Weihnachtsmärkte eröffnen Beginnen Weihnachtsmärkte zu früh?

Von Gregor Tholl

In den meisten Städten eröffnen die Weihnachtsmärkte erst nach Totensonntag. So geht es am Montag (26. November) beispielsweise in Frankfurt, Berlin, Potsdam, Hamburg, Bielefeld, Lübeck oder auch am Kölner Dom los mit Glühwein und Co. In München am Marienplatz startet der Budenzauber einen Tag später, ebenso in Erfurt (27. November). Im Laufe der nächsten Woche kommen dann viele berühmte Weihnachtsmärkte hinzu, etwa in Stuttgart, Dresden, Hannover und Mainz. Der Nürnberger Christkindlesmarkt beginnt sogar erst Ende nächster Woche (30. November).

Schon seit diesem Donnerstag aber sind zum Beispiel in Freiburg, Bochum und Dortmund die Weihnachtsmärkte am Start.

Auch in der größten Stadt der Schweiz, in Zürich, ist es bereits seit Donnerstag am Hauptbahnhof und vor dem Opernhaus soweit ("Wienachtsdorf am Bellevue").

Noch früher, nämlich mehr als zwei Wochen vor dem 1. Advent, schon am 16. November, ging es in Essen los - so früh wie noch nie.

Das führt auch zu Kritik. Ulrich Lota, Pressesprecher des Bistums Essen, sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Wir wollen gar nicht die Spielverderber sein, die sich alle Jahre wieder gegen zu frühe Weihnachtsmärkte aussprechen." Die Märkte seien heute vor allem Marketinginstrument, um Menschen in die City zu locken. "Uns als gläubigen Christen ist es wichtig, bei all der Markttreiberei darauf hinzuweisen, dass Weihnachten nicht irgendeine kulturelle Lichtfeier am Jahresende ist, sondern das Fest der Geburt Jesu."

Frankfurter Weihnachtsmarkt © visitfrankfurt / Holger Ullmann

Lota erläuterte: "Ich habe auch den Eindruck, dass viele das spüren, dass es im November, einem Monat, der von der Erinnerung an die Toten geprägt ist, mit Tagen wie Allerheiligen, Volkstrauertag und Totensonntag, für Weihnachtsfeiern noch viel zu früh ist. Gut besucht kommen mir sehr frühe Adventsmärkte jedenfalls nicht vor." Alles habe seine Zeit und das Leben sei nicht 365 Tage im Jahr Party.

"Alles hat seine Zeit", sagt auch Andreas Duderstedt, Pressesprecher der Evangelischen Kirche von Westfalen. "Die Vorfreude auf das Besondere, das regelmäßig wiederkehrt, der Unterschied zwischen Alltag und Festtag, Arbeit und Entspannung, fröhlichem Feiern und stillem Gedenken - das ist wohltuend für alle." Diesem Grundgedanken folge auch das Kirchenjahr. "Wenn die Adventszeit immer mehr ausgeweitet wird, verliert sie das Besondere. Sie wird alltäglich."

Die Ruhrgebietsstadt Essen war übrigens nicht allein mit dem sehr frühen Weihnachtsmarktbeginn. Auch im katholisch geprägten Österreich ging es früh los. So begann der Wiener Weihnachtstraum auf dem Rathausplatz gegenüber vom Burgtheater auch schon am 16. November.

In Klagenfurt in Kärnten gab es ein "Glühweinopening" schon am 8. November, der Christkindlmarkt startete dann am 17. November.

Weihnachtsmarkt_Gendarmenmarkt_©_Scholvien

In Berlin eröffnete die "Winterwelt am Potsdamer Platz" mit Rodelbahn und alpenländischen Hütten schon am 2. November.

Bereits am 18. Oktober, bei spätsommerlichen fast 20 Grad, wurde in Franken das "Bayreuther Winterdorf" eröffnet. Damals hieß es stolz, man sei wieder einmal der erste Weihnachtstreff "in ganz Deutschland und sicher auch in Europa". Noch bis Silvester können Besucher dort verschiedene Glühwein- und Punschsorten probieren.

Reiseziel Weihnachtsmarkt: Erfolgsgeschichte mit Schattenseiten

Von Göran Gehlen

Auswärtige Besucher sind für Weihnachtsmärkte zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden. Reiseunternehmen haben den Trend erkannt und bieten organisierte Ein- und Mehrtagesfahrten zu den beliebtesten Zielen an. Die steigende Nachfrage hat aber auch Nachteile.

Ab Ende November liegen für viele Hessen die wichtigsten Pyramiden nicht mehr im Wüstensand, sondern im Glühweindunst: Dann beginnen vielerorts die Weihnachtsmärkte. Weihnachtspyramiden, Verkaufsstände und andere Attraktionen locken Millionen in die Innenstädte. Die Besucherzahlen steigen, ein regelrechter Weihnachtsmarkt-Tourismus hat sich entwickelt.

