Es ist das vielleicht eigenwilligste Nachbarschaftsprojekt Berlins. Dort, wo die wahre Mitte der Hauptstadt liegt, in der Potsdamer Straße, betreibt Fiona Bennett, Hut-Künstlerin, seit 2012 mit ihrem Geschäftspartner Hans-Joachim Böhme einen Laden, der mehr als ein Geschäft ist und weltweit Beachtung findet. Die Hüte balancieren auf Ständern, schweben in der Wand, die Menschen recken die Hälse vor den Fenstern und wollen den Blick nicht wenden von der Schau-Werkstatt, in der die Wunderwerke entstehen. Brad Pitt und Yoko Ono tragen Bennetts Modelle, die FAZ umschwärmt ihre "Kreationen von fast unwirklicher Schönheit".
Gegenüber logiert seit einem Vierteljahrhundert das Berliner Varieté-Theater "Wintergarten". Altehrwürdige Räumlichkeiten, Akrobatik, Artisten, Musik. Es war dort Zeit für ein neues Kunststück. Ein eigener Kosmos in einem Neubau im Untergeschoß sollte entstehen, Sanitärräume, wie sie die Stadt noch nicht gesehen hatte. Hans-Joachim Böhme sagt: "Vielleicht war es gerade die Absurdität der Aufgabe, die uns gereizt hat. Wir wollten die schönsten Toiletten der Welt bauen."
Die schlichten Vorgaben: 270 Quadratmeter Fläche, unterirdisch im Innenhof neu entstanden, 12 Kabinen für Damen, 4 für Herren, 2 Barrierefreie, 5 Pissoirs. Doch die Geister des Kreativ-Duos Bennett und Böhme waren geweckt, die Stichworte sprudelten: Vexierbilder und Irritation, Federflug in Spiegelrahmen, Männerwald und Schattenrisse, Erlebnisse im unberechenbaren Raum. Hinter allem die Herausforderung, so Fiona Bennett, einen "Funktionsort mit Grazie und Poesie zu bespielen". Sterile Fliesen und kühles Design sind der Standard, den sie nicht erfüllen wollten. Der Ort gab die Thematik vor: ein Varieté, eine Traumwelt voller Magie.
Eine weit geschwungene Treppe führt aus dem Foyer hinab in die neu gestaltete Unterwelt. Ein funkelndes Mosaik zieht auf dem Boden des Vorraums seine Kreise, drei Tonnen Mosaiksteine mit Gold hinterlegt. Die runde Form findet ihren Widerschein an der organisch geformten Decke, über den Köpfen schweben irisierende Glaskugeln wie Seifenblasen. Wer es nicht eilig hat, lässt sich darunter auf roten Samtsitzen nieder. Die Damen treten von dort zur Rechten ein in ihr Reich: ein großzügiger Puderraum in zartem Pastell, das Wasser fließt aus kupfernen Hähnen, und wer vor den Spiegel tritt, sieht sein Gesicht von zarten Federn umspielt. Mit viel eigensinniger Forschungsarbeit und konstruktionsbegabten Partnern haben Fiona Bennett und Hans-Joachim Böhme diese Spiegelobjekte entwickelt. Die Mitte des Raums gehört einer Schminksäule, von kupfernen Blättern gekrönt wächst sie in die Höhe wie ein Baum. Zwischen Wänden mit Faltenwurf, gleich einem erstarrten Vorhang, setzt sich der Weg zu den Kabinen fort und verliert sich in einem endlosen Spiegelgang. An den Türen leuchten Sterne, im Inneren der Kabinen zerlaufen bunte Glitzerkugeln in den Ecken. Die Damen werden diesen Ort mit einem beseelten Lächeln verlassen.
Die Herren betreten gegenüber ihre eigene Welt. Monochrom blaue Wände, handgegossene Bronzewaschbecken, so gewichtig, dass Hercules sie nicht stemmen könnte, und doch balancieren sie gleichsam schwebend auf einem tropfenförmigen Fuß. Die Besucher verlieren sich im Schattenspiel, das die Räume trennt. Monstera Deliciosa heißt die Pflanze, die Vorbild war für riesige, kobaltblau verspiegelte Blätter, die aus dem Boden wuchern und ihre Umrisse an die Wände werfen. Ein mysteriöser Wald, ein geheimer Ort, die Verheißung eines Verstecks für jeden. Hätten sie es jemals nötig, würden die Herren hier sogar freiwillig Schlange stehen.
Obwohl jeder Raum einzigartig ist, bleibt das Design in sich stimmig, ist opulent, aufregend, verführerisch. Hochwertige Materialien und keine Massenware zu verwenden, ist der Anspruch, mit dem die Traumwelt gebaut ist. Fantastische, eigenwillige Ideen in Formen und Konstruktionen zu übersetzen, die ihresgleichen suchen, war die Aufgabe, die sich Fiona Bennett und Hans-Joachim Böhme gestellt hatten. Die Raumgestaltung der Unterwelt des Wintergartens ist Maß- und in vielen Fällen Handarbeit. Die Bronzewaschbecken der Herrenräume wurden in England gegossen, die spiegelnden Blätter nach eigenen Zeichnungen geformt, die irisierenden Seifenblasen in einer deutschen Manufaktur mundgeblasen, die Bodenmosaike in italienischer Tradition gebrochen und von Hand gesetzt, die Türgriffe von einem der letzten deutschen Feinschmiede gefertigt.
Der Gestaltungsprozess war eine Herausforderung, der sie mit größter Aufmerksamkeit für jedes noch so kleine Detail begegnet sind, die Pionierarbeit war gewaltig. Fast vergessene Gewerke mussten gesucht und gefunden werden, um Einzelstücke anzufertigen, die nicht nur ein gutes Bild abgeben, sondern allen praktischen Auflagen genügen. Eine Baustelle ist kein Ort für Träumer. Sollte man meinen. Aber wer hätte gedacht, dass man jemals einen Sanitärraum betritt und denkt: Ich bin auf der schönsten Toilette der Welt.