Weinbau reagiert auf den Klimawandel Abschied vom Oechsle - hin zur Nachhaltigkeit

Nach drei trockenen Jahren macht den Winzern in diesem Jahr die große Feuchtigkeit zu schaffen. Bei vielen wächst die Sorge, dass die Ausschläge in die eine wie die andere Richtung zunehmend extrem werden. «Der Klimawandel ist eine große Herausforderung», sagt die rheinhessische Winzerin Janine Brüssel in Bechtheim (Kreis Alzey-Worms).

In den heißen und trockenen Jahren von 2018 bis 2020 hatte sie Mühe, die Weine frisch und leicht zu halten. Ein Rotwein habe 2018 im Fass einen Alkoholwert von 16 Prozent erreicht - «das war nur noch brandig und schnapsig» und deswegen nicht zur Flaschenabfüllung geeignet. Seitdem haben die meisten Winzer reagiert: Die Trauben werden möglichst früh gelesen, damit sie nicht zu süß werden. Und eher kühle Lagen, etwa in Seitentälern der Mosel, sind inzwischen heiß begehrt.

Über Jahrhunderte hinweg waren die Winzer in Deutschland froh, wenn die Trauben richtig süß wurden. «In 13 von 23 Jahrgängen vor 1987 ist der Riesling an der Mosel nach heutigen Maßstäben an den meisten Standorten nicht wirklich reif geworden», sagt Edgar Mueller vom Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) in Bad Kreuznach. Mit der Erwärmung von Jahrzehnt zu Jahrzehnt seit den 1990er Jahren sei das kein Thema mehr.

«Inzwischen ist der pH-Wert wichtiger als der Oechsle-Grad», sagt Janine Brüssel. Die Oechsle-Grade zeigen das Mostgewicht des Zuckergehalts und anderer gelöster Stoffe im Traubensaft an. Der pH-Wert für den Säuregrad zeigt an, ob ein Wein sauer schmeckt. Bei pH-Werten über 3,3 gebe es zu wenig Säure für frische Weine, sagt die Winzerin.

Alle Kniffe und handwerklichen Künste in Weinberg und Keller reichen aber auf Dauer wohl nicht aus, um den Weinbau klimawandelresistent zu machen. Deshalb erforscht Reinhard Töpfer 80 Kilometer südlich von Bechtheim am Institut für Rebenzüchtung, wie neue Rebsorten besser mit den Bedingungen der globalen Erwärmung zurechtkommen können. An der Einrichtung des Julius-Kühn-Instituts (JKI), des Bundesforschungsinstituts für Kulturpflanzen, haben Züchter 15 000 Sämlinge von Reben mit unterschiedlicher genetischer Ausstattung im Blick.

Auf dem Geilweilerhof in Siebeldingen (Kreis Südliche Weinstraße) werden diese in vier Zuchtstufen nach ihren besonderen Eigenschaften selektiert. Nur 160 Rebsorten haben es in die Vorprüfung geschafft, sie zeigten positive Eigenschaften wie Resistenz gegenüber Krankheiten oder Klimastress. Aber auch von diesen werden wiederum etliche aussortiert. In der Zwischenprüfung sind zurzeit 25 Zuchtlinien. «Was dann übrig bleibt, sind sehr gute Kandidaten», erklärt Institutsleiter Töpfer.

Nur zwei dieser pilzwiderstandsfähigen Rebsorten, kurz Piwi genannt, befinden sich zurzeit in der Hauptprüfung. Eine von ihnen ist die Rotwein-Sorte mit der Züchtungsnummer Gf.2004-043-0010. Sie wurde schon 2004 gekreuzt, wobei ein Elternteil die ebenfalls auf dem Geilweilerhof entstandene Rebsorte Calandro ist, welche wiederum aus den Rebsorten Regent und Domina entstanden ist. Der andere Elternteil kommt aus einer französischen Zuchtlinie mit einer starken Resistenz unter anderem gegen die Pilzerkrankung des Echten Mehltaus.