Mit dem Reisebus zum Weihnachtmarkt - vor 20 Jahren sei das kaum ein Thema gewesen, sagt Jürgen Fredrich, Geschäftsführer des Reisebüros Fredrich in Lohfelden bei Kassel: "Doch die Nachfrage hat sich unwahrscheinlich entwickelt und ist sprunghaft angestiegen." Heute hat Fredrich zahlreiche Reisen zu vielen Weihnachtsmärkten im Angebot. Die beliebteste Ziele: Erfurt, der Harz, Michelstadt, Dortmund und Münster. Beliebt seien vor allem Tagestrips. Die Kundschaft ist gemischt: Während unter der Woche eher Senioren im Bus sitzen, sei das Publikum am Wochenende jünger.

Auch große Reiseunternehmen setzen auf den Weihnachtsmarkt-Tourismus: "Für Städtereisen ist das ein wichtiges Geschäft in den Monaten von Ende November bis Dezember. Neben dem klassischen Weihnachtsshopping sind Weihnachtsmärkte in der Vorweihnachtszeit einer der Hauptgründe eine Städtereise", erklärt Ulrike Bruns von Dertour-Städtereisen aus Frankfurt.

Die Adventswochenenden würden in klassischen Weihnachtsmarkt-Städten wie Dresden, Nürnberg oder Wien zu Hochsaisonpreisen verkauft. Daher zähle diese Zeit nicht zu den günstigsten Reisezeiten. Gefragt seien bei den Kunden auch Kombinationen - also beispielsweise Weihnachtsmarkt plus Musical-Besuch.

Weihnachtsmärkte sind auch über Grenzen hinweg ein beliebtes Reiseziel: "Diese Tradition lockt mittlerweile nicht nur Deutsche, sondern auch Gäste aus unseren Nachbarländern und sogar aller Welt an", heißt es beim Deutschen Tourismusverband. 85 Millionen Menschen seien im vergangenen Jahr insgesamt auf den über 1500 deutschen Weihnachtsmärkten gewesen.

Den boomenden Weihnachtsmarkt-Tourismus spüren die Städte: Es habe in den vergangenen Jahrzehnten einen Anstieg der ausländischen Gäste und Übernachtungen im Dezember gegeben, erklärt eine Sprecherin der Tourismus+Congress GmbH FRANKFURT. Von den drei Millionen Besuchern seien zuletzt 15 Prozent aus dem Ausland und 20 Prozent aus über 50 Kilometern Entfernung angereist. Im Durchschnitt lasse ein Gast 170 Euro in Frankfurt, direkt auf dem Weihnachtsmarkt gebe er zwölf Euro aus. Der Andrang hat auch Schattenseiten: Die Parkhäuser seien voll, der öffentliche Nahverkehr stärker belastet, es gebe eine höhere Nachfrage nach Busparkplätzen.

"Der KASSELER Märchenweihnachtsmarkt ist seit Jahren ein Besuchermagnet und zieht kontinuierlich rund zwei Millionen Besucher an", sagt ein Sprecher von Kassel Marketing. Bei einer Besucherbefragung 2016 hätten 26 Prozent der Interviewten angegeben, von außerhalb der Region zu kommen. "Der Anteil auswärtiger Besucher schwankt von Jahr zu Jahr, ist aber in den letzten zehn Jahren insgesamt angestiegen." Beim überwiegenden Anteil der Auswärtigen handele es sich um Tagesbesucher. Jedoch sei der Märchenweihnachtsmarkt auch ein wichtiger Anlass für eine Städtereise mit Übernachtung. Zusammen sorgen Übernachtungsgäste und Tagesbesucher für einen touristischen Umsatz von 18 Millionen Euro.

Kleiner, aber bei Touristen sehr beliebt, ist der Weihnachtsmarkt in FULDA: 2017 kamen in vier Wochen insgesamt eine halbe Million Besucher. "Der Anteil an auswärtigen Besuchern beträgt circa 50 Prozent", sagt ein Stadtsprecher. Der Anteil sei deutlich gestiegen, auch weil die Stadt den Markt aufgewertet habe, unter anderem durch einen Mittelaltermarkt. "Die gestiegene touristische Bedeutung des Weihnachtsmarkts lässt sich auch in der Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Stadtführungen während der Monate November und Dezember ablesen: Sie stieg allein von 2016 auf 2017 um 15 Prozent." Von den zusätzlichen Besuchern profitierten alle: Marktbeschicker, Einzelhändler, Gastronomie und Hotellerie.

Während Städte wie Fulda keine negativen Auswirkungen des Booms sehen, hat man im kleinen MICHELSTADT (Odenwaldkreis) mit rund 17 000 Einwohnern schon unschöne Erfahrungen gemacht: Von 130 Reisebussen an einem Tag berichtet ein Stadtsprecher. Je nach Wochenende habe man genau gewusst, aus welchen Regionen die Touristen anrückten. Die Stadt reagierte: Vor fünf bis sechs Jahren habe man den Weihnachtsmarkt von 200 auf 100 Stände verkleinert. Seitdem sei er ruhiger und beschaulicher geworden, die angebotenen Waren hochwertiger. Das habe geholfen und ziehe auch ein anderes Publikum an: "Mallorca-Busse" - also sehr partyfreudige Besucher - sehe man nun selten, erklärt der Stadtsprecher. dpa