die Trinkfreude leidet.
«Mineralisch» ist häufig bei Weinbeschreibungen zu finden, ebenso «salzig». Was bedeutet das aus Sicht der Fachfrau?
Mineralität ist ein sensorischer Eindruck von Noten nach Kreide, Stein oder Erde, Jod, Graphit, Feuerstein. Sand und Kreide riechen im feuchten Zustand, Gips riecht beim Anrühren. Daher dieser Vergleich. Der Begriff steht aber nicht zwangsläufig im direkten Zusammenhang mit dem Mineralgehalt des Bodens. Salzigkeit ist für mich gewissermaßen eine Weiterentwicklung der Mineralität. Sie ist durchaus spürbar auf der Zunge. Hier werden süß, sauer, salzig und bitter sowie, ein noch junger Begriff, umami für die Würze registriert. Wenn man bei einer Verkostung mit geschlossener Nase arbeitet, kommt man ihr am besten auf die Spur. Häufig ist Salzigkeit bei Riesling und Chardonnay, die auf kalkhaltigen Böden oder auf Schiefer gewachsen sind. Bei Weinproben habe ich manchmal den Eindruck, dass manche Leute sich selbst unter Zugzwang setzen, um scheinbare Salzigkeit zu erkennen – eine Modesache.
Wir sprachen über Erdschwingungen beim Wein. Immer wieder wird auch berichtet, dass der Einsatz von Musik im Weinberg oder Keller etwas bewirken kann. Ist da was dran?
Behauptet wird es. In Chile werden zum Beispiel Weine gregorianischen Gesängen ausgesetzt, in Betrieben in Europa war schon Mozart im Einsatz. Einige österreichische Betriebe lassen Weine im Tank bei der Vergärung mit Musik beschallen. Die Hefen sollen dadurch aktiver sein, die Ergebnisse nach Versicherung des Erfinders dadurch besser und bekömmlicher werden. Für mich geht das etwas in die esoterische Richtung. Aber ich verdamme es nicht, wenn sich jemand dabei wohl fühlt.
Hat Ihnen in Ihrer beruflichen Laufbahn mal ein Wein einen besonderen Streich gespielt, der auf äußere Einflüsse zurückzuführen war?
Oh ja. Während meiner Zeit als Kellermeisterin bei der Weingärtner-Zentralgenossenschaft in Möglingen gab es einen Tank, der im Vergleich mit den Gebinden daneben immer wieder gezickt hat. Bis wir darauf kamen, dass er vom Lüftungsschacht dahinter irgendwie beeinflusst wurde.
(Interview: Rudolf Knoll - Weinkulturmagazin Württemberger)
Zur Person:
Ute Bader (44) wurde in einem renommierten Weingut in Württemberg ausgebildet, studierte Weinbau und Önologie in Geisenheim, arbeitete dann im elterlichen Betrieb mit, war danach über sieben Jahre bei der Weingärtner-Zentralgenossenschaft (WZG) in Möglingen Kellermeisterin mit Verantwortung für Großgebinde und ist seit Februar 2010 Wein-Fachberaterin des Baden- Württembergischen Genossenschaftsverbandes. Nebenbei betreibt sie mit ihrem Lebensgefährten einen Besen in Heilbronn, dazu Viehwirtschaft mit Angusrindern und Weinbau (Mitglied der Heuchelberg Weingärtner).