Falscher Mehltau (Peronospora) führt zu einem Eintrocknen der Beeren und damit zu einem Ertragsverlust, hat aber im Unterschied zum Echten Mehltau keine Auswirkungen auf die Qualität des Weinmostes. In diesem Jahr grassiere der Falsche Mehltau noch schlimmer als 2016, sagt Töpfer. Aber auch der Echte Mehltau könnte in diesem Jahr noch zum Problem werden, ebenso wie die Grauschimmelfäule (Botrytis).

«Wir haben die Resistenzen beider Eltern-Rebsorten vereinigt, sowohl gegen den Echten als auch gegen den Falschen Mehltau», erklärt Töpfer. Und die Pflanzen von Gf.2004-043-0010 hätten in den vergangenen heißen Jahren so gut wie keinen Sonnenbrand gezeigt. Von dieser Schädigung bei zu starker Sonneneinstrahlung waren in den Jahren 2018 bis 2020 klassische Rebsorten wie der Riesling betroffen.

Um die Anfälligkeit von Rebsorten gegen Sonnenbrand zu testen, hat das Institut eine Laborsimulation entwickelt, bei der Beeren für kurze Zeit in einem Wärmeschrank starker Hitze ausgesetzt werden. Je nach Dicke und Beschaffenheit der Beerenhaut und der Wachsauflage reagieren Rebsorten ganz unterschiedlich auf diesen Stress, dem die Reben mit fortschreitender Klimakrise häufiger ausgesetzt sein werden.

Auf Technik setzen die Züchter auch bei der Bewertung der Zuchtlinien in den Rebreihen. Ein auf dem Geilweilerhof entwickelter «Phenoliner», ein umgebauter Traubenvollernter, der mit elektronischen Sensoren und Kameras ausgestattet ist und präzise Geodaten erfasst, nimmt Bilder zum Austrieb der Reben, Blattentwicklung und Traubenqualität auf. Diese können dann mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz ausgewertet werden.

Eine Rebsorte müsse ganzheitlich stimmig sein, sagt Töpfer. Ertrag und Qualität müssten stimmen, die Krankheitsresistenz müsse möglichst breitgefächert sein und ebenso müsse es eine ausgeprägte Widerstandsfähigkeit gegen klimatische Einflüsse geben. «Was wir als großes Damokles-Schwert sehen, ist die Ausbreitung neuer Schaderreger.» So sei die von einer Rebzikade übertragene Goldgelbe Vergilbung (Flavescence dorée) seit Jahren auf dem Weg von Süd nach Nord. Es sei nur eine Frage der Zeit, wann diese Krankheit auch in deutschen Anbaugebieten angekommen sei. Noch weit davon entfernt, aber bereits auf Mallorca aufgetaucht, ist das Bakterium Xylella fastidiosa, das an Rebstöcken die «Pierce-Krankheit» verursacht. Diese habe das Potenzial weiter nach Norden vorzudringen, werde aber von Frost ferngehalten.

Alle 13 Weinanbaugebiete in Deutschland sind vom Klimawandel betroffen - auch in Sachsen ist deswegen das Interesse an den Piwi-Rebsorten da. Ein großes Problem ist die Vermarktung, aber spätestens mit der Änderung des Weingesetzes in diesem Jahr stehen nicht so sehr die Rebsorten wie vor allem die Herkunft im Mittelpunkt. Und neue Formen der Vermarktung von Piwi-Weinen «bieten die Möglichkeit, besondere Geschichten zu den Weinen zu erzählen, was heutzutage in der Kundenansprache immer wichtiger wird», sagt Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut.

Der Weinanbau-Experte Mueller weist darauf hin, dass sich der Weinbau inzwischen in den Niederlanden, Polen, Dänemark, Schweden und England ausbreite. Selbst in Norwegen gebe es die ersten kleineren Rebflächen. «Aber unsere Probleme sind klein im Vergleich etwa zu Zentralspanien, wo der Weinbau an seine Grenzen stößt.» dpa

Nachhaltigkeit im Weinbau

Nachhaltigkeit gewinnt im deutschen Weinbau immer mehr an Bedeutung. Dabei gilt es, die Aspekte Ökologie, Ökonomie und Soziales in der Weinwirtschaft gleichermaßen zu berücksichtigen. Weltweit haben sich in den letzten Jahren verschiedene Programme für eine nachhaltige Weinerzeugung entwickelt.

