Die vermeintliche Entführung einer 88-Jährigen aus dem Umfeld der Esterházy-Betriebe in Österreich ist zu einem rätselhaften Fall geworden. Die 88-jährige Mutter des Generaldirektors der Esterházy-Betriebe, Stefan Ottrubay, habe erklärt, sie sei freiwillig in einem der beiden vermeintlichen Entführer-Autos mitgefahren, erklärte die Polizei am Mittwoch.
Die Seniorin war einige Stunden nach dem Vorfall in Eisenstadt wohlbehalten im 400 Kilometer entfernten Nobel-Skiort Kitzbühel bei ihrer Tochter aufgetaucht. Medien spekulierten, dass die 88-Jährige wegen eines Familienzwists unter dramatischen Umständen geflüchtet sei. «Sie hat es nicht mehr ausgehalten und hat sich abholen lassen», sagte eine mit den Verhältnissen vertraute Person der Deutschen Presse-Agentur. Die Familie Ottrubay äußerte sich nicht zu den Hintergründen. Die Polizei steckte am Mittwoch noch tief in den Ermittlungen.
Mehr als 100 Polizisten hatten sich am Dienstagabend rund um Eisenstadt an der Suche nach den vermeintlichen Entführern beteiligt. Bei einem Spaziergang der 88-Jährigen mit ihrer Pflegerin nahe dem Barockschloss in Eisenstadt waren plötzlich zwei schwarze Limousinen aufgetaucht. Nach ersten Schilderungen war die Pflegerin abgedrängt worden. Die 88-Jährige stieg in eines der Autos. Die Polizei löste nach Bekanntwerden des Vorfalls einen Großalarm aus. Später meldeten sich nicht nur das vermeintliche Opfer, sondern auch die angeblichen Entführer bei der Polizei in Tirol.
Es habe einen Anfangsverdacht in Richtung Freiheitsentziehung und Nötigung gegeben, erklärte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft am Mittwoch. «Ob sich der Anfangsverdacht doch bewahrheitet, das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen.» Es gebe noch einige Fragen, die zu klären seien. «Es ist schon so, dass es nach wie vor möglich ist, dass die Tatbestände erfüllt sind. Es ist auch möglich, dass es sich um innerfamiliäre Zwistigkeiten, Unstimmigkeiten handelte und nicht um strafrechtlich relevante Tatbestände», sagte der Staatsanwalt der österreichischen Nachrichtenagentur APA.
Das Vermögen der Esterházys wird heute von der Familie Ottrubay verwaltet. Die Esterházys seien vor Jahren aus der Kontrolle und der Verwaltung ihres Besitzes herausgedrängt worden, sagte ein Sprecher der Familie Esterházy. Die jüngere Geschichte des Clans sei von Familienzwisten geprägt.
Zum Vermögen gehört der mit 44 000 Hektar Wald, Seen und Weinbaugebieten größte Grundbesitz in Österreich. Die auf Forst- und Landwirtschaft sowie Immobilien und Weinbau (jährlich 500 000 Flaschen Wein) spezialisierten Betriebe der Unternehmensgruppe erwirtschafteten zuletzt einen Umsatz von 53 Millionen Euro.
Der Aufstieg der eng mit Ungarn verbandelten Familie begann vor 400 Jahren, als sie für die Kaiser unverzichtbar in der Abwehr der Osmanen und in verschiedenen Kriegen wurde. Die Esterházys haben eine lange Tradition in der Förderung von Kunst und Kultur. Joseph Haydn (1732-1809) war jahrzehntelang Hofkomponist der Familie. Die Schlösser und andere Kulturstandorte der Esterházys locken jährlich rund 500 000 Besucher an. dpa