Wie arbeiten nachhaltig ausgerichtete Betriebe?

Betriebe, die nachhaltig wirtschaften, sind bestrebt, die gesamte Betriebsführung, den Außenbetrieb, die Kellerwirtschaft und die Vermarktung im Rahmen einer ganzheitlichen Nachhaltigkeitsbetrachtung stetig zu optimieren. Jeder Arbeitsschritt vom Rebschnitt bis zum Versand ist regelmäßig zu hinterfragen und zu verbessern (Den Leitfaden des MWVLW (RLP) als pdf-download). Im Außenbetrieb bedeutet das, Pflanzenschutz- und Düngemittel nur nach Bedarf und unter Berücksichtigung von Umweltschutzkriterien einzusetzen. Hier gilt die Devise „So viel wie nötig, so wenig wie möglich“. In der Flaschenweinproduktion werden dünnwandige Flaschen und Schraubverschlüsse eingesetzt, da diese sparsamer herzustellen und zu transportieren sind. Bei der Vermarktung wird darauf geachtet, dass Speditionen beauftragt werden, die nachhaltig arbeiten, anstatt die Weine mit dem eigenen Transporter auszufahren. Es wird versucht, in allen Bereichen möglichst ressourcenschonend zu wirtschaften, zum Beispiel durch die Umstellung auf Ökostrom. Dies beeinflusst nicht nur ökologische, sondern auch wirtschaftliche Aspekte, da auf diese Weise Kosten reduziert werden. Soziale Aspekte wirken sich beispielsweise über faire Bezahlung der Mitarbeiter und Weiterbildungsangebote oder auch durch die Bewahrung der Kulturlandschaft aus. Einer der ersten Nachhaltigkeitsberichte eines Weinguts können Sie sich hier als PDF herunteraden.

Was unterscheidet den biologischen vom nachhaltigen Anbau?

Der Unterschied zwischen der reinen ökologischen Anbauweise und einer nachhaltigen Weinwirtschaft ist, dass bei der Zertifizierung ökologischer Betriebe nur umweltrelevante Aspekte in den Anbaurichtlinien erfasst sind, aber soziale und ökonomische Aspekte unberücksichtigt bleiben. Eine nachhaltige Weinwirtschaft beinhaltet dagegen auch Aspekte des ökologischen Weinbaus.

FAIR'N GREEN e.V.

Weltweit haben sich in den letzten beiden Jahrzehnten verschiedene Programme für nachhaltige Weinwirtschaft entwickelt. 2013 gründete sich die Vereinigung FAIR’N GREEN mit Sitz in Bonn. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, ein ganzheitliches System für nachhaltigen Weinbau zu entwickeln. Die FAIR’N GREEN-Weingüter unterliegen den Richtlinien des FAIR’N GREEN e.V. Sie müssen nachweislich Prozesse im Weingut etablieren und dauerhaft betreiben, um den gesamten Betriebsablauf stetig zu optimieren. Durch die Mitgliedschaft bei FAIR’N GREEN profitieren die Weingüter vom Austausch untereinander hinsichtlich Wissen, Best Practice-Lösungen und der betriebsspezifischen Bewertung. Das Nachhaltigkeitssystem FAIR’N GREEN ist – unabhängig von der Wirtschaftsweise der Weingüter – sowohl für konventionelle als auch für ökologisch wirtschaftende Betriebe interessant. Bisher sind rund 50 Betriebe nach den Richtlinien von FAIR’N GREEN zertifiziert, darunter viele namhafte deutsche Weingüter, die sich damit zu ihrer Verantwortung für die Umwelt und für nachfolgende Generationen bekennen und sich öffentlich der Nachhaltigkeit verpflichten. FAIR’N GREEN wurde in engem Kontakt mit Praxis und Wissenschaft entwickelt. Es gibt einen Kriterienkatalog und eine externe Zertifizierung. So wird ein hohes Maß an Transparenz angestrebt.

Mehr Informationen unter: www.fair-and-green.de